150 Kripobeamte und 500 Schutzpolizisten fehlen der Polizei offenbar. Betroffen sind Kommissariate, Observationen, Internetkriminalität.

Hamburg. Es gibt Kommissariate, in denen die Kripo nicht mehr arbeitsfähig ist. In der Bekämpfung der Internetkriminalität steht eine Bankrotterklärung bevor. Bei Observationen und Aufklärung von Geiselnahmen fehlen Fachkräfte. Hamburgs Kripo ist, glaubt man Gewerkschaftschef André Schulz, in einigen Bereichen so ausgedünnt, dass an effektive Arbeit nicht mehr zu denken ist. "Die Leidtragenden sind nicht nur die Polizisten, sondern auch die Bürger."

In einem Brandbrief, der dem Abendblatt vorliegt, warnt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BdK) vor einem nahen Kollaps des Polizeiapparates. Mindestens150 Kripobeamte und 500 Schutzpolizisten fehlten der Polizei. Bei den Beamten habe sich ein so großes Frustpotenzial aufgestaut, dass im Falle weiterer Einschnitte auch ein Streik nicht mehr auszuschließen sei.

Tatsächlich ist das Anforderungsprofil an die Kripo-Arbeit in der jüngsten Vergangenheit deutlich gewachsen. Einige Beispiele: Seit dem 1. März kümmert sich die Kripo im Rahmen des "Täterorientierten Präventionskonzeptes" (TOP) der Justizbehörde um Sexualstraftäter, die aus der Haft entlassen werden. Jährlich 25 bis 30 Personen sollen demnach begleitet werden. Tatsächlich ist es bislang aber erst einer. Wer die 25 bis 30 Ex-Häftlinge betreuen soll, steht noch nicht fest, zusätzliches Personal gibt es dafür aber nicht. Zu den Aufgaben dieser Beamten gehören regelmäßige Fallauswertungen, Gefährderansprachen und gegebenenfalls umfangreiche Observationsmaßnahmen.

Die Bearbeitung technisch aufwendiger Computerdelikte nimmt ebenfalls viel Raum ein. Um bei dem massiv wachsenden Problem der Cyber-Kriminalität nicht den Anschluss zu verlieren, bedürfte es umfangreicher Schulungen. Die sind kosten- und zeitintensiv. Doch Zeit und Geld sind nur bedingt vorhanden. Während aber die Zahl der Straftaten mit dem Tatort "Internet" im vergangenen Jahr bundesweit um 23 Prozent stieg, ist die Polizei laut Schulz weiter schlecht bis gar nicht aufgestellt. Das Dunkelfeld liegt bei geschätzten 90 Prozent. Und die Polizei steht dem Phänomen weitgehend hilflos gegenüber. Schulz fordert eine Umstrukturierung: "Die Kolleginnen und Kollegen des LKA 52 sind hoffnungslos überfordert. Aktuell gibt es einen Stau von 3600 Kreditkarten-Betrugsfällen." Ein weiteres Beispiel: Für den immer wichtiger werdenden Einsatz von Ortungs-, Video- und Kommunikationstechnik (bei operativen Einsätzen, Geiselnahmen, Entführungen) verfüge die Polizei über viel zu wenig Personal. An der Schnittstelle zwischen Technik und Taktik seien qualifizierte Mitarbeiter nötig, so Schulz.

Die Bilanz des Kripo-Mannes: "Eigentlich droht kein Kollaps mehr. Der Kollaps ist bereits da. Einige Dienststellen sind bereits personell so ausgedünnt, dass keine Arbeit mehr möglich ist." So sei das Polizeikommissariat (PK) 14 in der Caffamacherreihe (Neustadt) derzeit nicht in der Lage, Delikte der Massenkriminalität (Diebstähle etc.) zu bearbeiten. Der Kripo-Basisdienst sei so ausgedünnt, dass die Akten per Kurier ins Präsidium gefahren würden. Dort versuche der Kriminaldauerdienst die Fälle "nebenbei" abzuarbeiten. Ähnlich sei es an mehreren anderen Dienststellen. Da auch Schulz weiß, dass die Polizei kaum mit einer Personalaufstockung wird rechnen können, schlägt er eine Zusammenlegung der Kripo-Abteilungen einzelner Kommissariate vor. Derzeit sind neben der Schutzpolizei an jedem PK auch Kripoleute beheimatet. Das müsse nicht sein, meint Schulz: "Größere Einheiten ermöglichen es eher, Personalengpässe zu kompensieren."

Ein weiterer Kritikpunkt: der Sondereinsatz "Florian" zur Bekämpfung der Autobrandstiftungen. Schulz: "Eine rein populistische Maßnahme auf dem Rücken der Beamten. So einen Aufwand wie jetzt bei den Autobrandstiftern hatten wir nicht mal nach den Anschlägen vom 11. September 2001."

Polizeisprecher Ralf Meyer sieht ebenfalls einen Bedarf von Umstrukturierungen: "In diesen Zeiten werden wir kaum mit mehr Personal rechnen können. Also müssen wir durch Organisation sicherstellen, dass wir unsere Aufgaben weiter schlagkräftig wahrnehmen können." Innenbehördensrecher Thomas Butter ergänzt: "Die Hamburger Polizei hat immer noch mehrere Hundert Mitarbeiter mehr als noch vor knapp zehn Jahren. Davon hat auch die Kriminalpolizei profitiert." Der SPD-Innenexperte Andreas Dressel rechnet dagegen "Zuerst hat die Innenbehörde zu wenig Nachwuchs eingestellt, dann Stellen gestrichen. Im Ergebnis fehlt der Polizei Personal in der Größenordnung von mindestens drei Kommissariaten."

Der gestiegene Arbeitsaufwand der Polizei schlägt sich offenbar bereits im Krankenstand nieder. Nach Abendblatt-Information stieg die Fehlzeitenquote bei der Polizei im Jahr 2009 auf 8,2 Prozent (Vorjahr 7,8 Prozent). In der gesamten Verwaltung betrug sie im vergangenen Jahr 7,4 Prozent.