Hamburg. Was tun werdende Mütter ohne Pass und Papiere? Ihnen und weiteren Patienten hilft eine Altonaer Arztpraxis der Diakonie kostenlos.

Abena hat einen Termin bei einer Gynäkologin. Die junge Frau aus Ghana ist erschöpft, hat an Gewicht verloren, die vierte Schwangerschaft bereitet ihr gesundheitliche Probleme. Sie sitzt in einem Altonaer Wartezimmer und wird gleich mit der Fachärztin Angelika Steenbeck-Breuer sprechen können.

Immer wieder schaut sie auf ihr Smartphone. So ist sie mit einem ihrer Kinder in Ghana per WhatsApp verbunden, wenn die Nonnen neue Fotos von ihrer Tochter gepostet haben. Die christliche Kommunität kümmert sich in ihrer Heimat um das Kind.

Menschen ohne Papiere: Eine Altonaer Arztpraxis hilft ihnen in Schwangerschaft und Krankheit

Abena freut sich auf das neue Baby. Das werdende Leben in ihrem Bauch schenkt Hoffnung, nachdem zwei ihrer Kinder und ihr Mann bei einem Unfall in Ghana ums Leben gekommen waren. Was nun in der Arztpraxis folgt, ist Routine: Gespräch, Blutentnahme, Ultraschall, weitere Diagnostik und Therapie. Doch so normal diese Praxis in der Bernstorffstraße auf dem ersten Blick mit dem Wartezimmer, medizinischen Geräten und Bücherregal im Sprechzimmer wirkt – die Patientinnen und Patienten sprengen die Norm.

Migranten werden in Altona ohne Papiere medizinisch betreut

Denn sie leben ohne Papiere in Deutschland. Als Migranten aus einem Nicht-EU-Land verfügen sie über keine gültige Aufenthaltserlaubnis und schon gar nicht über eine Krankenversicherung, welche die Behandlungskosten übernimmt. Vielmehr leben sie in Angst vor Abschiebung, und deshalb lautet der reale Name der Patientin nicht Abena, sondern ganz anders.

Altonaer Praxis Andocken: Eine Clearingstelle prüft intensiv die Übernahme der Behandlungskosten

„Andocken“ heißt die zu 100 Prozent aus Spenden finanzierte Praxis in Altona. Für Geflüchtete ohne Papiere und Krankenversicherung ist sie ein Helfer in der Not. Trägerin der Einrichtung ist die Diakonie Hamburg, die hier nicht nur ärztliche Versorgung mit Möglichkeiten der Weiterbehandlung anbietet, sondern auch Sozialberatung. Für weiterführende Untersuchungen wie Röntgen oder fachärztliche Behandlung bemüht sich die Praxis, diese in enger Zusammenarbeit mit der Clearingstelle der Stadt Hamburg zu veranlassen. Das ist eine Einrichtung, die in medizinischen Notfällen nach eingehender Prüfung die Kosten für eine Behandlung übernehmen kann. Zusätzlich besteht ein Netz von Facharztpraxen, die eine Weiterbehandlung ermöglichen.

Angelika Steenbeck-Breuer arbeitet ehrenamtlich als Gynäkologin in der Praxis Andocken.
Angelika Steenbeck-Breuer arbeitet ehrenamtlich als Gynäkologin in der Praxis Andocken. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Praxis für Menschen ohne Papiere: Die Datei umfasst derzeit rund 600 Patienten

Abwechselnd stehen zehn Allgemeinmediziner, fünf Gynäkologinnen,eine Hebamme sowie weitere medizinische Fachkräfte bereit. Die Sprechstunden an drei Tagen in der Woche sind vertraulich und anonym. Ohne Einwilligung werden keine Daten weitergegeben. „Wir helfen Menschen, die im Schatten leben“, sagt Ulrike Jaenicke, Leiterin der Praxis Andocken.

Ulrike Jänicke leitet die Praxis Andocken in Altona.
Ulrike Jänicke leitet die Praxis Andocken in Altona. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Frauen auf der Flucht: Die Patientinnen der Praxis sind häufig schwer traumatisiert

Schnell wird in dem Gespräch deutlich, dass es in den Sprechstunden nicht nur um die Versorgung und Begleitung von Schwangeren durch die Hebamme und die Ärztin und die Diagnostik und Therapie von Krankheiten geht. Es ist vor allem die Geschichte ihrer Flucht aus der Heimat bis nach Deutschland, die diese Menschen bis heute gezeichnet hat. „Dabei wurden gerade die Frauen traumatisiert“, sagt Hebamme Jansen, „denn sie mussten häufig Gewalt und sexuellen Missbrauch erfahren. Wie eine 19-jährige Frau aus Benin in Westafrika. Sie kam als einer der wenigen Frauen mit einem Abtreibungswunsch in die Praxis. Die allermeisten Patientinnen aber“, sagt die Medizinerin Angelika Steenbeck-Breuer, würden sich über die Schwangerschaft freuen., Ja sie wollen unbedingt schwanger werden.“

