Hamburg. Joachim Lux präsentiert seinen letzten Thalia-Spielplan. Dabei: T.C. Boyle, Dörte Hansen, der Marathon-Faust und ein besonderes Dinner.

  • Eröffnet wird die Saison am 15. September mit der Dramatisierung des Bestsellers „Blue Skies“ von T.C. Boyle
  • Thalia Theater Hamburg erwartet viermillionsten Besucher
  • „Ajax im Rausch der Tiefe“ kombiniert Sophokles und den französischen Filmemacher Luc Besson

Abschiedsschmerz? Diesen Eindruck wehrt Joachim Lux, noch Intendant des Thalia Theaters, sofort vehement ab. Eine ganze Saison liegt schließlich noch vor ihm, bevor seine Nachfolgerin Sonja Anders im Sommer 2025 am Alstertor übernimmt. Zur Vorstellung seiner letzten Thalia-Spielzeit allerdings lädt der Theaterchef zunächst auf die Bühne. Um nicht nur das Programm 2024/2025 zu präsentieren, sondern zunächst diesen Blick in den Zuschauerraum: „Toll, oder?“

Und um das Theater an sich zu erklären („hochkomplex“) und sich an das „schönste Theatererlebnis, das ich überhaupt je hatte“, zu erinnern: als nämlich direkt vor der Premiere von „Don Quijote“ einmal das zentrale Inspizientenpult ausfiel und der gesamte Betrieb die Vorstellung eben nicht absagte, sondern volles Risiko „auf Sicht“ fuhr. „Man spürte, wie verschiedene Menschen etwas miteinander tun“, schwärmt Lux noch heute. Den Begriff „Zusammenkunst“ hat er geprägt. Also, einverstanden: kein ausgewachsener Abschiedsschmerz. Aber ein Hauch Sentimentalität, etwas Nostalgie, das ist schon spürbar.

Thalia Theater: Abschiedsschmerz? Nö! Intendant Lux plant sein Finale

16 Jahre wird Lux‘ Hamburger Intendanz am Ende gedauert haben, eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern wird sich 16 Jahre lang „gestritten und zusammengerauft haben“, „fast immer im Geist des großen Ganzen“. Vier Millionen Menschen werden insgesamt – trotz der Pandemie, die in diese Zeit fällt – Thalia-Produktionen gesehen haben. Und zum Abschied ist der finale Spielplan von Joachim Lux durch entscheidende Weggefährten geprägt und soll reflektieren, was diesem Intendanten wichtig war. Wichtig bleibt. Internationalität, die Wahrnehmung einer Vielfalt der Stadtgesellschaft, die Kunstschaffenden selbst und das Theater als „szenische Galerie der Gegenwart“.

Sie prägte die Thalia-Intendanz Lux besonders: Die Hamburger Regisseurin Jette Steckel ist auch in der kommenden Saison präsent im Spielplan.
Sie prägte die Thalia-Intendanz Lux besonders: Die Hamburger Regisseurin Jette Steckel ist auch in der kommenden Saison präsent im Spielplan. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Die auffälligste künstlerische Konstante dürfte die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Jette Steckel sein. Gleich zwei neue Inszenierungen von ihr stehen in der kommenden Saison an, auch das Finale gebührt Jette Steckel, die hier Erfolge wie „Romeo und Julia“, „Pippi Langstrumpf“ oder insbesondere die Haratischwili-Trilogie („Brilka“) gefeiert hat. Am Thalia in der Gaußstraße bringt sie im Januar ihre erste Jelinek-Arbeit auf die Bühne: „Asche“, ein Stück über Verlust und Trauer, persönliche wie gesamtgesellschaftliche. Im Mai 2025 widmet sie sich einer weiteren Literaturnobelpreisträgerin: Steckels Sicht auf Annie Ernaux‘ autobiografisches Buch „Die Jahre“ wird die Intendanz Lux beschließen.

Thalia Theater: Eröffnet wird die Saison mit einer brüllend komischen Dystopie

Zuvor aber kommen außer ihr eine ganze Reihe bekannter Theatermacher und -macherinnen zum Zuge, deren Handschriften auch die vergangenen Jahre beeinflusst haben. Eröffnet wird die Saison am 15. September von Jan Bosse mit einer Uraufführung, der Dramatisierung des Bestsellers „Blue Skies“ von T.C. Boyle, einer brüllend komischen Dystopie, über die er sich „kaputtgelacht“ habe, gesteht Joachim Lux. Die Spielzeit in der Gaußstraße wird am 18. Oktober mit einer Uraufführung eröffnet, die geschickt an den Hype um „Barbie“ anknüpft. Emre Akal, der zum ersten Mal am Thalia inszeniert, verlegt ein berühmtes Ibsen-Drama in die pinke Traumwelt: „Barrrbie ein Puppenheim“ lautet der vielversprechende Titel, erzählt wird irgendwo auf der Grenze zwischen analoger und virtueller Realität.

