Ein 44-Jähriger liegt nach dem Gedränge im HSV-Block des Weser-Stadions im Koma. HSV-Fans kritisieren Sicherheitskonzept.

Hamburg. Matthias Kopp hörte die Hilfeschreie und sah die Angst in den Gesichtern der Menschen. Als er aus dem Gedränge des Weser-Stadions flüchten konnte, fiel sein Blick auf drei blutende Menschen, die auf dem Boden lagen. Einer von ihnen wurde mit einer Herzmassage reanimiert. Es handelte sich um den 44-Jährigen aus Neumünster, der im künstlichen Koma liegt und bei dem noch nicht klar ist, ob er überleben wird. "Wir haben sofort an Duisburg gedacht", sagt der 38-jährige HSV-Fan. Duisburg, das Synonym für eine Massenpanik mit vielen Toten - ausgelöst durch Fehlentscheidungen. Gab es diese am Sonnabend auch in Bremen?

Das soll nun die von der Bremer Innenbehörde gestartete Untersuchung ergeben. Wie berichtet, waren 17 Anhänger des HSV und sieben Polizisten nach dem Nordderby zum Teil schwer verletzt worden. Um ein Aufeinandertreffen der als verfeindet geltenden Fan-Gruppen zu vermeiden, hatte die Polizei eine sogenannte Blocksperre angeordnet. Das bedeutet, dass die Gruppen zeitlich versetzt aus dem Stadion gelassen werden. In diesem Fall war den HSV-Anhängern angekündigt worden, dass sie 20 Minuten warten sollten. Laut Zeugenaussagen hat sich die Wartezeit nahezu verdoppelt. Viele Fans fürchteten, ihre Züge zu verpassen und drängten aus dem Stadion. Dabei kam es zu dem fatalen Gedränge.

Gestern hat sich Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) mit der Geschäftsführung des SV Werder Bremen und der Einsatzleitung der Polizei zusammengesetzt. Mäurer zeigte sich tief betroffen von den Ereignissen. Um unabhängig von den laufenden Polizeiermittlungen Aufklärung über die Vorkommnisse im Stadion zu erlangen, beauftragte er gemeinsam mit den Vereins- und Polizeichefs einen Panikforscher mit der Analyse der Geschehnisse. Prof. Michael Schreckenberger von der Uni Duisburg-Essen soll die Ereignisse im Gästeblock des Weser-Stadions noch diese Woche untersuchen. Schreckenberger war auch in die Planung der Loveparade in Duisburg einbezogen gewesen, bei der 19 Menschen starben. Er kritisierte nach der Katastrophe, dass das von ihm mit entworfene Sicherheitskonzept nicht richtig umgesetzt worden sei.

Aus der Expertise des Gutachters sollen laut Bremens Innensenator Mäurer Empfehlungen abgeleitet werden, wie solche Vorfälle zukünftig vermieden werden können. Mäurer: "Der Gutachter soll das Besucherverhalten sowie die Kommunikationsstrukturen und -abläufe im Stadion analysieren." Auch die baulichen Gegebenheiten würden unter die Lupe genommen, heißt es in der Bremer Behörde. "Wir sind uns alle einig, dass es bei der Untersuchung keine Tabus geben darf."

Heftige Kritik gibt es vonseiten der HSV-Anhänger. "Es wurde überhaupt nicht kommuniziert", sagt Manfred Ertel, der die Tragödie im Stadion miterlebte. "Die Polizei hätte einfach nur sagen müssen, dass sich der Abmarsch verzögert, dann wäre es gar nicht so weit gekommen." Aber auch die Architektur des Stadions gerät in die Kritik. "Es ist schon fatal, wenn das Bremer Stadion so konzipiert ist, dass Gästefans über mehrere steile Treppen auf den Oberrang gehen müssen", sagt HSV-Supporters-Chef Ralf Bednarek.

Diesen Vorwurf will Werders Mediendirektor Tino Polster allerdings nicht gelten lassen. "Nach den Ausführungen der Polizei Bremen hat der Unglücksfall ausschließlich mit der Durchführung der Blocksperre durch die Polizei und dem Verhalten von Fans, nicht aber mit den baulichen Gegebenheiten im Weser-Stadion zu tun."