Merkel bedauert Entscheidung “aufs Allerhärteste“. Opposition fordert überparteiliche Persönlichkeit als Nachfolger

Berlin. Bundespräsident Horst Köhler ist völlig überraschend zurückgetreten und hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition in schwere Turbulenzen gestürzt. Er begründete seinen beispiellosen Rückzug mit der Kritik an seinen Äußerungen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Ein Nachfolger muss bis zum 30. Juni gewählt sein. Im Gespräch sind neben anderen Finanzminister Wolfgang Schäuble, Bildungsministerin Annette Schavan und Bundestagspräsident Norbert Lammert (alle CDU).

Köhler machte in einer kurzen Presseerklärung deutlich, dass die Vorwürfe ihn schwer getroffen haben. Die Kritik sei unberechtigt, dass er Einsätze der Bundeswehr befürwortet habe, die vom Grundgesetz nicht gedeckt seien. "Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen." Merkel zeigte sich tief betroffen. Köhler habe sie erst am Mittag angerufen und informiert. Der Versuch, ihn umzustimmen, "ist leider nicht gelungen". Sie bedauere die Entscheidung "aufs Allerhärteste". Köhler sei sechs Jahre lang ein Präsident der Bürger gewesen und für sie ein wichtiger Ratgeber in der Wirtschafts- und Finanzkrise. Er habe "das Ansehen unseres Landes gestärkt", sagte Merkel. Der Bremer Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) übernahm als Bundesratspräsident vorläufig die Amtsgeschäfte.

Köhler war als Kandidat von Union und FDP im Mai 2004 gewählt und 2009 für fünf Jahre bestätigt worden. In der Bundesversammlung, die den neuen Präsidenten wählt, haben Union und FDP eine klare Mehrheit. Die drei Parteichefs der Koalition - Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) - beraten an diesem Dienstagvormittag bei einem Treffen zur Gesundheitsreform voraussichtlich auch über die Köhler-Nachfolge.

SPD und Grüne riefen dazu auf, eine überparteiliche Persönlichkeit für die Nachfolge Köhlers zu nominieren. "Wir brauchen in dieser ernsten Situation jetzt eine Persönlichkeit an der Spitze des Staates, die über die Partei- und Lagergrenzen hinweg unterstützt und auch in der Bevölkerung breit getragen wird", sagte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir dem Hamburger Abendblatt. "Angela Merkel sollte deshalb auf die im Bundestag vertretenen Parteien zugehen und sich ernsthaft für einen möglichst breit getragenen Vorschlag einsetzen." Ähnlich äußerte sich der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Olaf Scholz. "Der Bundespräsident muss, egal von welchen Parteien er gewählt wird, sein Amt überparteilich wahrnehmen", sagte er dem Abendblatt. Persönlichkeit müsse im Vordergrund stehen. "Das sollten alle Parteien bedenken." Der neue niedersächsische SPD-Vorsitzende Olaf Lies und Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner brachten die nach einer Alkoholfahrt zurückgetretene Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, ins Gespräch.

In der ersten Amtszeit genoss Köhler große Zustimmung. Zuletzt wurde kritisiert, er habe sich zu wenig zu Wort gemeldet. Köhler sagte in seinem Amtssitz: "Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten."

Der Präsident hatte Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit Wirtschaftsinteressen begründet und damit heftigen Widerspruch ausgelöst. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen. "Ich bitte Sie um Verständnis für meine Entscheidung", sagte Köhler. Dann verließ er mit seiner Ehefrau Eva Luise Schloss Bellevue in einer Limousine.