Wichtige Geschäfte auf der weltgrößten Literaturschau in Frankfurt werden abseits des Rummels gemacht: in Cafés, Kneipen und Hotels.

Frankfurt. Nikolaus Hansen, Hamburger Verlagsleiter (Arche und Atrium), hat seine Erlebnisse und Beobachtungen des ersten Tages per Smartphone dem Abendblatt gemailt - ein ungewöhnlicher Report in sechs Kapiteln:

Dafür, dass am Dienstag eigentlich alle Termine im Hotel Frankfurter Hof stattfinden, ist im Hessischen Hof der Teufel los.

13 Uhr Alexander Fest (Rowohlt) erzählt mir spannende Geheimnisse - wir sitzen strategisch gut, gegenüber der Rezeption, sodass ich beobachten kann, wie Michael Klett (Klett Verlag) im elegant zerknitterten Trenchcoat anreist, Inge Feltrinelli (Verlegerin) ihre sechs Koffer und Taschen durch die Lobby dirigiert und Ed Victor (Literaturagent, u. a. von Frederik Forsyth) dem Chauffeur seiner Limousine dezent Anweisungen gibt.

Nachdem mich Fest verlassen hat, kniet zwei Minuten später Günter Berg (Hoffmann und Campe) vor mir und erzählt mir dieselbe geheime Geschichte, die Fest mir gerade erzählt hatte - allerdings ganz anders ...

Gestern Nacht ist mir mein Fahrrad geklaut worden, mit dem ich mich während der Messe fortbewege. Nun geh ich statt Mittagessen ein neues kaufen ...

15 Uhr Im Frankfurter Hof (ich fahre doch mit Claudia Vidoni, Random House, mit der U-Bahn hin) beklage ich mich bei dem hinreißenden und mich alle Jahre wieder auf das Herzlichste begrüßenden Concierge, dass man mir in seiner Stadt Frankfurt das Fahrrad geklaut habe. Er fängt sofort an, Leute anzurufen, die möglicherweise ihr Fahrrad verleihen könnten, als hinter ihm ein junges Mädchen in einer Art Liftuniform den Finger hebt und flüstert, sie könne mir ihr Fahrrad leihen. Mein Glück heißt Alexandra Schmitt, und das Fahrrad ist ein pinkes Mountainbike. Und ich kann endlich zu meinem Termin mit George Gibson, Verleger von Bloomsbury US. Der ist aber nicht zu finden, und da er sein Handy zu Hause gelassen hat, telefoniere ich mit seiner Frau in New York. Dafür winkt von Weitem Claus Clausen, der wunderbarste Verleger Dänemarks (Tiderne Skifter) - früher war er um diese Tageszeit immer längst kräftig alkoholisiert, aber inzwischen ist er Großvater und will einen richtigen Termin mit mir ausmachen, um ernsthaft zu arbeiten. Michel Krüger (Hanser Verlag) wandelt sichtlich zufrieden vorbei und lässt sich gerne zu Herta Müllers Nobelpreis gratulieren, dicht gefolgt von Helge Malchow (Kiepenheuer + Witsch), dessen Autorin Kathrin Schmidt den Deutschen Buchpreis kassiert hat.

15.40 Uhr Gestern hatte ich mein Treffen mit Raffaela di Angelo, die ungefähr so schön aussieht wie sie heißt, sie trug ein traumhaftes türkises Wollkleid. Heute sehe ich sie hier im Gespräch mit Hans Peter Uebeleis (Droemer Knaur), das gleiche Wollkleid, nur in beige. Auch Engel sind nur Menschen. Und nun, wo ich wieder ein Fahrrad habe, fängt es an zu regnen - Mist!

16.15 Uhr Andrew Nurnberg (Agentur Andrew Nurnberg) war in Hamburg zum Harbourfront Literaturfestival, um seinem Autor Robert Littell die Hand zu halten - so verbringen wir unseren Termin nicht mit einem Geschäftsgespräch über Bücher, sondern Andrew lobt das Festival in höchsten Tönen, ich nicke dankbar und zufrieden ...