Antú Romero Nunes wird zum 18. Mal am Thalia Theater inszenieren: „Der Apfelgarten“ ist als eine „kattendüstere Komödie“ angekündigt, und der norddeutsche Ausdruck im Untertitel spoilert schon einen Part der ungewöhnlichen Autorenkonstellation: Tschechow, Nunes – und Dörte Hansen.

Auf der Bühne und im Mittelrangfoyer präsentierte Thalia-Intendant Joachim Lux am Mittwoch seine finale Spielzeit.
Auf der Bühne und im Mittelrangfoyer präsentierte Thalia-Intendant Joachim Lux am Mittwoch seine finale Spielzeit. © DPA Images | Marcus Brandt

Eine weitere unkonventionelle „Zusammenkunst“ ergibt sich aus der Produktion des dem Thalia ebenfalls seit Jahren verbundenen Regisseurs Christopher Rüping. Seine Uraufführung „Ajax im Rausch der Tiefe“ kombiniert im Januar Sophokles und den französischen Filmemacher Luc Besson. Die Antike hat es auch dem Rückkehrer und dann ehemaligen Zürcher Intendanten Nicolas Stemann angetan, dessen „Die Orestie“ schon Anfang August bei den Salzburger Festspielen herauskommen wird. Die Hamburg-Premiere folgt am 30. Oktober. Stemanns erfolgreicher Marathon-„Faust I+II“ mit Sebastian Rudolph, der dem Regisseur 2019 mitsamt dieser Titelrolle in die Schweiz gefolgt war, feiert zudem im Juni 2025 eine Wiederaufnahmepremiere.

Thalia Theater: Für Kirill Serebrennikov wurde die Hamburger Bühne zu einer künstlerischen Exil-Heimat

Für den arbeitswütigen russischen Theater-, Opern- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov hat sich das Thalia zu einer verlässlichen künstlerischen Exil-Heimat entwickelt. Sein überwältigender Theaterabend „Barocco“ bleibt im Programm, eine weitere Uraufführung kommt als Koproduktion mit der Ruhrtriennale 2024 und der internationalen Kirill & Friends Company hinzu: „LEGENDE“ feiert am 30. November Premiere auf der großen Thalia-Bühne.

Insgesamt wird es 60 verschiedene Aufführungen im Programm geben, „so viele wie noch nie“, betont Lux. Darunter sind 45 Wiederaufnahmen, auch die Erfolgsklassiker „Moby Dick“ (Regie: Antù Romero Nunes), Jette Steckels musikalische Shakespeare-Inszenierung „Romeo und Julia“, Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ in der Regie von Luk Perceval und Peter Handkes „Immer noch Sturm“ in der Interpretation des verstorbenen und mit Joachim Lux einst sehr verbundenen Dimiter Gottscheff.

Saison 2024/2025 im Thalia Theater: Johan Simons kommt mit seiner siebten Arbeit

Johan Simons (der gerade erst mit der etwas erschöpfenden Inszenierung „Das Leben ein Traum“ Premiere am Haus feierte) kümmert sich in der kommenden Spielzeit um „König Ubu“, jene Ausgeburt an Impertinenz und Boshaftigkeit von Alfred Jarry und ein naher Verwandter manch abgrundtief böser und zugleich lächerlicher Potentaten der Gegenwart. Es wird Johan Simons siebte Arbeit am Thalia sein; ebenso sieht es bei Anne Lenk aus, die als Oberspielleiterin neben Sonja Anders bald die künstlerische Leitung des Hauses übernimmt und deren „Emilia Galotti“ mit Maja Schöne noch in der laufenden Spielzeit ansteht.

Der russische Theaterregisseur Kirill Serebrennikov hat in Hamburg eine künstlerische Exil-Heimat gefunden.
Der russische Theaterregisseur Kirill Serebrennikov hat in Hamburg eine künstlerische Exil-Heimat gefunden. © HA | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Und auch Dokumentartheater-Spezialist Gernot Grünewald kommt zum siebten Mal, er nimmt sich am Thalia in der Gaußstraße das so kluge wie berührende autobiografische Buch „Alles, was wir nicht erinnern“ von Christiane Hoffmann, Journalistin und erste stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, vor. Premiere ist Ende November.

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Und schließlich: „Das letzte Fest“, ein Projekt des ungarischen Film- und Theaterregisseurs Kornél Mundruczó im März. Nicht die Abschiedsparty von Joachim Lux, dieses letzte Fest, und sowieso nicht das letzte Fest am Thalia Theater. Denn dass die Show weitergeht, ist auch dem noch ein Jahr amtierenden Intendanten sehr bewusst. Nach dem Abschied folgt der Aufbruch. Auch das ist Theater. Dem noch in seiner Ära erwarteten viermillionsten Thalia-Besucher will Joachim Lux nicht nur ein Abendessen mit sich spendieren, sondern auch ein Theater-Abonnement – für die Zeit seiner Nachfolgerin.