Die Buchmesse lockt dieser Tage viele wichtige Schriftsteller ins Land - der Brite Martin Amis etwa stellt heute seinen neuen Roman in Hamburg vor

Unter den berühmten, britischen Autoren unserer Zeit, wie etwa Ian McEwan oder Julian Barnes, ist Martin Amis der berüchtigtste, der Bad Boy, das Enfant terrible. Amis, der heute 62 Jahre alt ist, hat ein aufregendes Leben geführt und ebenso aufregende Bücher geschrieben. Viele davon handeln von Bad Boys, von Stalin, Pornokönigen, einem Mörder. Amis ist ein brillanter Sittenporträtist. Er schreibt über den Verlust der Intimität, über Mediengeilheit, Brutalisierung, Verblödung und "Obszönisierung" der Gesellschaft, und das auch noch unterhaltsam. Sein neuer Roman "Die schwangere Witwe" spielt inmitten einer Gruppe junger Menschen, die zu Beginn der 70er-Jahre Ferien auf einem Schloss in Italien machen und dabei hauptsächlich über Eroberungen, Seitensprünge und fleischliche Begierden sprechen. Die Zeit der sexuellen Revolution hat gerade begonnen. "Frauen verhalten sich jetzt auch wie Männer", und der 21-jährige Keith, der im Mittelpunkt des Romans steht, spürt, dass er nun, auch wenn er darf, nicht so kann, wie er will. Das Leben wird kompliziert. Gut geschrieben ist das alles, doch leider, durch allzu viele Dialoge, durch Perspektivenwechsel und jede Menge Personal, auch ein bisschen leblos. Keith, seine Schwester Violet, seine Freundin Lily, Scheherazade, die er begehrt, der nur 1,47 Meter große Adriano und viele, viele andere, die dort urlauben oder zu Besuch kommen - sie bleiben Figuren aus Papier.

Martin Amis wurde in Oxford als Sohn eines berühmten Schriftstellers geboren - des für Alkoholexzesse, Affären und seinen gnadenlosen Blick berüchtigten Kingsley Amis. Schon für seinen ersten, 1973 erschienenen Roman "The Rachel Papers" über einen sexuell strotzenden 19-Jährigen bekam er den Somerset Maugham Award. Dann schockierte er in "Dead Babies" (1975) "Success" (1978) und "Money" (Gier, 1984) mit deftiger Pornografie und gemeinen Charakteren. Auch in "Yellow Dog" und "Pornoland" bedient er sein Image, anstößige Romane zu liefern. Amis kann beobachten, schreiben und, wenn es sein muss, halb England unterhalten. Als er 2000 seine Autobiografie veröffentlichte ("Experiences", deutsch 2005: "Hauptsachen") und sich erstmals nicht in kalter Satire über Menschen äußerte, sondern das Leben seiner Familie als eine "kontinuierliche Verwandlung von Unschuld in Erfahrung" beschrieb, zerriss sich die Nation vor allem über Amis' 20 000 Dollar teure Zahnbehandlung den Mund.

Hauptfigur Keith in "Die schwangere Witwe" ist im Sommer 1970 22 Jahre alt, studiert Literatur und gibt sich dem schönen Leben hin. Plötzlich gibt es "Sex vor der Ehe für nahezu jedermann. Und nicht nur mit der Person, die du einmal heiraten wirst", schreibt Amis. "Gewisse Kreise jedoch fanden Sex vor der Ehe beunruhigend. Wer? Diejenigen, für die es keinen Sex vor der Ehe gegeben hatte." Das ist die Verheißung, die durch den italienischen Sommer wabert. Und Amis, der das alles dialogreich und leichthin beschreibt, folgt seinen Figuren in die späteren Jahrzehnte. Kurz gesagt, entpuppt sich die sexuelle Verheißung nicht als das, was sie zu versprechen vorgab. Die Konsequenzen dieser kleinen Kulturrevolution, die mit der Antibabypille, Miniröcken, "oben ohne" und der Forderung nach gleicher Bezahlung für Mann und Frau begann, endet in Geschlechterkämpfen, sinkenden Geburtenraten und dem Ruf, der Keith Jahrzehnte später von seiner Tochter entgegendröhnt, "wir sind durch und durch Porno". Die sexuelle Revolution war, wie jede Revolution, nicht nur ein Erfolg.

Kein schlechtes Thema. Und auch gar kein schlechtes Buch. Aber auch kein ganz gutes.

Martin Amis liest heute Abend im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr 8/10 Euro