Berlin. Maybrit Illner fragte diesmal nach den Erwartungen an eine neue Regierung. Union und SPD hätten aus dem Talk einiges mitnehmen können.

Kanzlerin Angela Merkel und SPD- Spitzenkandidat Martin Schulz haben es beide gesagt: Ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben, auch wenn eine Neuauflage der Großen Koalition zustande käme. Aber wie soll es denn eigentlich nicht weiter gehen? Was soll anders werden?

Als Maybrit Illner ihre Gäste am Donnerstagabend im Studio trifft, ist noch gar nichts entschieden. In der Schlussphase sei man, hieß es bereits am Mittwoch aus den Kreisen der Verhandlungspartner. Aber die hatte es schon bei Jamaika in sich.

Auch bei den Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen habe man die wirklich happigen Themen – Steuern, Familiennachzug, Rente – ganz nach hinten verschoben, und sich dann erst recht ordentlich verhakt, bis die FDP die Gespräche beendete.

Habeck: Sondieren meint das Finden einer gemeinsamen Idee

„Ein total spannender Donnerstag“ sei dies, freut sich Maybrit Illner. Sie verbringt diesen unter dem Titel „Durchbruch oder Abbruch – Regierung verzweifelt gesucht!“ mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, dem CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs und der wie immer wunderbar würdevollen SPD-Politikerin Gesine Schwan. Ebenfalls zur Runde zählen der „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen, der Martin Schulz während seines Wahlkampfs begleitet hatte, sowie die Projektmanagerin des „Progressiven Zentrum“, Sophie Pornschlegel.

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    Sondieren, das sei ja vom Etymologischen her das Finden einer gemeinsamen Idee, doziert Robert Habeck zu Beginn. Ein solcher Ideenfindungsprozess sei jedoch bei SPD und Union nicht zu erkennen. Es gebe keine Vision für eine neue Gesellschaft. Er sage das ohne Häme, Jamaika sei schließlich auch gescheitert.

    Aber selbst wenn es mit einer Neuauflage der GroKo etwas werde: „Es gibt keine Ideen, die tragen. Ich habe noch nicht mal einen Schattenriss davon gesehen.“ Habecks Fazit: „So richtig doll wird es nicht.“ Sagt’s, und entschuldigt sich gleichzeitig dafür, dass es mit Jamaika nichts wurde.

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      „Es wird gegen uns oder an uns vorbeiregiert“

      Sophie Pornschlegel sieht das ganz ähnlich, formuliert es aber eleganter. Sie sitzt als Vertreterin der Jüngeren in der Runde und findet: „Es wird gegen uns oder an uns vorbeiregiert.“ Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und Europa, das seien alles zentrale Themen. Dennoch gehe es in den Sondierungen wieder hauptsächlich um Renten und um den Familienzuzug von Flüchtlingen.

      In einer neuen großen Koalition werde wohl wieder das gemacht, was sich bewährt habe. Der Riss, der sich durch die Gesellschaft ziehe und den die zahlreichen AfD-Wähler deutlich gemacht hätten, werde geflissentlich ignoriert, schließlich stimmten die Zahlen zur Wirtschaft und der niedrigen Arbeitslosigkeit. Habeck nickt eifrig und ergänzt, selbst er habe das Gefühl, dass eigene Probleme nicht adressiert würden. Welche er meinte, hätte Habeck ruhig ausführen können.

      Feldenkirchen: Vom Boom in Deutschland profitieren wenige

      Etwas lernen konnte man bei Markus Feldenkirchens Analyse zu besagtem Riss.

      Es gebe vielmehr zwei Risse: Der eine habe sich durch unkontrollierte Einwanderung und die Einsicht entwickelt, dass der Staat tatsächlich nicht gut genug gerüstet gewesen ist. „Der andere ist ökonomischer Natur. Die Wirtschaftszahlen sind ja blendend, die Verteilung dagegen ist das Problem.“ Vom Boom in Deutschland bekämen nämlich nur die oberen 1-5 Prozent etwas ab.

      So gerieten die regelmäßigen Meldungen über niedrige Arbeitslosenzahlen und gute Konjunktur zum Sedativ: Es verliert seine Wirkung, wenn man zu oft oder zu viel davon einnimmt.

      Sympathische Gäste mit guten Argumenten

      Dennoch glaubt Feldenkirchen, dass es mit der Großen Koalition etwas werden könne: Wenn die SPD etwa mit einem Spitzensteuersatz für mehr Gerechtigkeit sorge und die CDU mit innerer Sicherheit punkte. „Dann hätten wir vielleicht in vier Jahren eine andere Gesellschaft.“

      Die Runde bei Illner punktet durch sympathische Gäste mit guten Argumenten. Allein, die Sondierungen führen andere. Vision und Idee heißen die Zauberwörter des Abends. Ohne die wird es nur wieder ein „Weiter so“ werden. Kühnheit und ein wenig Verwegenheit bräuchte nicht nur die SPD, Kühnheit brauch auch Deutschland und brauch Europa, soll es solidarischer, geeinter und stabiler werden. Zumindest an diesem TV-Verhandlungstisch sind sich darüber alle einig.