Berlin. Anne Will ging in ihrer Sendung hart mit Olaf Scholz ins Gericht. Doch dann nahte unerwartete Unterstützung – von Christian Lindner.

Dürfen Politiker ihre Entscheidungen revidieren? Über diese Frage wurde bei „Anne Will“ am Sonntagabend kontrovers diskutiert. Es ging um Olaf Scholz: Noch im Juni hatte der SPD-Finanzminister kategorisch ausgeschlossen, dass er sich um den Vorsitz seiner Partei bewerben wird. Nun tritt er doch an.

Ist das legitim? Die stärkste Meinung vertrat in der Debatte erstaunlicherweise die Gastgeberin. Mit dem in der Sendung anwesenden Scholz ging Anne Will hart ins Gericht: „Wie viel ist ihr Wort noch wert?“, fragte sie etwa. Und machte ein größeres Feld auf, indem sie Scholz implizit vorwarf, ein Beispiel für ein angeblich „gängiges Vorgehen“ der Politik der Wortbrüche zu sein.

Anne Will schoss gegen Olaf Scholz über das Ziel hinaus

Man kann das hartnäckiges Nachfragen nennen, tatsächlich macht Anne Will genau das meistens sehr gut. In diesem Fall schoss sie aber über das Ziel hinaus. Denn natürlich müssen auch Politiker die Möglichkeit haben, ihre Standpunkte zu überdenken – und im Zweifel zu revidieren.

Alles andere würde zu einer Stärkung des ohnehin um sich greifenden Wischiwaschi-Politikstils führen. Jenes Ansatzes, bei dem jede spezifische Aussage vermieden wird, damit man bloß nicht festzunageln ist.

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    Olaf Scholz kann sich rechtfertigen

    Dabei hätte die Gastgeberin Olaf Scholz auch ohne die übertriebene Betonung des angeblichen Wortbruchs inhaltlich stellen können. Elisabeth Niejahr machte es in der Diskussion vor: Sie sei skeptisch, ob der Finanzminister als Mann der Regierung eine Partei überzeugen könne, die sich nach Opposition sehne. Bumm, das saß!

    Zu diesem entscheidenden Aspekt konnte sich Scholz nicht wirklich erklären. Sein Umdenken zur Kandidatur stellte er dagegen halbwegs passabel dar: Er könne die Berichterstattung und das Bild der SPD nicht länger ertragen, gab der Finanzminister zu Protokoll. Außerdem glaube er, dass er die Doppelbelastung mit dem Ministeramt dank seiner starken Co-Bewerberin Klara Geywitz meistern würde.

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      FDP-Chef Lindner setzt Anne Will unter Druck

      Ebenso erstaunlich wie die Moderationsstrategie war bei all dem das Verhalten von Christian Lindner. Der FDP-Chef machte einen klaren Punkt – zugunsten von Olaf Scholz: Statt ständig von Wortbruch zu sprechen, könne man doch auch mal Fragen, was der Finanzminister eigentlich inhaltlich für die SPD will, schlug er Anne Will vor.

      Eine kluge Idee, denn diese Dimension in der Betrachtung von Scholz‘ Kandidatur kam viel zu kurz. Ist er der ultimative Pro-Groko-Kandidat? Wahrscheinlich schon, doch Scholz reagierte ausweichend und verwies auf den SPD-Parteitag im Dezember. Schade, dass Anne Will ausgerechnet hier nicht hartnäckiger nachfragte.

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      Nicht nur die Politik hat ein Problem

      Doch damit war der FPD-Chef mit seiner Attacke auf die Gastgeberin nicht fertig. Er legte grundsätzlicher nach: Vielen Menschen in Deutschland sei völlig unverständlich, warum sich die Medien in großer Tiefe mit dem Umdenken von Olaf Scholz beschäftigten.

      Denn stattdessen würden sich viele für die Probleme vor Ort interessieren: Funkloch, Schlagloch, marode Schulen. „Das ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein mediales Problem“, stellte der FDP-Chef fest.

      Das Fazit

      Eine Moderation, die an der falschen Stelle hartnäckig ist, ein SPD-Finanzminister, der mal eine gute Figur macht – und ein FDP-Chef, der diesem Minister zur Hilfe eilt: Es war eine ungewöhnliche, eine überraschende Ausgabe von „Anne Will“.

      In gewisser Weise hat die Redaktion damit Glück im Unglück. Man kann auch mal daneben liegen – und trotzdem eine unterhaltsame Sendung machen.

      Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek