Heute beginnt die Buchmesse, Klassentreffen der Branche und “Schlachtfest der Literatur“ - schon immer haben Literaten gern gepöbelt.

Hamburg. Warum sollten Autoren besser sein als andere Menschen? Auch in der Kunst wird nicht gekuschelt, sondern gelegentlich heftig gestritten. Schriftsteller sind oftmals nur schärfer im Urteil, insbesondere wenn es um ihresgleichen geht, also um Menschen, die ebenfalls davon leben, dass sie gut mit Wörtern umzugehen wissen. Dichter beschimpfen Dichter, und Dichter beschimpfen Kritiker. Umgekehrt gilt Letzteres manchmal genauso. In den allermeisten Fällen bepöbelt sich die Branche dort, wo man erst einmal nicht mit seinem Gegenüber konfrontiert wird: auf den Kulturseiten der Zeitungen. Interessant wird es dann, wenn sich der Literaturbetrieb von Angesicht zu Angesicht trifft - wie auf der heute beginnenden Leipziger Buchmesse . Dort geht man sich dann besser aus dem Weg. Oder eben gerade nicht.

Streitereien, auch Feindseligkeiten gehören zur Literaturgeschichte, zur Musikgeschichte, zur Kunstgeschichte. Kürzlich hat der Kritiker Georg Diez den Autor Christian Kracht und seinen neuen Roman "Imperium" bezichtigt, ein "Türsteher (wohl eher Türöffner) rechter Gedanken" zu sein. Dies war eine öffentliche Äußerung (viele Schmähungen finden im privaten Umfeld statt, in Briefen, Mails und auf Partys), aus der sich eine Debatte entspann. Der Streit belebte die Feuilletons. Und fand auf einem gesitteten Niveau statt. Dies ist nicht die Regel, weil manche Boshaftigkeiten allein auf Neid und Hass, mindestens aber auf tief sitzenden Ressentiments beruhen.

+++ Leipziger Buchmesse 2012 +++

Am berühmtesten ist vielleicht Goethes pauschale Verdammung des Kritikers aus dem Jahr 1773: "Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent!" Bei derlei verbaler Kraftmeierei, die ganz offene Mordgelüste offenbart, bleiben keine Fragen offen. Karl Kraus, der 1874 geborene österreichische Schriftsteller und Satiriker, bekannt für seine messerscharfen Angriffe, äußerte sich einmal ähnlich grundsätzlich wie Goethe: "Warum schreibt mancher? Weil er nicht genug Charakter hat, nicht zu schreiben." Er führte Schlammschlachten mit Zeitgenossen wie Maximilian Harden, Alfred Kerr und seinem Landsmann Hugo von Hofmannsthal, über den er schrieb: "Die große Menge hatte doch schon bei der Geburt des Herrn von Hofmannsthal gehofft, dass er einmal in den Schlafrock des alten Goethe hineinwachsen werde. Jetzt sollte er einmal ernstlich dazu schauen. Die Allüren sind da, die Beschäftigung mit dem Theater gleichfalls, gelegentliche Feuilletons zum Lobe schmieriger Kompilatoren können als Gelegenheitsdichtungen aufgefasst werden - kurz, es ist alles da: Nur der dritte Teil des ,Faust' bleibt unvollendet."

Zur gleichen Zeit wie Kraus urteilte Großschriftsteller Thomas Mann über den Philosophen Theodor Lessing: "Die Atemluft dieses Menschen ekelt mich: man mag den alternden Nichtsnutz als Privatdozenten in Hannover dulden, bis man ihn endlich ins Irrenhaus steckt." Nur wenige Jahre später bestätigte der Dichter Gottfried Benn einem jungen Autor, der ihm ein Manuskript zugeschickt hatte, dass er ihn für einen "der größten Dichter des Postbezirkes Neukölln" halte.

Schon mehr als 100 Jahre zuvor hatte der bedeutende Düsseldorfer Romantikchronist, Romancier, Diplomat und Biograf Karl Varnhagen von Ense geschrieben: "In der Literatur geht es nicht wie in einer Teegesellschaft zu; die Literatur ist ein Schlachtfest und eine Schandbühne, es gibt Wunden und Stiche in Menge, neben wenigen Ehrenzeichen, die am Ende auch wenig gelten. Das Vergnügen an der Sache ist das Beste daran, wie bei der Jagd."

