Weil Ayn Rands Loblied auf den Kapitalismus in Deutschland vergriffen war, ließ Kai John es neu übersetzen - von seinem gesamten Ersparten.

Hamburg. Warum geht einer hin und beschließt, einen Verlag zu gründen? Vor allem, wenn er doch eigentlichen einen guten Job hat. Und wenn ihn die neue Unternehmung viel Geld kostet. Sehr viel Geld. Kai John, 36, hat einmal, vor etlichen Jahren schon, ein Buch gelesen, das sehr wichtig für ihn geworden ist. Es ist ein Buch, das in einem Teil der Welt beinah jeder kennt und im anderen fast keiner. John lebt in dem Teil der Welt, in dem nur wenige Ayn Rands Roman "Atlas Shrugged" gelesen haben. 2008, als die große Finanz- und Wirtschaftskrise anrollte und seitdem Getöse macht, überlegte sich der groß gewachsene Mann, der in Hamburg geboren wurde und in München lebt: Diesen Bestseller müssen endlich auch in Deutschland viele lesen.

John wusste, dass es durchaus Interesse an "Atlas Shrugged" gab. In Foren beklagten sich Leser, dass sie das Buch nirgendwo auf Deutsch kaufen konnten. Es war überall vergriffen. Hier und da fand es sich manchmal, und dann kostete es mehrere 100 Euro. "Da beschloss ich, ,Atlas Shrugged' neu herauszubringen", sagt John.

+++ Ein Mann, ein Buch +++

Das ist jetzt schon etwas her. Mittlerweile ist das Buch erschienen, und wenn John den 1200 Seiten dicken Klotz in der Hand hält, dann weiß er: Alles richtig gemacht. Das Teil ist schwer, auf weißem Einband stehen nur der Autorenname und der neue Titel: "Der Streik". Mehr als 2000-mal hat es sich schon verkauft. "Der Streik" (oder "Atlas Shrugged"), das ist die Bibel vieler Unternehmer, Macher und Selfmademen: eine Quelle der Inspiration für Kapitalisten. Das Buch ist eine euphorische Feier der Freiheit, wie gerade Amerikaner sie verstehen: Es preist Selbstverantwortung und Engagement und sieht im unternehmerischen Einzelnen die Triebfeder der Gesellschaft.

Im Original wurde "Der Streik", das in der ersten deutschen Ausgabe "Atlas wirft die Welt ab" hieß, im Jahr 1957 veröffentlicht. Die Autorin Ayn Rand wurde 1905 als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg geboren und starb 1982 in New York. "Der Streik" war ihr größter Erfolg und findet seit vielen Generationen immer neue Leser. Leute wie Alan Greenspan, ehemals Chef der US-Notenbank, und die Schauspielerin Angelina Jolie lieben das Buch. Allein 2009 wurde es in Amerika eine halbe Million Mal verkauft. In der Krise ist es für viele ein Anker.

Das ist übrigens der Punkt, an dem Kai John ins Spiel kommt: Er arbeitet bei einem großen Versicherungskonzern, und er findet die Kapitalismuskritik, die nach dem Platzen der Immobilienblase allgegenwärtig ist, nicht richtig. John, der Sohn eines Mannes, der Reinigungsmittel erst im kleinen, dann im großen Stil verkaufte, geht die Verunglimpfung der Marktwirtschaft gegen den Strich. Und er erinnert sich an seine Lieblingslektüre "Atlas Shrugged". Er las das Buch, als er in Oxford Wirtschaft, Philosophie und Politik studierte: Die Geschichte vom daniederliegenden und phlegmatischen Riesenreich, in dem die Tätigen, die Leistungsträger in den Streik treten und eine mythische Figur namens John Galt zum Anführer der freien Welt wird.

+++ Buch-Verfilmung: Eine Familiensaga mit starken Frauen +++

Man hasst dieses Buch, oder man liebt es, sagt Kai John.

Aus literarischer Sicht ist es schwach: Es kennt nur Schwarz und Weiß. Die Figuren sind Pappkameraden vor sterilen Kulissen, und der ganze Text ist von einem irritierenden ideologischen Furor getrieben. Seine philosophische Tiefe (Rand nannte ihr Denkkonstrukt "Objektivismus") wird von den einen Lesern gesehen, von anderen nicht. "Der Streik" erschien mitten im Kalten Krieg, als der freie Markt und der Sozialismus gegeneinander kämpften. "Ich führe ein gutes Leben, wenn ich selbst darüber entscheide und nicht jemand anderes", sagt John.

