Auch in Dresden wird über einen neuen Konzertsaal gestritten. Der Entwurf stammt vom Hamburger Architektenteam Gerkan, Marg und Partner.

Dresden. Ein neuer Konzertsaal, von einem berühmten Architektenbüro und mitten in einer Elbmetropole, für 65 Millionen Euro und nach zwei Jahren Bauzeit ganz bestimmt fix und fertig! Ganz bestimmt? In der HafenCity hat man das längst verpasst, in Hamburgs Partnerstadt Dresden könnte es noch gelingen. Doch es ist kompliziert, so kompliziert, dass Kulturbürgermeister Ralf Lunau (parteilos) zu Protokoll gab, er möchte ein neues Konzerthaus wegen der Betriebskosten noch nicht mal geschenkt haben.

Im Mittelpunkt des verbissen geführten Kulturkampfs steht der Kulturpalast, Spitzname "Kulti". Ein denkmalgeschütztes Relikt aus DDR-Zeiten, Baujahr 1969, in dem Schlagerbarden und Volksmusikanten genauso auftreten wie die städtische Philharmonie, die dort ihre verhasste Heimat hat. Der Konzertsaal hat 2400 Plätze und akustisch unmögliche Proportionen. Wenn Leonard Bernstein je dort gewesen wäre, hätte er garantiert einen Bannspruch hinterlassen wie im Münchner Gasteig im Gästebuch der dortigen Philharmoniker: "Burn it!"

Noch hat niemand dem Orchester-Intendanten Anselm Rose diesen drastischen Gefallen getan. Aber Rose schöpft Hoffnung. Denn Rettung kommt aus Hamburg, in einem anonymisierten Wettbewerb entschieden sich die Juroren für Gerkan, Marg und Partner. Für einen Saal Modell Weinberg, weniger schnittig als die Elbphilharmonie-Variante, aber wie sie in der Tradition der Berliner Philharmonie. Für die Akustik sorgt die Firma Peutz, die das Klangloch der Düsseldorfer Tonhalle gestopft hat, auch das Amsterdamer Concertgebouw aufbesserte und gerade den Zuschlag für den Umbau der Berliner Lindenoper bekam. Das alles ergäbe kein neues Konzerthaus, aber einen brauchbaren Konzertsaal mit 1600 Plätzen, unter dessen Dach auch die Zentralbibliothek und das Kabarett "Herkuleskeule" einziehen sollen.

Die Leidensgeschichte der Kultur- und Musikmetropole Dresden mit ihren zwei traditionsreichen Orchestern ist bei diesem Thema lang und erstaunlich. In den 90er-Jahren, noch unter Sinopoli, hat sich die Staatskapelle entnervt von der Spielstätte Kulturpalast verabschiedet, sie gibt ihre Konzerte seitdem in ihrer Semperoper, die dafür nicht gedacht und für vieles zu klein ist.

Weil man ihm das Saal-Versprechen gab, es aber nicht einhielt, ging der damalige Philharmoniker-Chef Marek Janowski 2003 im Zorn. Gast-Stars aus der Klassikbranche wissen, warum. Wer einmal im "Kulti" gastierte, kommt ungern wieder. Besonders traurig seien seine eigenen Musiker, wenn sie nach einer Tournee wieder auf der Breitwandbühne säßen, berichtet Rose. Dahinter baumeln nach einer Zwangsschließung 2008 die Kabelbündel von den Decken. Eine Reparatur lohnt nicht mehr. Spätestens am 31. Dezember 2012 gehen in der verdienten Unterhaltungsstätte des Volkes alle Lichter aus, weil die Betriebsgenehmigung erlischt.

Dass der Kulturbürgermeister sehr für den Umbau der Rumpelkammer plädiert, verwundert kaum, das ist schließlich seine Baustelle. Doch als noch euphorischer gilt der Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU). Er hat sich klar ausgerechnet, dass man sowieso Geld in die Hand nehmen muss. Den Umbau sollen auch Städtebaumittel des Bunds mitfinanzieren, und selbst wenn es dort Kürzungen geben sollte, hat die Landesregierung Wohlwollen signalisiert. Die Vorzeichen stehen also günstig. Eigentlich.

