Zu den Veranstaltungen der zehnten Ausgabe der Langen Nacht der Museen kamen mehr als 30 000 Besucher. Bis 2 Uhr waren die Ausstellungen geöffnet.

Hamburg. Ein Stillleben: Junger Mann und junge Frau, über ihnen der Sternenhimmel, sie sitzen auf einer steinernen Fläche. Im Hintergrund der Neubau der Kunsthalle, aus der warmes Licht nach draußen fällt. Neben der jungen Frau steht eine rosafarbene Tüte mit "Pop Life"-Schriftzug, ein ziemlich heutiger Merchandising-Artikel im immerwährenden romantischen Bild, wie es Caspar David Friedrich auf die Leinwand hätte malen können. Aber er hätte den Trubel, die Aufgeregtheit und das Gewese weggelassen.

Es läuft die zehnte, die Jubiläumsausgabe der Langen Nacht der Museen, und in Hamburg ist alles auf den Beinen, was in einer milden Frühlingsnacht den Kunst-, Kultur- und Geschichtsraum der Stadt einnehmen möchte. Um 22 Uhr lässt sich erahnen, dass die Kunsthalle der Publikumsmagnet des musealen Spektakels ist. Über 10 000 werden am Ende hier gewesen sein. Und irgendwo auch Gefallen gefunden haben an dem Schieben und Warten. Vielleicht ist Dabeisein alles, und Gustave Le Bon hätte wohl seine Freude an der Psychologie dieser Massen, die sich an den die Populärkultur grell ausstellenden Arbeiten Jeff Koons' entlangdrückt. Gelenkt werden sie vom Interesse an den schönen Dingen, die es zu sehen gibt, bestimmt aber auch von der Lust am Event.

Wir stehen vor einer Fotografie, die Andy Warhol, den Mann der Alltagskultur, zeigt, wie er John Lennon auf die Wange küsst. Zwei Figuren des Pop in einer intimen Situation, der Aufmerksamkeit aller bewusst preisgegeben. Die Ausstellung als Ort, an der sich die Gesellschaft ihrer Antriebe und Weltauslegungen erinnert: Wenn zu deren Besuch eine populäre, sehr gut frequentierte Nacht der Museen beiträgt, dann wird ein Museum vielleicht selbst zu Pop.

Die Deichtorhallen hatten jedenfalls den Beat: Vor dem Haus der Photographie trommelte den gesamten Abend eine afrobrasilianische Rhythmusgruppe. Nur eine von 600 Perfomances und Vorführungen, aus denen die insgesamt 30 000 Besucher der Museumsnacht wählen konnten. "Und der Bus hier, der ist noch leer", ruft der aufs Trottoir vor dem Kunstverein springende Herr. Dabei ist das Fahrzeug, das er gerade verlassen hat, knüppelvoll. In den in dieser Nacht, nun ja, tatsächlich pulsierenden kulturellen Lebensadern Hamburgs fließen Menschen zu Fuß oder in Bussen. Der Busfahrer wird zum eifrigen Führer, der im Minutentakt 46 Ausstellungsorte, vom Afghanischen Museum bis zum Zoologischen Museum der Universität, ansteuert.

Überhaupt die, die arbeiten müssen. 900 Helfer. Am Steuer eines Busses, in der Würstchen- und Bierbude. Im Museumsshop, in dem das Piepen des Scanners noch um eins durch den Raum jagt. An den Wänden der mit materiellen und ideellen Werten gefüllten Schatzkammern, wo sie stehen: die oft ehrenamtlich arbeitenden Aufpasser. Zur Mitternachtsstunde entschlüpft ihnen auch mal ein Gähnen, sie zupfen dann einen Fussel von ihrer Uniform, um sofort wieder wachsam über die Exponate zu wachen. "Viel los heute", sagt eine Dame vom Wachdienst und plustert die Backen auf. Wir verharren vor der Figur des britischen Bootsmannsmaats der Royal Navy, die im Maritimen Museum neben den Modellschiffen steht. Er schickt sich an, einen Seefahrerknoten in sein dickes Seil zu machen, seit 200 Jahren schon, seitdem dieses Kunstwerk entstand. Der Sicherheitsmann steht erst seit fünf Stunden an der nahen Treppe, aber sein Job ist genauso hart. Lange Nacht der Museen, das bedeutet auch: eher Stress als Kontemplation, eher Kunst im Vorbeigehen als Muße. Was nicht heißt, dass niemand gedankenverloren vor einem Ausstellungsstück stehen bliebe. Das Motto der Museumsparty ist ja auch in Friedrichs Gemälde "Meeresufer im Mondschein" festgehalten, aber dort ziehen Wolken.

Die Hamburger Nacht ist wolkenfrei, die Museumsmeile zwischen Kunsthalle und Deichtorhallen, die Wege in der Hafencity zwischen Automuseum und Hafenmuseum sind bevölkert wie selten. Und zwar von Kulturbeflissenen jeden Alters: von Best-Agers (über 50-Jährige mit Zeit und Geld) und den ganz reifen Semestern, aber auch dem jungen Ausgehvolk, das sich in den Schlangen vor dem Beatles-Museum die Beine in den Bauch steht oder mit iPhones hantierend durch die Schirner-Ausstellung im Haus der Photographie rennt. Es ist ein Gefühl wie auf einer Klassenfahrt, wenn ganze Gruppen von Ort zu Ort wandern. Der Museumsbesuch als Happening. Andere sind ohne Begleitung unterwegs, aber nie allein. Japaner, Franzosen, Spanier, Bayern: alle da. Im Schnitt schaffen sie wahrscheinlich 3,47 Museen, aber gewonnen hat ja auch nicht der, der das größte Pensum abspult. Doch ein bisschen Effizienz muss doch, bitteschön, schon sein: "Pop Life, Mensch! Den andern Kram kannst du doch das ganze Jahr über sehen." Schnarrende Stimme, aber er hat ja recht, und so fügt sie sich.

Kultur gibt dem Leben Würze und ist das Schmiermittel der Gesellschaft, weil Schönes und Vergangenes zum Nachdenken anregen. Kultur als wichtiger Zusatzstoff also zu den Bereichen der Arbeit, der Politik und der Wirtschaft: Wir beschließen, derlei allegorische Überlegungen in einen Besuch des Deutschen Zusatzstoffmuseums umzumünzen, das erstmals an der Langen Nacht der Museen teilnimmt und wo erklärt wird, welche Aromastoffe zur Herstellung von Lebensmitteln verwendet werden. Die Busse, die in Leuchtschrift von der "Museumsnacht" künden, sind voll. Also latschen wir zu Fuß auf dem Großmarkt herum, auf der Suche nach dem Abseitigen. Wir sind nicht die einzigen, die das Museum nicht finden, Schilder gibt es nicht, in dieser Gegend der Lagerhallen und Bahngleise.

Aber das macht nichts, denken wir. Vielleicht ist Kultur ja auch gar nicht ein Zusatzstoff, sondern die Hauptsache.