Warum die Kulturpolitik des Senats mit den Traditionen dieser Stadt bricht und kurzsichtiger Aktionismus die Wurzeln der Gesellschaft bedroht.

Hamburg. Es gab eine Zeit, in der Bürgermeister dieser Stadt noch kulturpolitisches Gespür bewiesen. Von Amandus Augustus Abendroth, der dieses Amt 1831 übernahm, stammt die praktische Erkenntnis: "In Hamburg fängt alles, wie die Erfahrung mit glücklichem Erfolge zeigt, bei Privatpersonen an." Damals gab es weder die Kunsthalle noch die Musikhalle; auch der Bau des Schauspielhauses war noch jahrzehnteweit hinter dem Horizont. Doch dieser Satz macht in seiner schlichten Deutlichkeit klar, dass Kulturpflege als gesellschaftliche Tradition in der Hanse- und Kaufmannsstadt lang praktizierte Tradition hat. Und er bedeutet damit auch, dass das Rühren an solchen Traditionen durch kurzsichtigen politischen Aktionismus die Wurzeln der Gesellschaft bedroht.

Ein akutes Pendant dazu ist der Slogan auf den Ansteckern, mit denen das in seiner Existenz bedrohte Staatstheater an der Kirchenallee derzeit zu einer bildungsbürgerlichen Form des zivilen Widerstands aufruft: "Ich bin das Schauspielhaus."

Die berühmteste Adresse der hamburgischen Kulturgeschichte liegt mitten in der Stadt. Die am 2. Januar 1678 mit Johann Theiles frommem Singspiel "Adam und Eva" eröffnete Oper am Gänsemarkt war die erste Bürgeroper auf deutschem Boden. Nach dem Vorbild von Venedigs Teatro San Cassiano erbaut, wurde sie von drei Kunst liebenden Privatpersonen - einem Ratsherrn, einem Juristen, einem Organisten - geleitet. Die Bühne entwickelte sich schnell zu einem Mittelpunkt barocker Kultur, um den Hamburgs Kaufleute landauf, landab bewundert wurden. In den sechs Jahrzehnten ihres Bestehens wurden mehr als 300 Opern aufgeführt, Stars wie Händel oder Telemann wirkten dort. Im Rest der Welt war Oper eine Delikatesse nur für den Adel. Am Gänsemarkt war dieses Stück Alltagskultur ein Lebensmittel für jedermann. Auch der Impuls zur Gründung einer Heimat für bedeutende Kunstwerke im gutbürgerlichen 19. Jahrhundert hatte mit dieser Einstellung zu tun. Privates Engagement sorgte dafür, dass die Idee eines Kunstvereins Realität werden konnte. Am 30. August 1869 wurde die Kunsthalle eröffnet, und die Begeisterung über das fürs Allgemeinwohl Geleistete war groß: "Mit gerechtem Stolz dürfen Hamburgs Bürger auf diese der edlen Kunst gewidmeten Hallen sowie auf das, was sie enthalten, blicken!" Entsprechend selbstbewusst war der Anspruch, mit dem Alfred Lichtwark als erster Direktor dafür sorgte, das Haus zu profilieren: "Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung eingreift." In drei Worten: Kultur ist Bildung. Ein Anspruch, der genau so auf einem der Transparente zu lesen war, mit denen Demonstranten in der letzten Woche vor der Kulturbehörde gegen die Kultur-Sparpläne des schwarz-grünen Senats protestierten.

Einen Traditionsbezug ganz spezieller Art kann man bis ins Jahr 1863 zurückverfolgen. Damals, sechs Jahre vor der Kunsthalle, tat sich der Altonaer Pastor Georg Schaar mit Gleichgesinnten zusammen, um vor den damaligen Toren Hamburgs ein Museum zu ermöglichen. Die Einweihung am 11. September 1901 dokumentierte den Stolz auf etwas lokal Gewachsenes, damals vor allem auf die "schleswig-holsteinische Volks- und Landeskunde". In diesen Tagen demonstrierten in der Altonaer Museumstraße empörte Anwohner, Direktor Torkild Hinrichsen skandierte durchs Megafon: "Das Altonaer Museum ist das Herz von Altona. Wir alle sind der Schrittmacher. Diese Schließung trifft Altona im Kern - und gibt unsere Schwesterstadt Hamburg der Lächerlichkeit preis."

Die wirtschaftliche Potenz dieser Schwesterstadt brachte im späten 19. Jahrhundert ein weiteres kulturelles Großprojekt auf den Weg; auch hier orientierte man sich wie einige Jahre später beim Bau der Musikhalle am Besten auf dem Markt. Nach dem Vorbild des Wiener Burgtheaters sollte in St. Georg eine Sprechtheaterbühne vom Feinsten entstehen. Dafür wurde 1899 eine Aktiengesellschaft Deutsches Schauspielhaus gegründet, sowohl die Architekten als auch der erste Intendant wurden aus Wien importiert.

Wenig später wurde auf der anderen Seite der Binnenalster ein Konzerthaus errichtet, das bis heute zu den schönsten seiner Art zählt. Mit 1,2 Millionen Goldmark aus dem Nachlass ihres Mannes sorgte die Reederwitwe Sophie Christine Laeisz dafür, dass am damaligen Holstenplatz "eine würdige Stätte für die Ausübung und den Genuss edler und ernster Musik" entstand. Nach dem Eröffnungskonzert am 4. Juni 1908 jubelte das Hamburger "Fremdenblatt" ungebremst lokalpatriotisch: "Wir haben 1897 Plätze, das Gewandhaus in Leipzig zählt nur 1524." Ein Punktsieg im schon damals ausgefochtenen Prestige-Wettbewerb der Metropolen, den der jetzige Senat unter anderem mit einer Kulturtaxe finanzieren will. Einer Zwangsabgabe, die sie von jenen Touristen verlangt, die auch wegen der gerade von Streichplänen bedrohten kulturellen Angebote kommen.