Hamburg. Warum kollabieren Fans bei Konzerten und was sind die Sicherheits- und Gegenmaßnahmen? Nachgefragt bei Hamburgs bekanntesten Bühnen.

Vor einem Jahr spielte Bosse in der ausverkauften Großen Freiheit 36. Es war ein inniger, aber nicht allzu wilder Abend für das bunt gemischte Publikum. Die Luft in dem abgerockten Club war trotzdem stickig, der Schweiß strömte, aber im gut be- und entlüfteten „Raucherschlauch“ hinter der großen Bar war es schön kühl und leer. „Ich muss mich mal kurz setzen“, sagte eine aus dem Saal kommende Dame – und kippte zur Seite und schlug gegen eine Tresenkante. Sofort wurden die Ordner am Eingang benachrichtigt, und keine 30 Sekunden nach dem Kollaps wurde die Frau von zwei Rettungssanitätern versorgt. Alles war schnell wieder gut.

Eng gezwängte Menschenmassen in Bewegung, Scheinwerferbatterien, Hitze, Dampf aus Poren: Kollabierende Kreisläufe bei Clubkonzerten sind statistisch keine Seltenheit bei Hunderten Shows pro Woche in Hamburg. Alkohol- und Drogenkonsum bei Shows und Partys zahlen auch in die Bilanz ein. Dass aber beim Konzert der britischen Indie-Pop-Band Only The Poets am 6. April im Gruenspan vergangenen Sonnabend 30 Sanitätshilfeleistungen vor Ort und vier gerufene Rettungswagen gemeldet wurden, ist eine Ausnahmesituation, die für entsprechenden Aufruhr sorgte. Fans warfen Betreibern und Veranstaltern fahrlässiges Verhalten und unterlassene Hilfeleistung (keine Wasserausgabe, kein Öffnen der Türen wegen Lärmschutz) vor, während die Organisatoren die kostenlos ausgegebenen Wasservorräte („14 Kisten mit Viva con Aqua, sechs Kisten mit Ein-Liter-Flaschen Wasser, vier Flaschen Cola und zwei Flaschen Fanta“) und die geleisteten Hilfseinsätze aufzählten. Es war zwar überraschend warm an diesem Tag mit 23 Grad, aber auch kein Hochsommer.

Clubs in Hamburg: „Konzert im verschwitzten Club“ ist Standard der Erlebnisbeschreibung

Tatsächlich gibt es wenige Clubs in Hamburg, die nicht zu wahren Hexenkesseln werden bei ausverkauftem Haus, sogar in den Wintermonaten. Der Satz „Konzert im verschwitzen Club“ ist seit 60 Jahren Standard der Erlebnisbeschreibung. Die Fabrik in Ottensen mit ihrer sehr hohen Decke und der 2013 eröffnete, auch technisch nach modernsten Maßstäben gebaute unterirdische Mojo Club an der Reeperbahn zählen zu den vergleichsweise komfortablen Konzertorten. Geradezu berüchtigt hingegen ist das Logo, ein schwarzer, den ganzen Tag in der Sonne brütender, flacher Schuhkarton an der Grindelallee, in dem vor allem in den 90er-Jahren nicht nur sprichwörtlich der Schweiß von der Decke tropfte.

Seit Anfang der 2000er gibt es im Logo immerhin eine „Zu- und Abluftanlage, die ursprünglich für Raucherräume ausgelegt wurden, bevor das Rauchverbot kam. Die schafft etwa alle zehn Minuten einen kompletten Lufttausch“, sagt Logo-Eigentümer Karsten Schölermann, der auch im Club Knust die Geschäfte führt und als ehemaliger Vorsitzender des Bundes-Spielstättenverbandes LiveKomm auch bei Sicherheitsauflagen bestens informiert ist: „Ein sogenannter Sanitätswachdienst ist meist ab Veranstaltungen mit einem normalen Risiko und bei 1000 bis 2000 gleichzeitig anwesenden Personen empfohlen. Verpflichtend ist ein Sanitätskonzept erst ab 5000 Besuchern.“ Dennoch werden bei ausverkauftem Logo, das sind ungefähr 400 Personen, Sanitäter gebucht.

