Die Deutsche Nobelpreisträgerin Herta Müller solidarisiert sich in Frankfurt mit bedrängten Kollegen aus China.

Frankfurt/Main. Herta Müller kommt. Herta Müller kommt nicht. Herta Müller muss Termine auf der Messe absagen wegen Krankheit. Herta Müller kommt trotz Krankheit. Herta Müller war nicht krank. Herta Müller ist da. Herta Müller hält alle Termine ein. Herta Müller weint. Um Oskar Pastior, ihren Freund und Mitautor, der 2006 während der Buchmesse starb.

Die Nachrichtenagenturen halten einen auf den Laufenden und ganz schön in Atem. Einer Literaturnobelpreisträgerin geschieht nichts, was nicht eine Nachricht wäre. Sie tut nichts, lässt nichts, weint keine Träne, ohne dass uns das mitgeteilt würde. So sind die Gesetze des Ruhms.

Herta Müller ist eine kleine, schmale Frau. Ganz in Schwarz mit schwarzbraunem Haar gibt sie einen kräftigen Kontrast ab zu den knalligen Kulissen, in denen sie befragt wird. Geduldig kämpft sich Herta Müller durch alle Fragen. Lächelt, wenn es um den Preis geht, ist ernst, wenn es um Literatur geht, wird noch immer zornig, wenn sie sich an die Jahre erinnert, in denen sie in Rumänien den Gangstern der Securitate Ceausescus ausgeliefert war. Die konnten sie "nicht unter die Erde bringen", sagt sie, obwohl sie Bücher schrieb, die das Regime nicht mochte. Denn ihre Bücher wurden auch im Westen gelesen und kriegten im Westen Preise. Also wusste das Regime, dass es nach ihrem Schicksal gefragt werden würde, falls Herta Müller verschwände. Ausländische Aufmerksamkeit bedeutete Schutz. Sagt sie, wartet, bis Kameras abgeschaltet werden, geht zwei Hallen weiter zum Stand der exilchinesischen Zeitung "The Epoch Times" und wartet, bis die Kameras wieder eingeschaltet sind.

"Ich bewundere Sie", antwortet Herta Müller auf die allzu ehrfürchtigen Fragen der chinesischen Autoren, die Bücher schreiben, die das Regime ihres Landes nicht mag: "Ich kann mir vorstellen, was es Sie kostet. Ich habe einfach Glück gehabt, die Diktatur zu überleben - sie ist vor mir gestorben." Jemand hält ihr eine Resolution hin zugunsten des Menschenrechtsanwalts Gao Zhisheng, der in Haft gehalten und gefoltert werde, heißt es. Herta Müller unterschreibt. Ausländische Aufmerksamkeit bedeutet Schutz.

Minuten später ruft die PR-Agentur an, die für das Ehrengastland China die Öffentlichkeitsarbeit betreut. "Liu Binjie, Minister für Presse und Propaganda, lädt zur Pressekonferenz ein." Der Chef der chinesischen Zensurbehörde persönlich werde, nachdem die offiziellen Vertreter Chinas in den Tagen zuvor Interviews abgesagt haben, Auskunft geben über seine Eindrücke von der Messe.

Sein Namensschild wird von einer Chinesin auf das Podium im chinesischen Forum gestellt. Dann kommt einer ihrer Kollegen, redet auf sie ein, sie nimmt das Schild wieder vom Tisch.

Was folgt, erinnert an Pressekonferenzen während der 80er-Jahre, als die Länder des damaligen Ostblocks auf der Messe den "Medienvertretern gerne für Fragen zur Verfügung" standen. Drei Herren aus dem Presse- und Propaganda-Ministerium nehmen Platz und halten Referate nicht über ihre Eindrücke von der Messe, sondern über die Produktionsziffern ihres Landes, über Urheberrecht oder über Leseförderung in der chinesischen Provinz. 45 Minuten sind vorgesehen für ihren Austausch mit den Journalisten - über die Hälfte davon füllen sie mit ihren Monologen.

Dann die Fragen. Die Mikrofone gehen gleich an Journalisten aus China, die sich nach Details aus den Referaten erkundigen und danach, wie es der chinesischen Regierung gelang, die Produktionsziffern der Druckindustrie so vorbildlich zu steigern. Als dann doch eine deutsche Journalistin das Mikrofon erhält, fragt sie nach Aufklebern, die sich auf Büchern aus Taiwan finden, und jede möglicherweise im Buch enthaltene Kritik an der Ein-China-Politik zurückweisen. Sie wird darüber belehrt, dass Taiwan noch nie ein unabhängiger Staat gewesen sei. Dann ist die Gunst der Gelegenheit groß, das Mikrofon wird mir überreicht. Ich frage, was Liu Xiaobo, dem 2008 festgenommenen Präsidenten des unabhängigen chinesischen PEN, vorgeworfen werde und weshalb er noch immer in Haft sei. Der Blick der Herren nimmt Maß, ein abschätziges Lächeln geht ihnen leicht von den Lippen. Vor dem Gesetz, wird mir beschieden, seien in China alle Menschen gleich, und falls ich wissen wolle, was Einzelnen vorgeworfen werde, solle ich mich doch bitte bei der Polizei erkundigen.

Man muss es gesehen haben, wie die Herren nach der Konferenz von ihren Kollegen umringt aus dem Saal treten. Wie sie lachen, wie sie feixen, wie der eine dem andern anerkennend gegen die Schulter knufft: Gut gemacht, prima gelaufen. Plötzlich glaubt man zu verstehen, weshalb Herta Müller noch 20 Jahre später zornig ist, sobald sie nur daran denkt.

Und beginnt zu ahnen, was es kostet, sich solchen Leuten in den Weg zu stellen, an einem Ort, an dem sie noch immer fast alle Machtmittel in Händen halten.