Viele Schauspieler werden die Rolle ihres Lebens nicht mehr los. Jessica Schwarz tritt in der Filmbiographie “Romy“ ein schweres Erbe an.

Hamburg. Im Leben eines jeden großen Schauspielers gibt es sie: die eine Rolle, die die Karriere durchrüttelt und in ein Vorher und ein Nachher teilt. Das ist bei Hollywoodstars nicht anders als bei deutschen Darstellern. Bei manch einem kommt diese Rolle zu einem frühen Zeitpunkt, wie die "Sissi" für Romy Schneider, bei anderen erst im fortgeschrittenen Karrierestadium wie "Der Pate" für Marlon Brando.

Manchmal kommt sie in letzter Minute: Ulrich Mühe wurde für seinen Auftritt als Stasi-Offizier in "Das Leben der Anderen" endlich die Anerkennung zuteil, um die er sich so lange vergeblich bemüht hatte. Er starb nur wenige Monate nach der Oscar-Prämierung des Films - selten spielten Kino und Leben derart schicksalhaft ineinander.

Um nicht weniger als die Rolle ihres Lebens könnte es heute Abend für die 32-jährige Jessica Schwarz gehen, die bislang wütende junge Frauen in Dominik-Graf-Fernsehdramen dargestellt hat, im Kino eine traurige Geliebte in "Der Liebeswunsch" und eine verzweifelte Mutter in "Die Tür" - jede davon eindrucksvoll, keine unvergesslich. Torsten C. Fischers ARD-Film "Romy" muss dagegen nicht nur beweisen, ob er dem Leben der legendären Schauspielerin gerecht zu werden vermag und ob Filmbiografien zur publikumswirksamen Primetime-Unterhaltung taugen ("Der Mann aus der Pfalz" über Helmut Kohl hat kürzlich das Gegenteil nahegelegt: Nicht einmal drei Millionen schauten zu).

"Romy" wird auch und vor allem zeigen, ob es Schwarz gelingt, sich ins kollektive Zuschauergedächtnis hineinzuspielen und einzugehen in die Annalen der Branche als jene Frau, die Romy Schneider nach ihrem frühen Tod 1982, bildhaft gesprochen, zum Leben erweckt hat. Um weitaus mehr als um ein paar Zahlen vor und hinter dem Komma geht es also am Tag nach der Ausstrahlung, wenn die Quoten feststehen.

Die Rolle des Lebens ist in den meisten Fällen Segen und Fluch zugleich. Für Romy Schneider bestand ja gerade darin das Drama ihrer Karriere, ach was, ihrer gesamten Existenz: dass sie die "Sissi" zeitlebens nicht loswurde, da konnte sie unter Claude Sautets Regie noch so viele wunderbare, vielschichtige Frauenfiguren spielen. Die Sissi pappe an ihr wie Grießbrei, hat sie mehr als einmal beklagt. Das ergeht einer Ulrike Folkerts kaum anders, die eine Liebeskomödie nach der nächsten drehen kann und doch immer "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal bleibt. Und taucht Götz George auf dem Bildschirm auf, winkt stets Schimanski im Hintergrund. Möglich, dass Jessica Schwarz Romy Schneider also eines fernen Tages verfluchen wird - als Schatten, den sie nie wieder losgeworden ist. Auch möglich aber, dass "Romy" ihr jene Türen öffnet, durch die nur sehr wenige Schauspielerinnen ihrer Generation gehen dürfen.

Die Idee eines Romy-Schneider-Films geistert bereits seit Anfang der 90er-Jahre durch die deutsche Film- und Fernsehlandschaft. Keines der Projekte wurde je realisiert, Marie Bäumer wird damit leben müssen, dass sie es zwar als Favoritin auf so ziemlich jede Besetzungsliste geschafft hat, aber eben nicht zum ersten Drehtag. Ein ähnliches Schicksal ereilte zuletzt Yvonne Catterfeld: Das Kinoprojekt "Eine Frau wie Romy", für das sie als Hauptdarstellerin mit viel Getue angekündigt war, wird, wie es aussieht, nie die Leinwand erblicken. Die erklärte Traumrolle bleibt: ein Traum. Ist doch nur ein Film, könnte man sagen, nur einer unter vielen. Vielleicht aber genau der eine, der Schluss macht mit dem Satz: "Der Name sagt mir was, aber wo hat die noch mal mitgespielt?" Der die Filmografie nicht um ein weiteres TV-Movie und zwei Gastauftritte in einer Krimireihe erweitert, sondern um ein Markenzeichen. Ein unverwechselbares Image, das Bestand hat im schnelllebigen Unterhaltungsgeschäft. Wie Holly Golightly vor dem "Tiffany's"-Schaufenster, "Pretty Woman" auf dem Rodeo Drive oder, um in Deutschland zu bleiben, Hanna Schygullas "Maria Braun" oder Armin Mueller-Stahls kongeniale Thomas-Mann-Verkörperung in "Die Manns".

