Wenige Wochen vor der Hamburger “Götterdämmerung“ zeigte das Theater Lübeck sein “Ring“-Finale: Brillant und erschütternd.

Lübeck. Schluss, aus, Feierabend. Ende der etwa 16 Märchenstunden, die seit September 2007 auf hartem Gestühl wie im Flug vergingen. Siegfried thronte, posthum vereint mit seiner Gattin Brünnhilde und einer Rasselbande aus flügelbehelmten Mini-Walküren, als Modell-Held leichenblass in der Regensburger Walhalla-Prachtkulisse. Der verfluchte Ring schwebte an einem Schicksalsfaden zurück zu den Rheintöchtern, denen das Edelmetall einst geraubt worden war. Womit der Ärger begann. Wie in einem Flashback lief noch ein Film ab , der zeigte, wie alles so schlimm wurde, wie es wurde. Und vor all das zog ein maliziös lächelnder Alberich (Antonio Yang) langsam und genüsslich den finalen Vorhang. Ich hab's ja von Anfang an gewusst, sagte sein Blick, aber ihr wolltet ja nicht hören. So was kommt von so was.

Nach dieser letzten von vielen starken Szenen brach im Lübecker Theater ein tosender Applaus aus, den man in gewisser Weise bis in die Hamburger Oper hören kann und sollte. Er war der verdiente Lohn für eine Anstrengung, die beide Häuser eint und vorerst bis zum 17. Oktober trennt: einen "Ring" zu schmieden, auf den man auch überregional stolz sein kann.

Lübeck ist dieses Prestige-Kunststück mit zu vernachlässigenden Abstrichen bei Einzelleistungen gelungen. Denn der kollektive Ehrgeiz und sein Resultat heiligten dort die deutlich bescheideneren Mittel. Generalmusikdirektor Roman Brogli-Sacher wurde vom Lübecker Publikum gefeiert, als hätte er nicht nur Orchester, Ensemble und Chor nach stellenweise eher ängstlichem Anfang zu Großem auf sehr kleinem Raum angespornt. Sondern in dem seit Langem schwelenden Streit um die Zukunftssicherung des Hauses, das trotz aller Sparzwänge erfolgreich ist, auch noch einen Kieler Kulturpolitiker-Drachen erlegt, der wie Wagners Fafner nur liegen und besitzen möchte . Auf jeden Fall hat Brogli-Sacher dafür jetzt, nach diesem Triumph des Wollens, einige Trümpfe mehr im Frackärmel.

Simone Youngs Hamburger A-Haus, seit dem "Rheingold"-Start immer einige Wochen mit seiner Premiere hinterher, wird sich sehr anstrengen müssen, um mit der letzten noch fehlenden Inszenierung von Claus Guth die Stringenz, den Gestaltungs- und Deutungswillen der B-Konkurrenz in Lübeck noch einzuholen. Dass an der Trave nicht immer alle Sänger über das konsequent nötige Format verfügten, ist dabei zu verschmerzen. Hier war es Richard Decker, der als Siegfried hin und wieder die heldentenorale Durchschlagskraft und pralle Wucht vermissen ließ und sich mitunter unfrei auf seine Höhenlagen vorarbeitete.

+++ Dieser Wagner ist ein göttlicher Spaß +++

Viel wichtiger, viel beeindruckender war: Hier wurde ein Opern-Zyklus, der Zyklus schlechthin, durchdacht und durchgehalten, der jenseits der beliebten, obergärigen Grüner-Hügel-Hysterie exemplarisch war, weil Anthony Pilavachis Regie - bei allem Respekt, bei aller Kompetenz und Vorlagentreue - nicht in Anbetungs-Starre vor dem Gesamtkunstwerker aus Bayreuth verfiel. Ein kurzweiliges, amüsantes, packendes, erschütterndes, albernes, überwältigendes, entstaubtes, erhabenes Epos ist so entstanden. Nicht zeitlos, aber aktuell. Eine Menschheitsgeschichte wurde erzählt, die mit Betrug unter Männern begann und mit einer betrogenen Frau endete. Doch immer wieder war darin auch noch ein Plätzchen für subtile Anspielungen auf Wagnerianer-Basiswissen und historische Seitensticheleien frei, wie die Idee, Brünnhildes niedlicher Kinderschar einen Mini-Hitler als schwarzes Schaf unterzujubeln, der zur Strafe aber sofort wieder aus dem Wohnzimmer geschickt wird.

Nachdem die ersten drei Teile sich aus dem mythischen Wabern um Götter und Gelinkte nach und nach auf den Boden der Tatsachen vorgearbeitet und die Beziehungsgeflechte kunstvoll versponnen hatten, war diese "Götterdämmerung" geradezu plakativ geerdet. Brünnhildes Häuschen war mit Kinderzeichnungen tapeziert und mehr Kita als Walküren-Wohnstatt, der Gibichungenhof ein finsterer Neureichen-Palast. Gunther (korrekt: Gerard Quinn) trug zunächst Strapse und Korsage, will sagen: Frauen sind vielleicht eher nicht so seins. Aber für Machtzuwachs macht man ja einiges, selbst Heiraten.

Ausrine Stundyte gab ihrer Gutrune den schnöseligen Habitus einer Luxus-Göre, die sich Siegfried anfangs nur wünscht wie andere eine neue Handtasche. Sie wird später, wenn schon nichts und niemand mehr zu retten ist, einen erschreckenden Auftritt als Opfer haben. Hagen (souverän: Gary Jankowski) stapfte ordnungsgemäß verschlagen durch das Bühnenbild, das Momme Röhrbein aufs Nötigste reduziert hatte. Den drei Rheintöchtern (allesamt großartig: Sonja Freitag, Roswitha C. Müller, Julie-Marie Sundal) gönnt die Regie ein Comeback als Schnapsdrosseln mit Beehive-Frisuren.

+++ Public Viewing zu Wagner-Oper bei den Bayreuther Festspielen +++

Das alles war lustig bis toll. Doch wirklich großartig und überragend war Rebecca Teem als einsame Heldin Brünnhilde. Sie steigerte sich von der grauen Maus zu einer vor Leidenschaft, Wut und Trauer glühenden Heldin. Ihre Schlussszene vor dem geschlossenen Vorhang war eine Sternstunde, die leider viel zu schnell vorbei war. Wie der gesamte Zyklus. Und das muss man, das walte Wotan, erst einmal schaffen.

Nächste Vorstellungen : 19.9., 10., 24.10. Zwischen dem 10. und 19.9. wird der gesamte Lübecker "Ring" gezeigt, weitere Zyklen im Februar und Mai 2011. www.theaterluebeck.de Kartentel.: 0451/39 96 00.