Fünf Themen dienen als Grundmotive der Dichterfehden: Sex, Eitelkeit, Politik, Geld und Neid. Gelegentlich gehen dann auch die Anfeindungen in diese Richtung: "Er hat eine neue Mätresse? Unmöglich - bei dem schläft doch nur das Publikum", urteilte der Regisseur und Choreograf Jean Cocteau über den Dramatiker Jean Anouilh. In keiner anderen Kultur leben die Dichter auf so engem Raum zusammen wie die französischen Schriftsteller in Paris. Freund- und Feindschaften sind die logische Folge. Als "bretonische Kuh der Literatur" wurde die Dichterin George Sand um 1900 vom Autor Jules Renard beschimpft. Die junge Autorin Marie Darrieussecq musste sich vor 15 Jahren sagen lassen, dass man auch in einem Buch mit dem Titel "Schweinerei" nicht unbedingt wie eine Sau schreiben sollte.

Dass Gehässigkeiten auch international ausgetauscht werden, zeigt Franz Grillparzers Äußerung über den französischen Romancier Honoré de Balzac: "Ich glaube, der Kerl ist wahnsinnig geworden." Der französische Romanautor Victor Hugo war kein Freund Goethes und bemerkte einmal abschätzig: "Ach, gehen Sie mir doch weg mit diesem Goethe! Was hat er denn schon geschrieben - abgesehen von den ,Räubern?'" Als ihn jemand vorsichtig auf den Irrtum aufmerksam machte, dass die "Räuber" von Schiller seien, entgegnete der Meister triumphierend: "Na also, nicht einmal das ist von ihm!"

Auch zwei der weltberühmtesten lateinamerikanischen Autoren mögen einander nicht. Der Dichter Jorge Luis Borges urteilt über den Nobelpreisträger Gabriel Garcia Márques und dessen berühmtesten Roman: "Es ist ein Jammer, dass viele Bücher gegen Ende abfallen. Bei 'Hundert Jahre Einsamkeit' zum Beispiel: 80 Jahre hätten es auch getan." Im Komitee, das den Literaturnobelpreis vergibt, ist man hingegen zu Stillschweigen verpflichtet. Eigentlich.

Einer der Juroren machte eine Ausnahme. Nobelpreisjuror Knud Ahnlund trat aus der Akademie aus und bezeichnete die Arbeit der mit dem Preis ausgezeichneten Autorin Elfriede Jelineks als "jammernde und lustlose Gewaltpornografie", geprägt von "parasitärem Charakter", es sei "von aufgeblasenem Umfang, der in schreiendem Kontrast zu ausgesprochen dünn gesäten Ideen und Visionen steht". Weiter schrieb Ahnlund: "Erniedrigung, Demütigung, Schändung, Sadismus und Masochismus sind Hauptthemen ihrer Welt. Sie schließen andere Aspekte des Menschen aus, weshalb ihr Werk so armselig und dürftig ausfällt."

Aber auch unter Musikern herrscht ein rauer Ton. Peter Tschaikowsky urteilte über Johannes Brahms: "Was für eine gehaltlose Mischung ist doch die Musik von Brahms. Es empört mich immer, wenn diese aufgeblähte Mittelmäßigkeit für genial gehalten wird." Camille Saint-Saens langweilt Max Reger: "Das fängt nicht an, das hört nicht auf, das dauert nur." Maurice Ravel hasst Camille Saint-Saens: "Saint-Saens hat während des Krieges allerhand Musik komponiert. Hätte er stattdessen Granathülsen gedreht, wäre es vielleicht ein Gewinn für die Musik gewesen." Schon Georg Bizet urteilte über Guiseppe Verdi: "Man hat kürzlich eine neue Oper von Verdi gespielt. Ekelerregend!" Und Richard Wagner empfand Franz Schubert als "ein drittrangiges Talent".

Thomas Bernhards Literatur lebt von Nörgeleien und Gehässigkeiten. Mit großer Geste beschimpfte er den Verleger Siegfried Unseld: "Hätten Sie doch (...) eine dreitausend Blätter lange Klopapierrolle gedruckt und unter dem Suhrkampsignet herausgegeben."

Suhrkamp wird auch auf der diesjährigen Buchmesse ganz sicher wieder Gossip-Thema sein. Eines unter unendlich vielen. Ja, die Literatur ist ein Schlachtfest. Und das Vergnügen an der Sache ist das Beste daran.