Was ist ein starker Abgang? Regisseure und Intendanten wissen, wie der Rücktritt von Horst Köhler besser ausgesehen hätte

Hamburg. Im Hintergrund ist eine graue Gardine zu sehen. Bundespräsident Horst Köhler steht am Rednerpult: "Ich erkläre hiermit (Blick nach unten, ins Manuskript) meinen Rücktritt vom Amt (blickt auf) des Bundespräsidenten (Blick ins Manuskript). Mit sofortiger Wirkung (blickt auf, dann ins Manuskript). Ich danke (Blick ins Manuskript) den vielen Menschen (blickt auf) in Deutschland, die mir (Blick ins Manuskript) Vertrauen entgegengebracht (blickt kurz auf, dann wieder ins Manuskript) und meine Arbeit unterstützt haben." Die Worte abgehackt, der Blick starr, wässrig, geschmerzt. Nach einigen tonlosen Sekunden ergreift Köhler die Hand seiner links neben ihm stehenden Frau und schreitet hinaus.

Sieht so, theatralisch gesehen, ein guter Abgang aus? Bestimmt nicht. Theaterleute - Regisseure, Dramaturgen, Schauspieler - wissen, wie man einen großen Abgang inszeniert. Und erklärten uns einiges dazu.

"Es fängt schon damit an, dass der Abgang auf der Bühne, wenn er nach links stattfindet, das Dramatische, Einsame des Moments betont", weiß Kiels Generalintendant Daniel Karasek. "Einen großen, tragischen Abgang inszeniert man auf der Bühne nach rechts. Rechts liegt die Spannung, dahin läuft der Blick der Zuschauer. Einen Machthaber kann man auch durch die Mitte abgehen lassen. Dazu muss der Schauspieler aber das nötige Selbstbewusstsein mitbringen", sagt der Regisseur. "In jedem Fall muss der Abgang gerade sein, erhobenen Hauptes. Alles, was schief ist, akzeptieren wir nicht." Was Köhler da für ein Bild abgab, zeigte für Karasek einen "schwachen, kleinen Menschen, einen Beamten, beleidigt und eitel. Er wirkte unsouverän. Was ist das für ein Politiker, der bei so geringem Anlass schon aufgibt?"

Dass Theaterleute etwas von starken Abgängen verstehen, hat beispielsweise der Autor Rolf Hochhuth gezeigt, der im vergangenen Jahr dem Intendanten des Berliner Ensembles, Claus Peymann, verbieten wollte, das Theater "theaterfernen Zwecken" zu überlassen. Man traf sich vor Gericht. Als der Richter erahnen ließ, er würde die Klage abweisen, legte Hochhuth einen bühnenreifen Abgang hin: Sein Stuhl flog zur Seite, er stürmte aus dem Saal, knallte die Tür zu. Für den Chefdramaturgen des Schauspielhauses, Michael Propfe, liegt Horst Köhlers Problem darin, "dass ihm nicht Shakespeare den Text geschrieben hat, sondern er sich selbst. Ein Abgang hat immer etwas mit dem Format zu tun, das man vorher hatte. Ein kleines Format ergibt dann einen entsprechenden Abgang."

Thalia-Intendant Joachim Lux stört die "Unverhältnismäßigkeit der Mittel" an Köhlers Reaktion. "Der Anlass für seinen Rücktritt war viel zu gering." Lux weiß auch: "Im Drama gibt es praktisch keine Rücktritte. Dort stirbt man, wird umgebracht oder abgesetzt. Rücktritte aus nichtigem Anlass gibt es nur in der Komödie." Joachim Lux, gelernter Dramaturg, würde einem Schauspieler, der Köhlers Rolle spielt, drei Anweisungen mitgeben: "Halte deine Rede frei. Schau den Menschen ins Gesicht. Komm nicht Händchen haltend mit deiner Ehefrau."

Burgtheaterintendant Matthias Hartmann störten vor allem die Blicke und Pausen an Köhlers Auftritt: "Ich möchte vorausschicken, dass ich Horst Köhler großartig finde", sagt Hartmann. "Aber er hätte weniger ablesen sollen. Die Pausen, in denen er in die Kamera geblickt hat, waren viel zu lang und absichtsvoll. Er wollte wohl der Sache damit ein größeres Gewicht verleihen. Aber die hatte sie von alleine." Eitel seien ja Theaterleute alle, weiß Regisseur Hartmann, "aber ein Bundespräsident darf es nicht sein." Die Krux von Köhlers schlechtem Abgang liege darin, dass ein Drama mehrere Akte braucht. "Hier war kein Spielraum." Würde er den Abgang eines Politikers inszenieren, interessiert ihn vor allem "die Entourage, die ratlos im Kreis herumrennt und stammelt". Schließlich handeln Königsdramen auch nach dem Motto: Der König ist tot. Lang lebe der König."

Wie aber bekommt man einen starken Abgang hin? Fragt man den Schauspieler Ulrich Tukur, so weiß er: "Einen starken Abgang macht man hoch erhobenen Hauptes. Man wirft Schultern und Haartolle zurück und schreitet elegant hinaus. Ab in die Kantine. Dort bestellt man sich ein Schnitzel und ein Bier. So merkt man, dass die Rolle zu Ende ist und man wieder zum Privatmann wird."

Auch René Pollesch, einen der bekanntesten Gegenwartsregisseure, stört, wie sehr sich der Politiker und der Privatmann Köhler vermischt haben. "Die Öffentlichkeit erwartet heute von Politikern Authentizität. Aber sie sollen lieber wieder ihre Rolle spielen - in diesem Fall die des Bundespräsidenten - und einen nicht damit belästigen, wie sie wirklich sind! Politiker denken, es wäre unaufrichtig, wenn sie Theater spielen. Das Problem ist, dass leider kein Theater gespielt wurde und es deshalb auch keine Möglichkeit eines Abgangs gab. Köhler war zu authentisch für sein Amt, konnte nicht unterscheiden zwischen dem Amt und seiner Person. Deshalb ist er ein schlechter, naiver Schauspieler. Hier war er kein Bundespräsident, sondern eine beleidigte Privatperson."

Regisseur Jürgen Flimm empfindet Köhlers Rücktritt als "gelungen, weil er mich gerührt hat. Im Theater hätte man ihn allerdings anders gestaltet. Vielleicht als 'falschen Abgang'. Der Präsident wäre zurückgekommen und hätte auf die verdutzte Reaktion der Journalisten gesagt: 'Gell, das habt ihr mir nicht zugetraut.' Dann hätten alle Mitarbeiter aus den Türen stürmen und ihm tosenden Applaus spenden müssen. Und seine Frau hätte ihm einen Kuss gegeben wie Vivien Leigh Clark Gable in 'Vom Winde verweht'."

Ja, so wär's auch gegangen. Verrisse hätt's dafür wohl keine gegeben.