Doch der Streit beinhaltet nach wie vor eine Phantom-Debatte, die man unter die Überschrift "Elbphilharmonie Ost" stellen könnte. Denn auch davon wurde in Dresden geträumt, die ersten Ideen entstanden noch zu DDR-Zeiten. Ein schicker neuer Konzertsaal direkt an der Elbe? Der Hamburger Gast hat sofort ein 1a-Déjà-vu. Aber anders als in der West-Partnerstadt gab es hier kaum mehr als eigenwillige Vorstellungen. Es gab keinen beflügelnden Entwurf, und den Wahrzeichen-Image-Schub, den Hamburgs Politik mit der Elbphilharmonie auszulösen hoffte, benötigt Dresden nun wirklich nicht. Die Stadt hat mit Frauenkirche, Zwinger, Semperoper und Grünem Gewölbe reichlich.

Außer ihrer Vision eines State-of-the-Art-Neubaus gegenüber der Brühlschen Terrasse hatte die Pro-Konzerthaus-Fraktion kaum Konkretes vorzuweisen. Motor war kurioserweise die Landesärztekammer, die sich eine satte, staatlich abgesicherte Rendite für 60 Millionen Euro aus ihrer Pensionskasse ausgerechnet hatte. Es gab Solidaritätsäußerungen einiger Star-Dirigenten und die sportliche Ansage des Dresdner Altstars Peter Schreier, der glaubte, 40 Millionen Euro für eine Stiftung sollte man doch wohl zusammenbekommen. Einen Strich durch all diese Milchmädchenrechnungen machte die Landesregierung, die stets klar sagte, ein neues Konzerthaus sei schlicht nicht drin im Etat. Ende dieser Debatte. Die Streitereien gingen dennoch weiter.

Nicht zuletzt durch den Blick auf das Hamburger Dilemma, das er "kritisch aufmerksam" beobachte, sei Kulturbürgermeister Lunau bei den Kosten hellhörig geworden. "Das Thema Festpreis kann bei uns keine Rolle spielen, weil die Stadt selber baut. Wir tragen auch alle Baukostenrisiken selbst, mit allen Konsequenzen." Mit großen Sponsoren oder Millionenspenden, um die er Hamburg beneide, sei in Dresden nicht zu rechnen. Doch auch die Protestfraktion hat die Hamburger Prestige-Baustelle im Blick. Da habe man eine Vision, er würde nur Kultur verwalten, wird Lunau vorgeworfen. Er achtet aber lieber auf innere Werte: "Meine Aufgabe ist es, mich am Bau nicht so zu verheben, dass ich mir danach die Inhalte nicht mehr leisten kann."

Roses Meinung zur elbphilharmonischen Perspektive ist ähnlich pragmatisch: "Man weiß, dass die Partnerstadt finanziell besser aufgestellt ist und dass man sich solche großen Würfe hier nicht leisten mag." Parallelen zur Frauenkirchen-Spendenaktion, auf die von Hamburgs Kulturpolitik chronisch verwiesen wird, kann Rose nicht erkennen: "Das war nicht das bürgerschaftliche Engagement der Dresdner, sondern ganz wesentlich ausländische Spenden. An das, was in Hamburg geschehen ist, ist hier nicht zu denken." Die Geschehnisse in Hamburg waren aber für sein Anliegen förderlich: Man sei froh, sich für ein eher überschaubares Projekt entschieden zu haben und nicht für etwas so Riskantes. Lunau beurteilt das Dresdner "Kulti"-Preisschild als "ehrgeizig" und betont den festen Willen, auch beim Bau im geplanten Zeitrahmen zu bleiben.

Dresden ist mit seiner Debatte trotz der lokalen Besonderheiten nicht allein - auch in München wird seit Jahren über Gasteig und Marstall gestritten, in Bonn hat man sich gerade aus Kostengründen den Bau eines Beethovenhalle-Nachfolgers verkniffen. Doch dem ersten Eindruck des Ortsfremden, die ganze Streiterei hier hätte vor allem mit trotziger Ostalgie zu tun, widersprechen Lunau (Ost) und Rose (West) unisono. "Die Konfliktlinien verlaufen quer durch alle Lager, durch alle Milieus", sagt Rose. Wie streitfreudig die Dresdner sind, haben sie mit der Posse um die Waldschlösschenbrücke bewiesen.

Unterdessen läuft der Countdown für den "Kulti". Seit Dezember wird die Ausführungsplanung erarbeitet. Im Herbst sollen die Würfel fallen. Davor könnte noch mal Aufruhr ausbrechen. Gibt es grünes Licht, soll ab Ende 2012 entkernt und neu gefüllt werden. Die Eröffnung ist für 2014 geplant, pünktlich zum 145-jährigen Geburtstag der Philharmonie. Dann soll die Hamburger Elbphilharmonie längst vollendet sein. Wetten für beide Adressen werden noch angenommen.