Ich sitze auf der Treppe, weil alle raren Plätze besetzt sind in der Lobby, als sich neben mich die englische Agentin Claire Conville setzt: "Ihr macht doch Graphic Novels - ich habe eine über die Erfindung der Logik, genau das Richtige für euch. Der Autor ist Grieche, hat ein Haus auf Paros - war gerade da, herrlich. Machst du ein Angebot?" Ich verspreche, morgen im Agent Center vorbeizukommen und mir das Material anzusehen. Das Handy surrt - es ist der Buchmesse-Promi-Service. Nicht weil ich ein Promi wäre, o nein. Aber Kulturstaatsminister Bernd Neumann möchte seinen morgigen Messerundgang an unserem Stand beginnen. Im Kopf baue ich meinen Terminplan um und sage zu, um zehn am Stand zu sein - schließlich ist Verleger auch ein politischer Beruf.

Mein Lektor Tim Jung fängt mich in der Lobby ab. "Haben Sie schon in dem Manuskript von dem siebenjährigen Mädchen gelesen, das ein Verhältnis mit einem 40 Jahre älteren Mann hat? Nein, jetzt ist sie 28, aber sie war sieben, als das anfing - kein Roman, ein Memoire." Ich verspreche, noch heute reinzuschauen.

Und ab und zu schwebt meine Fahrrad-Retterin Alexandra Schmitt vorbei, einen mit Taschen und Koffern bepackten gold bebügelten Wagen durch die Lobby schiebend. Ich lächle ihr dankbar zu.

17 Uhr Der Sexanddrugsandrockandroll-Verleger Jamie Byng (Canongate) versucht zum wiederholten Male, mir seinen Sexanddrugsandrockandroll-Autor Geoff Dyer ans Herz zu legen - "You must make an offer NOW!" In diesem Moment entdecke ich am Nebentisch Mare-Verleger Nikolaus Gelpke, mit dem nie wieder ein Wort zu reden ich mir fest vorgenommen habe, nachdem er mich mal sehr mies behandelt hat. Da mach ich doch lieber ein Angebot für Dyer ... Und dann kommt mein australischer Lieblingsverleger Michael Hayward (Text Publishing) an die Reihe. Obwohl er gar kein Sexanddrugsandrockandroll-Verleger, sondern ein höchst solider Familienvater ist, hat er die heißesten Sexanddrugsandrockandroll-Bücher im Programm. Wieder eine Siebenjährige in besessener Liebe zu einem erwachsenen Mann - dies wird wohl die Messe der Siebenjährigen. Habe auch schon ein Sachbuch angeboten bekommen heute von Peter Mayer; "The Lolita Complex" - wie die Siebenjährigen systematisch zu Sexmonstern aufgerüstet werden von einer skrupellosen Industrie - tja, wir werden älter.

17.45 Uhr Es hat aufgehört zu regnen, und ich wage meine erste Tour mit dem Fahrrad - ein Fiasko. Ich hätte es ahnen müssen: Die liebe Alexandra Schmitt ist zwar deutlich älter als sieben, aber doch noch im Alter von Mountainbike ohne Gepäckträger und Schutzblech. So eiere ich einhändig (die Mappe mit den Messeunterlagen unterm Arm) durch das vom Feierabendverkehr bewegte Frankfurt und schaffe es mit Müh und Not zur Messe, wo ich meinen frisch aus Hamburg eingetroffenen Mitarbeitern aufmunternd auf die Schultern klopfe, während die unermüdlich den Stand mit unseren Herbsttiteln bestücken - Kulturstaatsminister Neumann wird beeindruckt sein. Wir sind es jedenfalls.

Als ich gerade noch rechtzeitig zu meinem nächsten Termin im Hessischen Hof ankomme, steht draußen rauchend auf der Treppe Gary Fisketjohn (Knopf, der amerikanische Suhrkamp-Verlag), der sich schier ausschütten will vor Lachen, als er mich auf dem pinken Mountainbike angeschwubbert kommen sieht. Als ich in die Lobby stürze, surrt mein Handy - mein elfjähriger Sohn Felix: "Papi, du hattest uns doch versprochen, uns jeden Tag von der Messe eine Mail zu schicken. Wo bleibt die?" Hat er recht, hatte ich versprochen. Also, ich muss Schluss machen, muss meinen Kindern einen kleinen Bericht von der Messe schreiben ...

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