Auf einem Kongress zum 50. Jahrestag der “Spiegel“-Affäre erzählt der Altkanzler, wie er damals ins Visier der Bundesanwaltschaft geriet.

Hamburg. Es ist ein wenig bekanntes Kapitel der "Spiegel"-Affäre: 1963 leitete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Helmut Schmidt, damals Hamburger Innensenator, wegen des Verdachts der Beihilfe zum Landesverrat ein.

Und deshalb sitzt Schmidt nun im Foyer des "Spiegel"-Hauses auf der Ericusspitze, um "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo als Zeitzeuge Rede und Antwort zu stehen. Das Nachrichtenmagazin hat aus Anlass des 50. Jahrestags der Affäre eine zweitägige Konferenz zum Thema veranstaltet. Das Gespräch mit Schmidt soll der Höhepunkt der Veranstaltung sein. Und das ist es auch. Mascolo will wissen, ob Schmidt wegen des Verfahrens beunruhigt war. "Ich glaube nicht", sagt der mittlerweile 93 Jahre alte Altkanzler. "Ich fühlte mich erhaben über diese Geschichte, die für mich eine Dummheit war."

Dabei hätte es durchaus Grund zur Beunruhigung gegeben. Schließlich verhaftete die Polizei wegen "dieser Geschichte" mehrere "Spiegel"-Redakteure. Magazin-Gründer Rudolf Augstein verbrachte gar 103 Tage in Haft. Und das nur, weil sein Blatt es gewagt hatte, am 10. Oktober 1962 unter der Schlagzeile "Bedingt abwehrbereit" die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr infrage zu stellen. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer witterte einen "Abgrund von Landesverrat" und ging unter tätiger Mithilfe seines Verteidigungsministers Franz Josef Strauß gegen das Nachrichtenmagazin vor. Es ist der schwerste Anschlag auf die Pressefreiheit in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber Schmidt ist sich von Anfang an sicher, dass er nichts zu befürchten hat. Deshalb verzichtet er bei seinen Vernehmungen durch einen Landesgerichtsdirektor namens Dierks auch auf die Hilfe von Anwälten.

Ins Fadenkreuz der Ermittler geriet er, weil er mit Conrad Ahlers, dem Verfasser der "Spiegel"-Geschichte, befreundet war. Ahlers hatte Schmidt, der damals bereits als Experte für Verteidigungspolitik galt, vorab sein Manuskript gezeigt. Ebendieses Manuskript fand die Polizei, versehen mit den Anmerkungen des SPD-Politikers, bei ihrer Durchsuchung der "Spiegel"-Redaktion. Zudem wurde Schmidt verdächtigt, den "Spiegel" vor der bevorstehenden Besetzung und Durchsuchung der Redaktion gewarnt zu haben. Schmidt sagt, das habe er nicht getan, und fährt fort: "Ich halte es aber für denkbar, dass Leute aus der Leitungsebene meiner Behörde mit dem ,Spiegel' telefoniert haben."

In Hamburg hatte nicht nur Schmidt für das Vorgehen von Adenauer und Strauß wenig Verständnis. Selbst Hamburger Christdemokraten hielten nach Angaben des Historikers Frank Bajohr die Polizeiaktion gegen den "Spiegel" für völlig überzogen. Selbst im feinen Blankenese demonstrierte man damals für das Nachrichtenmagazin.

Im Verlauf der Konferenz stellt Augsteins Tochter Franziska die These auf, dass es einen Zusammenhang zwischen den Protesten gegen das staatliche Vorgehen gegen den "Spiegel" und der Studentenbewegung von 1968 gebe. An dieser These sei "was dran", sie sei "aber nicht die ganze Wahrheit", findet Schmidt. Entstanden sei die Studentenbewegung eher aus den Protesten gegen den Vietnamkrieg.

Übrigens stellte die Bundesanwaltschaft erst im Frühjahr 1965 fest, dass trotz sechsbändiger Ermittlungsakten die Beweise für einen Prozess gegen Schmidt nicht ausreichten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verfahren gegen die übrigen Beschuldigten im Zusammenhang der Affäre längst eingestellt.