Der Verein Oberhafen will mit unkonventionellen Einfällen Leben in das sechseinhalb Hektar große Areal am Rande der HafenCity bringen.

Hamburg. Am Oberhafen, genau 1000 Meter Luftlinie vom Hauptbahnhof entfernt, steht ein schiefes Haus. Auf den Straßen liegt Kopfsteinpflaster, die Gleise rosten. Die langen Lagerhallen haben - genau wie das gesamte Oberhafenquartier - den unvergleichlichen, verwilderten Charme vom Alt-Hafen. Erledigtes trifft auf Unfertiges.

2015 bekommt das Quartier seine zweite Chance, wenn das Gebiet aus der Bahn- und Logistik-Nutzung herauskommt und "kreativ" entwickelt werden soll. Beste Voraussetzungen, um Goldgräberstimmung aufkommen zu lassen. So schön alt, mitten in der Stadt, sechseinhalb Hektar groß. Eine Insel im Hafen, wo man wegen nicht vorhandener Nachbarschaft in aller Ruhe laut werden und: groß rauskommen kann.

Das schiefe Haus, die Gaststätte Oberhafenkantine, ist Treffpunkt eines frisch gegründeten Vereins von Menschen, die die Stadien "Jungkünstler" oder "Berufsanfänger" hinter sich haben. Gastronomen, Städteplaner, Designer, Künstler, Unternehmer, Berater, Sänger und Medienmanager gehören dem Verein Oberhafen an, sie wollen den Ort als Spielwiese nutzen und für die "enge Zusammenarbeit mit Künstlern aller Genres" tätig werden. Andere europäische Städte, Rotterdam oder Oslo, haben gezeigt, dass das geht. Man muss nur wollen - und Dinge zulassen.

Oberhafenquartier soll neues Künstlerviertel werden

"Wir wollen hier spielen", sagt Sebastian Libbert, Unternehmer und Gastronom ("Oberhafenkantine", "Rialto", "Weltbühne"). "Wenn man nicht spielt, kann man nichts Neues entwickeln." Es gehe nicht um einen Häuserkampf, sondern um das Erarbeiten von Ideen, die man nach drei Jahren kreativen Grübelns über Mittel, Möglichkeiten und Wege an die Verantwortlichen übergeben könne. "Wir wollen sagen können: Das haben wir uns erspielt", sagt der Schauspieler, Sänger und Kulturmanager Ulrich Bildstein.

Die anderen Spieler in diesem Spiel mit großen Flächen und nicht gerade kleinen Summen sind dem Verein nicht fix genug. Die HafenCity sei zu "statisch" und Kreativen gegenüber nicht glaubhaft. Und die städtische Kreativ Gesellschaft sei auch noch unterbesetzt. Ideale Voraussetzungen, um Lücken zu füllen, solange sie offen stehen.

Das Oberhafenquartier wurde nach der Überarbeitung des Masterplans der HafenCity im Jahr 2010 aus der geplanten Gewerbenutzung genommen, um zu einem Kultur- und Kreativquartier zu werden. Eigentlich war das Quartier nach Vorstellung der HafenCity GmbH als Erweiterungsgebiet vorgesehen. Doch es wurde zunächst Objekt von Studien, die Titel trugen wie "Kreative Milieus" oder, Anfang 2011, "Offene Räume in Hamburg". Auch ein Symposium auf Kampnagel bemühte sich um Erkenntnisgewinne - ohne dass wirklich Konkretes passierte.

Da hat nun die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Christa Goetsch in einer Kleinen Anfrage kritisch hinterfragt (siehe unten). Sie kommt zum Schluss: "Die Weiterführung der Entwicklung dieses Prozesses hakt merklich." Der Verein sieht das ähnlich und pocht auf seinen Status als Interessenvertretung der dort schon Etablierten. "Wir sind aufgestanden, um ein Leitbild zu entwickeln und Vergabeprozesse für frei werdende Räume zu entwickeln", sagt Bildstein. Auch ein Mitspracherecht bei Vermietungen ist auf der Wunschliste.

Die Anfänge sind bereits gemacht: Eine Internetseite, die selbstbewusst Albert Einstein zitiert ("Imagination ist mächtiger als Wissen"), gibt es, auch eine Facebook-Seite. Doch die vereinigten Kreativen dementieren monetäres Interesse. Inoffizielle Haus- und Hallenmeister scheinen sie jetzt schon in bescheidenem Rahmen zu sein: Hat der eine Mieter vielleicht mehr Fläche als gerade Bedarf, kennt der Verein womöglich einen Interessenten, der froh ist über jeden Quadratmeter. Kleine Dienstwege, langfristige Wirkung, das soll hier das inoffizielle Prinzip werden.

Das Oberhafenquartier könnte tatsächlich ein in Hamburg einzigartiger Freiraum oder gar eine Marke im Wettbewerb der Städte werden; es könnte die richtige Antwort auf Stadtentwicklung mit Bürgerprotesten, der "Recht auf Stadt"-Bewegung und den Künstlern und Kreativen sein. Hamburg ist mit dem Rückkauf des Gängeviertels und der Kooperationszusage inklusive 20 Millionen Euro Sanierungskosten über seinen Schatten gesprungen - und hat einen langen Prozess zugelassen.

Auf die Frage, ob die Vereinsmitglieder sich die besten Chancen bei der zukünftigen Verteilung des Kuchens ausrechnen, antwortet Libbert kategorisch: "Wir haben kein Interesse, hier eine Immobilie für'n Euro zu kaufen. Nein. Die Gruppe hat sich formiert, weil wir sicherstellen wollen, dass es keine Privatinteressen gibt." Der Stadtplaner Micha Becker wird noch etwas deutlicher: "Die HC hat 100 000 Quadratmeter Leerstand produziert. Das ist, wenn man so will, stalinistische Planung. Wir wollen es hier kleiner und feiner und klüger machen, weil wir an den Leuten dran sind."

Informationen: www.oberhafen-ev.de