Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften wird 70, ihre Geschichte lässt sie von Kleidern erzählen, die einst hier gefertigt wurden.

Hamburg. Mode ist in erster Linie: mal skandalös gewesen. Ja, doch: Durch die Jahrhunderte hat so ziemlich jedes neu erfundene Kleidungsstück für einen Aufschrei gesorgt. Heute kommt uns das komisch vor, denn "neue" Kleidungsstücke gibt es nicht mehr. Lady Gaga mag zwar in den irrwitzigsten Kostümierungen herumlaufen und damit kurzfristig für Aufmerksamkeit sorgen - aber die Zeiten, als Frauen im Minirock auf der Straße bespuckt wurden, sind definitiv vorüber.

Als Zeitzeugen bleiben Kleider zurück. Still überdauern sie die Skandale um ihre Erscheinung und bringen nachfolgende Generationen zum Staunen. Hinter fast jedem Kleidungsstück steckt eine Geschichte; die Räume der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) an der Armgartstraße sind voll von ihnen.

Vor 70 Jahren wurde die HAW gegründet, damals hieß sie noch "Meisterschule für Mode". Was im Grunde viel schöner ist und treffender als der heutige Name, vielleicht klang er der Schule aber irgendwann zu altbacken.

Die Kleider, die hier in 70 Jahren gefertigt wurden, sind oft so wertvoll, dass sie im Museum für Kunst und Gewerbe stehen. Neun von ihnen hat Professor Dr. Birgit Haase, Leiterin des Design-Departments der HAW, zum Jubiläum zurück in die Räume geholt, in denen sie einst gefertigt wurden. "Kleider kehren zurück" heißt das Projekt, zu dem eine Ausstellung in der HAW sowie im Museum für Kunst und Gewerbe und ein Buch gehören.

Die historischen Kleider stammen aus den 50er- und 60er-Jahren, der Blütezeit der HAW. Birgit Haase recherchierte die Geschichten hinter den Kleidern, die Kurse, in denen sie gefertigt wurden, die Professoren, die die Absolventen betreuten. In ihrem Büro türmt sich stapelweise Archivmaterial aus über 50 Jahren. Fotos, Zeitungsausschnitte, Magazinausrisse, dick genug, um ein Buch zu füllen. Genau das hat sie gemacht. In "Kleider kehren zurück" fügt Birgit Haase die Archivschnipsel zu einer Mode-Geschichte Hamburgs zusammen.

Die Entwürfe der Kleider sind in der Zeit zwischen 1954 und 1969 entstanden und spiegeln den Geist der Stadt in ihrem Design wider. Die ältesten Kleider sind geprägt von den Pariser Entwürfen Christian Diors. Der "New Look" verkörperte Anfang der 50er-Jahre die Sehnsucht nach Luxus in klammen Nachkriegsjahren. Der Stoffverbrauch war für damalige Verhältnisse ein Skandal: Zehn Meter waren keine Seltenheit. Dazu Pailletten, Perlen, Stickereien und andere aufwendige Verzierungen. Ein Kleid konnte damals gut und gerne 15 Kilogramm wiegen. Eine schmale Taille brachte den bauschigen Rock noch besser zur Geltung. Wer die Entwürfe aus Paris tragen wollte, musste sich einschnüren in Mieder und Corsagen. Arbeiten sollten die Frauen nach dem Krieg ohnehin nicht. "Dior sah die Frau als eine Pflanze. Sie sollte vor allem schön sein - und still", sagt Haase.

Das machten die Frauen - und die Schülerinnen der Meisterschule - eine Weile mit, doch rasch wollten sie nicht mehr nur das hübsche Heimchen geben. Dementsprechend wurde auch die Mode experimenteller und vor allem: kürzer. Als Anfang der 60er-Jahre die ersten Miniröcke in London und Paris gesichtet werden, schreien die Frauen vor Entzückung. Auch die Schülerinnen der "Meisterschule" experimentieren mit Pop-Art-Mustern und kurzen Röcken. Eine Spur konservativ bleiben die Entwürfe trotzdem - schließlich lebt man in Hamburg und nicht in Paris.

Die Kleider zeigen jenen hanseatischen Stil, an dem man noch heute schwören könnte jeden Hamburger auf der Welt zu erkennen. Viel Dunkelblau und Cremeweiß, Perlen und ein leicht maritimer Einschlag. Eine Moderedakteurin der Hamburger "Wochenschau" definierte den Stil Anfang der 50er-Jahre als "modern, aber nie auffällig".

Auch die Definition des Begriffs "Mode" hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die Kleider, die in der "Meisterschule für Mode" gefertigt wurden, sind keine visionären Entwürfe, sie sind tragbar. Regelmäßig veranstaltete die "Meisterschule für Mode" Schauen, auf denen die Absolventinnen in den eigenen Outfits über den Laufsteg gingen. Wer denkt, Paris Hilton habe Mäntel für Hunde erfunden, wird beim Anblick der Fotos eines Besseren belehrt: Schon damals durften Hunde als Accessoire nicht fehlen - inklusive Regenmantel.

Heute geht es den angehenden Designern vor allem darum, sich durch ihre Mode auszudrücken, anstatt "nur" schöne Kleider zu fertigen. Aber auch das gehört dazu: Mode ist nicht gleich Schönheit. Es ist diese ständige Neuerfindung, die Mode auch heute noch manchmal skandalös macht.