Kai John ist ein Mensch, der eine klare Meinung hat zu dem, was seit einigen Jahren und was in den vergangenen Monaten passierte, was genau heute geschieht, wo die Nachrichten von den Krisenmeldungen dominiert werden. Die Veröffentlichung des Buches ist durchaus ein politischer Akt, John ist gebildet und, auf seine Art, auch ein wenig missionarisch. "Ich will, dass die Leute dieses Buch lesen", so schlicht sagt er es. Darin äußert sich natürlich auch ein romantischer Glaube an die Macht von Literatur. Man merkt, dass John eine Weile nicht in Deutschland gelebt hat und unbefangen über Dinge redet, die gerade zurzeit niemand einfach so sagt: "Der Kapitalismus ist gut. Er macht uns wohlhabend, er ist nicht Zwang, er ist Freiheit."

In Amerika zweifelt, selbst wenn Banken wanken und Fabriken fallen, beinah kein Mensch an den Segnungen des Kapitalismus und der mit ihr für viele einhergehenden Freiheit. Für europäische Ohren klingt John dagegen manchmal eine Spur zu begeistert, wenn er über Ayn Rands Ideen spricht: In Deutschland, in Europa denkt man besonders jetzt lieber in den Kategorien einer wohltemperierten Kapitalismuskritik. Wir sind Kinder der sozialen Marktwirtschaft, und strukturell ist die Bundesrepublik in gewisser Hinsicht eher links als rechts, selbst wenn CDU und FDP regieren. Wird das Buch hier viele Leser finden?

"Die erste Auflage liegt bei 5000 Exemplaren, die werden wir in diesem Jahr verkaufen", rechnet John vor. Er hat eine sechsstellige Summe in das Projekt gesteckt. Geld, das einer wie er nicht einfach so hat: Es waren die gesamten Ersparnisse, die für die Veröffentlichung draufgingen. Von der Ayn-Rand-Gesellschaft in Amerika, die neoliberale Lobby-Arbeit betreibt, erwarb John für zehn Jahre die Buchrechte.

Dann musste er schnell in die Pötte kommen, wie man in Johns norddeutscher Heimat sagt. Innerhalb eines Jahres musste die neue deutsche Version auf dem Markt sein, sonst wären die Rechte erloschen. John suchte im Internet Übersetzer und fand, nachdem einige aus weltanschaulichen Gründen abgesprungen waren, drei Damen, die den Riesenroman ins Deutsche übertrugen. John nennt die Übersetzerinnen seine "Mädels". Er ist stolz auf das gemeinsame Werk.

Es könnte in der Tat noch mehr Leser finden: Weil viele auch hierzulande merken, dass es so vielleicht nicht weitergehen kann mit alten Gewohnheiten, wenn so erbittert um eine Währung gerungen und darüber diskutiert wird, wie der Wohlstand verteidigt werden kann. Vielleicht ist der Perspektivwechsel interessant, den "Der Streik" einem vorschlägt. Vielleicht ist es aber auf die Dauer auch anstrengend, dass Ayn Rand ihren Lesern eine Selbstbezogenheit lehrt, die in ihrer Totalität irritiert. Manche behaupten, dass Buch feiere den Egoismus. Er teile, sagt John, nicht alle Überlegungen Rands, "ich habe nichts gegen Altruismus".

Aufgewachsen ist John in Grömitz an der Ostsee. Er wusste, dass auf der anderen Seite der See die Wachtürme der DDR stehen. Manchmal landeten sie mit den Schlauchbooten am Strand, und dann fragten sie die Menschen an der Küste: "Sind wir in Westdeutschland?" Und wenn er selbst aufs Meer paddelte, ging es irgendwann nicht weiter: Patrouillenboote der DDR stoppten ihn. Das sind die Geschichten, die John erzählt: Er lacht dabei. Mit 17 ging er nach England. Er war ein Einzelkind, und er wollte freiwillig aufs Internat: Weil er im Fernsehen den "Club der toten Dichter" gesehen hatte.

Sein Vater liest das Buch zurzeit, das sein Sohn jetzt endlich in Deutschland bekannt machen will. "Ob er zufrieden mit mir ist? Das müsste man ihn selbst fragen", sagt Kai John, der wagemutige Verleger, der einfach mal selbst gemacht hat. Wie die Menschen, die so leben, wie es Ayn Rand vorschwebte.

Ayn Rand: "Der Streik". Verlag Kai M. John. 1260 S., 39,90