Nun definiert sich die bedeutende Rolle nicht zwangsläufig über ihre Fallhöhe - auch wenn PR-Aktionen heutzutage eher das Gegenteil vermuten lassen. Bei Franka Potente zum Beispiel hatte wohl kein Mensch damit gerechnet, dass ihr ausgerechnet als rothaarige Lola in einer kleinen, feinen Fingerübung von Tom Tykwer der schauspielerische Durchbruch gelingen würde. Aber dann rannte Lola, elf Jahre ist das her, wie eine Wahnsinnige durch Berlin, und der Herzschlag des deutschen Films schlug fortan ein paar Takte schneller. Potente hat seither keine Rolle mehr gespielt, die es wert wäre, sich an sie zu erinnern, weder in ihrer Heimat noch in Hollywood. "Lola rennt" aber ist Kult, millionenfach gesehen, im Ausland erfolgreich und Potentes Karriereglücksfall, von dem sie heute noch zehrt.

Bei der historischen Persönlichkeit ist die Fallhöhe ungleich größer. Das fängt schon an bei der unvermeidlichen Ähnlichkeitsdebatte, losgetreten von den Medien, kaum ist der Drehstart vermeldet: Sieht Heike (Makatsch) aus wie Hilde, Schweighöfer wie Reich-Ranicki, Jessica wie Romy? Und welche Gemeinsamkeiten haben Vorbild und Imitator? Direktvergleiche, denen Letztgenannter niemals standhalten kann - erst recht nicht, wenn es sich, wie in diesem Falle, um eine Schauspielerin (Schwarz) handelt, die eine Jahrhundertschauspielerin (Schneider) darstellt. Je länger man darüber nachdenkt, umso absurder wirkt dieses Unterfangen.

Nicht imitieren wolle sie die Romy, sondern interpretieren, hat Schwarz hundertfach zu Protokoll gegeben - wohl wissend, dass Film und Figur nur dann funktionieren, wenn sie selbst hinter der Rolle sichtbar bleibt. Wie es ausgehen kann, wenn Aktricen nur als Gesichtsvermieterinnen und blasse Interpretinnen agieren, haben Katja Flint als "Marlene" Dietrich und in diesem Jahr Heike Makatsch als "Hilde" Knef gezeigt. In beiden Fällen haben zwar vor allem Drehbuch und Regie versagt und nicht die Schauspielerinnen, doch unterm Strich bleibt: Kinoflop statt Kinohit, Trauma statt Traumrolle.

Man wird Jessica Schwarz, auch darin besteht der Drahtseilakt, heute Abend nicht nur an ihrer Leistung messen, sondern genauso am Erfolg des Films. "Romy" muss nicht an der Kinokasse bestehen, sondern darf sich im öffentlich-rechtlichen Schutzraum versuchen. Jedoch ist die Riesenrolle, auch im Fernsehen, nur möglich im Zusammenspiel mit einem Zuschauererfolg. Als Jürgen Prochnow in "Das Boot" stieg, Veronica Ferres "Das Superweib" war und Nina Hoss "Das Mädchen Rosemarie", haben Millionen zugesehen; die Werke und Hauptdarsteller haben Filmgeschichte geschrieben.

Große Rollen sind eben ein bisschen wie große Lieben: Wenn sie vor einem stehen, kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen. Doch Jessica Schwarz hat noch nie den Eindruck erweckt, als würde sie vor einer Herausforderung davonlaufen.

"Romy": heute, ARD, 20.15 Uhr

Eine Fotostrecke zu Romy Schneider finden Sie unter www.abendblatt.de/kultur-live