Das neue St.-Pauli-Museum muss sich selbst tragen. Das funktioniert nur mit Selbstausbeutung - und vielen Besuchern. Die bleiben noch aus.

Hamburg. Vor der Tür stehen die Huren, und auch die Freier, die auf dem Weg zur Herbertstraße sind, laufen an der Davidstraße 17 vorbei. Ihnen steht der Sinn vermutlich nicht nach Kultur und Geschichte. Doch das Zielpublikum des Sankt-Pauli-Museums sind ohnehin weniger die Protagonisten der käuflichen Liebe als vielmehr Hamburg-Besucher, aber auch Einheimische, die wissen wollen, was es mit dem Mythos St. Pauli auf sich hat. Ziemlich schrill und grell prangen an der Eckhaus-Fassade des Museums Fotos und Bilder aus der Geschichte des Vergnügungsviertels. Mit dezenter Zurückhaltung ist auf dem Kiez nichts zu gewinnen.

Wer dann allerdings das erst im Oktober eröffnete Museum betritt, den erwartet kein schrilles Kiez-Sammelsurium, sondern eine spannende, klug konzipierte kulturgeschichtliche Ausstellung, die zwar eindeutig und manchmal auch sichtbar mit schmalem Budget gestaltet wurde, aber ein modernes didaktisches Konzept verfolgt.

Geschichte gibt es hier im Zeitraffer, vom Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit, stets fokussiert auf zentrale Ereignisse, Entwicklungen und Protagonisten - vom Schauenburger Grafen Adolph IV. bis hin zu der Kiezgröße Stefan Hentschel, der sich 2006 erhängt hat und von dessen Beerdigung ein Video zu sehen ist. Aus vielen Facetten entsteht für den Besucher ein historisches Panorama, das begreiflich werden lässt, wie aus einem lange missachteten und vernachlässigten Hamburger Vorort ein weltberühmter Stadtteil geworden ist.

"Wir wollen durchaus auch das Selbstbewusstsein der St. Paulianer zum Ausdruck bringen", sagt Ausstellungsmacherin Julia Staron, die allerdings einräumt, dass es gerade von diesen nach der Museumseröffnung nicht wenig Kritik gegeben hat: "Sie wollten natürlich sich und ihre Geschichten in großer Breite dargestellt sehen, aber wir haben uns für ein Konzept entschieden, das touristisch affin ist. Wir wollen Geschichte so erzählen, dass sie interessant ist und verstanden wird. Auf Touristen sind wir angewiesen, denn nur so können wir auch die wissenschaftliche Arbeit finanzieren."

Zu den Attraktionen zählt etwa der zehn Quadratmeter große "Ü-18-Raum", der hinter einem Vorhang liegt und Exponate und nicht jugendfreie Videos aus dem ehemaligen Salambo oder dem Club de Sade zeigt.

Auf den 160 Quadratmetern Ausstellungsfläche kann nur ein Bruchteil der insgesamt drei Millionen Exponate der Sammlung ausgestellt werden, die alle darauf warten, geordnet, katalogisiert, digitalisiert, bearbeitet und erforscht zu werden. Diese Mammut-Aufgabe soll von einer Wissenschaftlerin und vier 400-Euro-Kräften geleistet werden, die damit auf unabsehbare Zeit ausgelastet sein dürften. Die Stadt, um deren Historie es dabei geht, hält sich fein raus und schätzt sich vermutlich glücklich, dass hier Überzeugungstäter mit dem Hang zur Selbstausbeutung am Werk sind.

Zur Eröffnung gab es von der Kulturbehörde einen einmaligen Zuschuss von 190 000 Euro, der mit reichlicher Verspätung ausgezahlt wurde. Das soll für alle Zeiten reichen. So müssen die laufenden Kosten für Museumsbetrieb plus Archiv und Forschung durch Laufkundschaft gedeckt werden. 150 zahlende Besucher pro Tag braucht das Sankt-Pauli-Museum, damit das funktioniert, zurzeit kommen nur 80 bis 90. Julia Staron lässt sich davon nicht entmutigen. "Das sind Anlaufschwierigkeiten, wir haben bis jetzt auch noch kaum Werbung gemacht. Doch das ändert sich gerade. Auch die Mundpropaganda beginnt schon zu funktionieren", sagt die Museumsmacherin. Julia Staron ist sich sicher, dass das Haus an der Davidstraße 17 schon bald eine feste Kiezgröße sein wird.

Das Museum möchte besonders die Bewohner von St. Pauli einbinden. Eine hübsche Idee ist der Anekdotenschrank mit Schubladen dafür: In jeder Lade soll ein St. Paulianer eine persönliche Lieblingsgeschichte mit Erinnerungsstücken, Briefen und kleinen Berichten gestalten. Der Anekdotenschrank wird auch im ersten Museumskatalog unter dem Motto "Aus Geschichten wird Geschichte" dargestellt.

Weiterhin sucht das Museum Zeitzeugen. Julia Staron: "Lesungen und Berichte werden fester Bestandteil. Im kommenden Jahr beginnen wir mit einer monatlichen Reihe und tragen veröffentlichte Geschichten vor."

Großes Thema wird 2011 Deutschlands berühmteste Hure Domenica, deren Leben und Wirken eine Sonderausstellung gewidmet sein soll. Das Museum sucht dazu noch Freiflächen, die drei Monate zur Verfügung stehen. Sie sollten mindestens 200 Quadratmeter groß sein.

Die Öffnungszeiten zum Jahreswechsel: 31.12.: 11-16 Uhr 1.1. ab 11 Uhr. Infos im Internet unter www.st-pauli-museum.com