Studie der Diakonie: In Hamburg leben Tausende Menschen ohne Papiere und damit „illegal“

Wie viele Migranten ohne Papiere in Hamburg leben, ist nicht bekannt. Eine empirische Studie des Diakonischen Werkes aus dem Jahr 2009 über die „Lebenssituation von Menschen ohne gültige Aufenhaltspapiere in Hamburg“ geht von schätzungsweise 6000 bis 22.000 Menschen aus. Die Zahl dürfte sich mit der Flüchtlingskrise weiter erhöht haben. In ganz Deutschland sind es Hunderttausende. Migrationsexperten weisen auf die schwierige wirtschaftliche und soziale Situation dieser Menschen hin. Laut Gesetz ist ihnen eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht gestattet.

Dennoch finden sie schlechte bezahlte Jobs in der sogenannten Schattenwirtschaft. Nach Angaben der Diakonie-Studie jedoch bieten private Haushalte zum Beispiel „einen relativ großen, aber schwer überschaubaren Markt für die Beschäftigung irregulärer Migrant/-innen“. Sie können nur überleben, weil sie von ihrer Community getragen werden. Es gebe beispielsweise Familien, die sich zu sechst eine Einzimmerwohnung teilen müssten, berichtet eine Mitarbeiterin der kirchlichen Flüchtlingshilfe. „Da wird abwechselnd geschlafen.“

Praxis Andocken: Für die Mitarbeiter hat die Schweigepflicht einen ganz hohen Stellenwert

Mehr noch: Der freie Zugang zum Gesundheitswesen ist diesen Menschen verwehrt. Zum Glück gibt es aber bundesweit zivilgesellschaftliche Initiativen und Wohltätigkeitsverbände, die sich wie die Praxis Andocken um diese Patientinnen und Patienten kümmern und mit Clearingstellen kooperieren, die eine behördliche Kostenübernahme erreichen können. Und für die gesamte Einrichtung gilt: Ihre Schweigepflicht und der Hippokratische Eid der Ärztinnen und Ärzte haben, rechtlich betrachtet, ein höheres Gewicht als die Meldepflicht.

Bergedorfer Frauenärztin arbeitet ehrenamtlich als Pensionärin für die Altonaer Praxis

Die 71 Jahre alte Bergedorfer Gynäkologin Angelika Steenbeck-Breuer engagiert sich ehrenamtlich für dieses diakonische Projekt, in das sie ihre langjährigen Erfahrungen als leitende Oberärztin des Kreißsaales im Asklepios Klinikum Harburg einbringen kann. „Die Arbeit für ‚Andocken‘ ist etwa Sinnstiftendes für mich“, sagt die Pensionärin, die sich darüber hinaus in der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri und Pauli Bergedorf engagiert. Anders als im stressigen Klinikalltag gebe es hier keinen Zeitdruck. „Und die Patientinnen sind dankbar und nicht fordernd.“ Die Praxis Andocken hat noch weiteren Bedarf an Frauenärztinnen und -ärzten.

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Das sagt eine Hebamme über ihre Arbeit mit Schwangeren ohne Papiere und Krankenversicherung

Hebamme Maike Jansen berichtet ebenfalls mit Begeisterung von ihrem Job. Sie spricht fünf Sprachen, was hier sehr hilfreich ist. „Besonders ist es für mich, wenn wir gemeinsam die Herztöne eines Kindes abhören. Die Schwangeren bekommen große Augen, und für eine Moment weicht die Spannung ihres oft sehr schwierigen Lebens der Erleichterung.“ Es sei wertvoll, die Frauen unabhängig von ihrem Aufenthalts- und Versicherungsstatus auf dem Weg zur Geburt begleiten zu können. „Denn Geburt bleibt immer ein Wunder.“

Spenden für das Projekt und die Unterstützung der Hebammen-Arbeit: Diakonie-Stiftung MitMenschlichkeit Hamburg. Verwendungszweck: „Spende für Menschen ohne Krankenversicherung“: IBAN: DE76 2005 0550 1230 1432 55.

Interessierte Ärzte wenden sich bitte an: https://www.diakonie-hamburg.de/de/adressen/andocken/index.html, E-Mail: andocken@diakonie-hamburg.de