Seit 1970 sind in der Bundesrepublik etwa 100 000 Kinder nach Behandlung mit Spendersamen zur Welt gekommen.

Wenn das keine einfache Lösung ist, dachte sich die 13-jährige Svenja F. Im Kino sah sie einen Film mit Whoopi Goldberg. Darin ging es um ein Kind, das mithilfe einer Samenspende gezeugt wurde. Das fand sie, sei eine gute Idee. Kaum zu Hause angekommen, weihte sie die Mutter ein: "Wenn ich erwachsen bin, will ich keinen Mann, aber ich will trotzdem ein Kind, und das will ich per Samenspende bekommen." Was dann geschah, veränderte Svenjas Leben von Grund auf. Die Mutter reagierte ungewohnt ernst, ja bestürzt, und wollte wissen, was Svenja dem Kind denn später über seine Herkunft erzählen wolle? "Wieso? Das sag ich dem dann halt." Und plötzlich beichtete Svenjas Mutter ein bis dahin streng gehütetes Geheimnis: Svenja selbst war auf diese Weise gezeugt worden.

Für die Tochter brach eine Welt zusammen. "Ich habe eine Viertelstunde auf dem Flur gesessen und hysterisch gelacht, weil ich gar nicht damit umgehen konnte." Sie konnte es einfach nicht akzeptieren, dass sie mithilfe einer anonymen Samenspende gezeugt wurde, hoffte lange Zeit, ihre Mutter wäre in Wirklichkeit fremdgegangen, um schwanger zu werden. Denn dann hätte sie eine Chance gehabt, ihren biologischen Vater kennenzulernen.

In unzähligen Gesprächen forderte sie ihre Mutter immer wieder auf, bis ins kleinste Detail von den Umständen ihrer Zeugung zu erzählen. Und so erfuhr Svenja, dass ihr sozialer Vater zeugungsunfähig ist, dass sich beide aber unbedingt Kinder wünschten, und ihre Mutter dann durch einen Zeitungsartikel auf die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung mithilfe einer Samenspende aufmerksam wurde.

In der Privatklinik von Dr. Gerhard Schaad in Bad Pyrmont ließ sich die Mutter Ende der 70er-Jahre erfolgreich mit dem Samen eines anonymen Spenders befruchten. Niemand aus der Familie wusste von der künstlichen Befruchtung, auch das Ehepaar sprach untereinander nie wieder darüber. Und doch hatte Svenja schon als kleines Mädchen Zweifel an ihrer Herkunft. Immer wieder stellte sie der Mutter die gleiche Frage: "Wer sind denn nun meine Eltern?" Worauf ihre Zweifel genau gründeten, weiß Svenja nicht. Aber sie hatte immer das Gefühl, dass etwas fehlt, dass sie über ihre Herkunft belogen wird. Als ihre Mutter dann endlich mit der Wahrheit herausrückte, war das Ehepaar bereits geschieden. Svenjas Verhältnis zu ihrem sozialen Vater hatte sich seit Beginn ihrer Pubertät zusehends verschlechtert. Rückblickend sagt sie heute: "Mir hat es bei all diesen Problemen eigentlich ganz gut getan, zu wissen, er ist ja gar nicht mein richtiger Vater."

Ihren leiblichen Vater aber vermisst sie bis zum heutigen Tag sehr: "Es ist einfach so, dass mir die Hälfte fehlt. Wir bestehen aus Mutter und Vater. Ich fühle mich sozusagen nicht komplett, ganz einfach dadurch, dass ich meinen Erzeuger nicht kenne." Svenja weiß, dass sie keine realistische Chance hat, ihren leiblichen Vater jemals ausfindig zu machen. Mit 19 Jahren hat sie sich an die Klinik in Bad Pyrmont gewandt. Sie hatte davon gehört, dass man mit 18 Jahren das Recht darauf hat, zu erfahren, wer die biologischen Eltern sind. Deshalb schöpfte sie Hoffnung, Einblick in die Krankenhausakten erhalten zu können. Doch in der Klinik erklärte man ihr, ihre Akten seien bei einem Brand vernichtet worden. Es bestünde keine Möglichkeit mehr, an Informationen über den Samenspender zu gelangen. "Ich habe erst einmal eine Stunde geheult." In ihrer Verzweiflung flüchtete sich Svenja in Tagträumereien. Sie stellt sich dann vor, wie es wohl ist, wenn sie ihn doch ausfindig machte und er tatsächlich vor ihr stehen würde: "Ich möchte wissen, wie das ist, wenn man einen Vater hat: ob man den automatisch liebt, ob ich Sympathie für ihn empfinden würde?"

Svenja ist heute selbst stolze Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie kann Paare verstehen, die unbedingt Kinder haben möchten und sich diesen Wunsch mithilfe einer Samenspende erfüllen. Allerdings lehnt sie anonyme Samenspenden ab: Jedes Samenspenderkind sollte die Möglichkeit haben, später mit dem leiblichen Vater Kontakt aufnehmen zu können. Auch sollten Eltern ihren Kindern von Anfang an die Wahrheit sagen. "Es war ein wirklicher Schock, als ich das mit 13 erfahren habe. Das ist sowieso ein Alter, in dem man mit sich selbst Probleme hat und nach seiner Identität sucht."

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