Valentin Thurn interviewt die Familien- und Sozialtherapeutin Petra Thorn über den Umgang mit Samenspenderkindern:

Valentin Thurn:

Was raten Sie Paaren? Aufklären oder besser verschweigen?

Petra Thorn:

Von meiner fachlichen Haltung her bin ich für eine Aufklärung der Kinder aus unterschiedlichen Gründen: Zum einen bringen Geheimnisse eine gewisse Dynamik in Familien. Eltern müssen immer auf der Hut sein, was sie wie sagen, damit das Geheimnis nicht bekannt wird. Das ist ein gewisser Druck und viele Paare möchten mit diesem Druck einfach nicht leben. Zum anderen stellt sich die Frage, wie es dem Kind geht, wenn es aufgeklärt bzw. nicht aufgeklärt wird. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass es für Kinder hilfreich ist, wenn sie frühzeitig erfahren, woher sie kommen. Hier hat man sich zum Teil auch an die Erfahrung mit Adoptivkindern angelehnt. Man weiß, dass es für Kinder wichtig ist, dass eine gewisse Identität, die sich Kinder aufgebaut haben, nicht plötzlich umgestürzt werden soll, weil das zu inneren Traumata führt. Deshalb ist es hilfreich, wenn Kinder frühzeitig wissen, es gibt einen biologischen Erzeuger und den sozialen Vater, der für das Kind im Alltag auch ganz sicher die Vaterperson ist.

Was ist, wenn Eltern aber Angst haben, ihrem Kind die Wahrheit zu sagen, weil sie befürchten, es könnte ein Riss zwischen ihnen und dem Kind entstehen?

Diese Ängste sind erst mal nachvollziehbar. Paare, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, machen die Erfahrung, dass Spendersamenbehandlung noch immer ein Tabuthema ist. Es gibt noch relativ wenig Information zu diesem Thema. Betroffene Paare können sich nicht einfach ein Buch darüber kaufen und informieren. Insofern sind Bedenken und Ängste des nicht leiblichen Vaters zunächst verständlich. Wir wissen inzwischen, dass Kinder mit diesem Wissen natürlich umgehen und sie auch sehr gut differenzieren können, zwischen einem Mann, der den Samen gegeben hat und dem Mann, der im Alltag der Vater ist. Und für Kinder, die frühzeitig aufgeklärt wurden, ist es selbstverständlich, dass der Vater, also der Mann, der in der Familie da ist, die Vaterposition innehat. Die Auseinandersetzung mit dem Samenspender, mit der eigenen biologischen Herkunft, geschieht oft erst während der Pubertät oder danach.

Und wenn Paare es trotzdem lieber verheimlichen wollen?

Ja, wir Familientherapeuten wissen, dass Kinder sehr, sehr feine Antennen haben, was in der Familie vor sich geht. Aus Erzählungen weiß ich, dass Kindern beispielsweise auffällt, wenn Eltern über Ähnlichkeiten zwischen dem Kind und den Großeltern mütterlicherseits sprechen, aber nie die Ähnlichkeiten zwischen dem Kind den Großeltern väterlicherseits erwähnen. Es gibt Untersuchungen von jungen Erwachsenen, die sich sehr gut daran erinnern können, dass gewisse Themen offensichtlich schwierig für die Eltern waren und ausgespart wurden. Manche dieser Kinder haben die Fantasie entwickelt, dass sie adoptiert waren, andere, dass sie vielleicht das Ergebnis einer außerehelichen Beziehung waren. Viele dieser Kinder waren letztlich erleichtert, als sie die Wahrheit erfuhren, mit Spendersamen gezeugt worden zu sein.

Warum suchen solche Kinder später oft nach ihrem genetischen Vater?

Kinder sind genaue Beobachter und wollen wissen, warum sie zum Beispiel dunkle Haare haben oder bestimmte Vorlieben und auch Charaktereigenschaften mitbringen, die sie bei ihren Eltern nicht wiederfinden. Die Frage, von wem stamme ich eigentlich ab, beschäftigt sie so sehr, dass sie sich auf die Suche nach dem leiblichen Vater machen, dafür viel auf sich nehmen, um letztlich den Samenspender kennenzulernen.