“Der Geschmack von Apfelkernen“ war ein großer Romanerfolg, 2013 kommt der Film in die Kinos. Zu Besuch bei den Dreharbeiten.

Eutin. Momentan ist alles etwas anders auf Gut Stendorf in der Nähe von Eutin. Eine Filmcrew hat sich auf dem Bauernhof einquartiert und dreht dort eine Familiensaga: "Der Geschmack von Apfelkernen" ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans der Hamburger Autorin Katharina Hagena. Ein Film über starke Frauen: Hannah Herzsprung, Marie Bäumer, Meret Becker und Thalia-Ensemble-Mitglied Oda Thormeyer spielen die Hauptrollen. Landwirtschaft und Filmkunst - zwei Welten treffen aufeinander.

Auf dem Weg zum Drehort fährt man durch üppiges Grün. Das malerisch gelegene Gut, zu dem auch eine Meierei und mehrere Landarbeiterwohnungen gehören, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Bereits im 15. Jahrhundert wurde es erwähnt. In den 1950er-Jahren gab es hier eine Gärtnerei, die Pflanzen bis nach Amerika exportierte. Sogar bis nach Hamburg, denn das Gut war mit seinen Blumen Lieferant für das Hotel Vier Jahreszeiten. In den 60er-Jahren war man auf Stendorf stolz auf den modernsten Kuhstall Europas mit einer Rohrmelkanlage. Heute versucht man hier, Denkmalschutz und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen.

Am ehemaligen Kuhstall klebt ein Zettel: "Tür unbedingt schließen! Die Schwalben fliegen hier sonst rein. Danke!" Ein Kuckuck ruft. Äpfel werden hier nur wenige geerntet, stattdessen Raps, Weizen, Gerste und Roggen. Der ganze Hof ist eine Idylle aus Kopfsteinpflaster und Lindenbäumen - wären da nicht die hochmodernen landwirtschaftlichen Maschinen und die Lkw der Filmcrew mit ihren technischen Gerätschaften, die über das Gelände verteilt sind.

Auch eine kleine Verpflegungsstation gehört dazu. Auf dem Tisch steht eine giftgrüne Thermoskanne mit der Aufschrift "Hannah". Hannah Herzsprung spielt in diesem Film die Hauptrolle. Sie ist Iris, eine junge Frau, die von ihrer verstorbenen Großmutter ein Haus erbt. Ihre Gefühle dazu sind gespalten, denn das Haus ist mit dunklen Erinnerungen verknüpft. Deshalb will sie erst nur ein paar Tage dort bleiben. Sie trifft Max (Florian Stetter), der früher mit ihrer Freundin zusammen war. Und sie denkt an die Zeiten zurück, als ihre Mutter Christa (Oda Thormeyer) und deren Schwestern Inga (Marie Bäumer) und Harriet (Meret Becker) noch in dem Haus lebten.

Hannah Herzsprung hat die Rolle bekommen, obwohl eigentlich eine Blondine gesucht wurde. Jetzt trägt die Frau mit dem kurzen dunklen Schopf eine verblüffend echt aussehende blonde Langhaarperücke. "Iris hat schon viel mit mir gemacht. Aber wir sind noch dabei, uns anzunähern", sagt Hannah Herzsprung.

In der Romanvorlage, die im fiktiven Ort Bootshaven spielt, geht es um Erinnern und Vergessen, um die Wiederholbarkeit von Ereignissen. Das Buch hat mehr als eine Million Käufer gefunden und wurde in 22 Länder verkauft. "In Deutschland gibt es viel zu wenig Familiengeschichten", glaubt Regisseurin Vivian Naefe und macht auch gleich ihrem Ärger Luft: "Amerika hat es da besser. Man muss nur an Jonathan Franzen und seinen Roman 'Die Korrekturen' denken. Oder an die Filme von Ang Lee. Bei uns werden oft pseudopolitische Geschichten für bedeutend gehalten, dabei ist die Familie doch das Wichtigste." Naefe lebt in München, ist aber in Hamburg geboren und schwärmt von norddeutscher Klarheit, den Macbeth-artigen Figuren des Films, dann verschwindet sie schon wieder am Set.

Produzentin Uschi Reich bleibt. Sie hat bereits drei "Die wilden Hühner"-Filme mit Naefe gedreht und auch an diesem Drehbuch mitgeschrieben. Keine leichte Aufgabe, denn es gilt, mehrere Zeitebenen glaubhaft miteinander zu verknüpfen - die Handlung reicht von den 20er-Jahren bis in die Gegenwart. Andererseits gilt es, zauberhaft und glaubwürdig gleichzeitig zu sein. Vor dem Haus wachsen rote Johannisbeeren, die plötzlich ihre Farbe wechseln und für immer weiß bleiben. Apfelbäume blühen im Sommer noch ein zweites Mal. Inga wurde während eines Gewitters geboren und teilt seitdem bei Berührung anderen Menschen leichte elektrische Schläge aus. "Ich wollte schon immer einen Film machen, der so ähnlich ist wie 'Chocolat': für Frauen und Töchter", sagt Uschi Reich. Sie schwärmt vom Drehort. "Wir können hier alles machen und das Gut wie ein Studio nutzen." Worauf Bäumer trocken ergänzt: "Nur ab und zu fährt mal ein Trecker durchs Studio." Der landwirtschaftliche Betrieb geht während der Dreharbeiten weiter.

Vom Trecker abgesehen, scheinen Marie Bäumer die Arbeitsbedingungen zu gefallen. "Es ist Luxus. Wir leben direkt am Meer in Grömitz, arbeiten auf dem schönsten Set, den man sich vorstellen kann. Wir joggen am Strand und machen Yoga. Man ist im Urlaub und arbeitet auch noch." Ein Vergnügen, das auch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein finanziert - 2013 kommt der Film in die Kinos, die Dreharbeiten werden in Hamburg und Hessen fortgesetzt.

Florian Stetter sitzt ziemlich still zwischen all diesen Frauen. Vielleicht muss er an Gottesanbeter-Männchen denken, die nach der Paarung von den Weibchen verspeist werden. Wenn dem so sein sollte, lässt er es sich nicht anmerken, wäre vielleicht auch zu gefährlich. Gestört wurde das Team bisher eigentlich nur durch eine Kröte, die bei Nachtdrehs immer wieder dazwischenquakte. Für Meret Becker wäre es eine Traumrolle, schön wenig Text und ihr wie auf den Leib geschnitten.