Clubsicherheit: Veranstalter buchen Ordnungs- und Sannitätsdienste

So verfuhr auch das Gruenspan (Kapazität 950 Personen), und so ist es auch in den anderen Clubs üblich: „Das ist natürlich immer Sache der Veranstaltenden, was eher seltener wir als Haus sind, aber alle unsere Partnerinnen und Partner sind sehr auf die Sicherheit und das Wohlbefinden ihrer Gäste bedacht, und wir unterstützen hier auch immer mit unseren räumlichen Erfahrungswerten“, sagt Sarah Kucher, Sprecherin der beiden großen Kiezclubs Große Freiheit 36 und Docks mit Kapazitäten bis zu jeweils 1500 Personen. „Auch wir können, aufgrund von Rücksichtnahme auf die Anwohnerschaft, die Türen bei Konzerten nicht geöffnet lassen. In den leiseren Umbaupausen geht das allerdings ganz gut, und dabei noch die Lüftung auf maximale Kraft zu ziehen bringt da schon viel Erfrischung. Bei ruhigeren Konzerten müssen wir allerdings die Lüftung wiederum etwas drosseln, damit sie das Konzerterlebnis mit ihrer Lautstärke nicht stört.“

Allerdings sorgen solche Lüftungsanlagen zwar für einen Luftaustausch, aber nicht für spürbare Abkühlung in den tosenden vordersten Reihen. Moderne Klimasysteme findet man in der Barclays Arena, aber die in den meist alten bis sehr alten Clubgemäuern (das Gruenspan-Gebäude stammt von 1889) nachzurüsten erfordert viel Auseinandersetzung mit Platz und Bausubstanz und mit den in der Clubkultur nur zu oft prekären Finanzen, die Anschaffung, Einbau, Wartung und Stromversorgung benötigen.

Nach dem Konzert von Only The Poets in der Kritik: der traditionsreiche, 1968 eröffnete Club Gruenspan an der Großen Freiheit auf St. Pauli.
Nach dem Konzert von Only The Poets in der Kritik: der traditionsreiche, 1968 eröffnete Club Gruenspan an der Großen Freiheit auf St. Pauli. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Sicherheit bei Konzerten: Viele Clubs bieten kostenloses Trinkwasser an

Sowohl Veranstaltende als auch Clubbetreibende wägen bei jedem anstehenden Abend ab, wie viele Gäste zu erwarten sind und wie hoch der Bedarf an Sicherheits- und Sanitätsdiensten ist. „Die Anzahl der Securitys ist abhängig von der Größe des Konzertes, aber unser Personal ist generell geschult, auf Ausnahmefälle vorbereitet zu sein, und natürlich bekommt jeder auf Anfrage kostenlos Leitungswasser, auch ohne Notfall. Als kleiner Club ist es bei uns auch kein Problem, mal eben vor die Tür zu gehen“, sagt Constantin von Twickel vom Nochtspeicher. Auch im Mojo Club gibt es kostenloses Wasser zur Selbstbedienung am Tresen, wie Christina Scholten vom Mojo bestätigt. Und beim Kartenvorverkauf schrauben die Konzertagenturen in manchen Fällen die Zahl der in den Verkauf gehenden Tickets herunter, damit es den Umständen entsprechend nicht zu eng wird: 1500 gut im Futter stehende und trinkfeste Ü40-Metalheads nehmen insgesamt mehr Platz ein als 1500 junge, weibliche K-Pop-Fans.

Was bleibt, nennt Schölermann „Risikokonzerte“. Das können Konzerte mit einem sehr sportlichen Publikum sein, Punkrock, Hardcore. Tobende Kreisel bilden, von der Bühne in die Meute springen und sich über Hände tragen lassen, in einer „Wall of Death“ wie zwei Schlachtreihen im Film „Braveheart“ ineinander rennen, das geht sogar im Logo, das dieses Jahr übrigens 50 Jahre alt wird und für diesen Freitag die Einweihung einer neuen Klimaanlage ankündigte. „Ob die Tage der lautesten Sauna damit ein Ende haben, werden wir sehen“, teilt Logo-Geschäftsführer Chris August durchaus selbstironisch mit, „niemand weiß, ob ein Airconditioning in einer 50 Jahre alten Holzhütte wirklich Sinn macht, aber dann haben wir wenigstens alles versucht.“ Hört, hört! Wenn es hart auf hart kommt, werden dort auch mehr Ordner („in der Regel ein bis zwei pro 200 Besucher“) beschäftigt, Gitter vor der Bühne platziert und Biere nur in Plastikbechern ausgegeben. „Achtung Volksfest“, steht auf dem legendären Schild neben dem Bühnenrand.

Sicherheit bei Konzerten: „Teenagerkonzerte“ gelten als Risikoveranstaltungen

Die größten Sorgen bereiten dagegen „Teenagerkonzerte“ mit jungen Fans, die keine bis wenig Erfahrung mit Massenerlebnissen haben. Stundenlang harren sie vor dem Einlass, um einen Platz in den ersten Reihen zu ergattern, der auch in den Umbaupausen und bei den Vorbands nicht verlassen wird. Bloß kein (zugegeben auch nicht günstiges) Getränk holen, nicht auf das WC gehen, nicht den guten Platz riskieren. Es wird voller und voller, heißer, enger, aggressiver. Die Stars kommen auf die Bühne, hautnah. Geschiebe, Geschubse, Gekreische, Lärm. Schnell ein TikTok aufnehmen. Adrenalin. Unglaublicher Stress für den Körper. Die Nachbarin kippt um. Panik steigt auf und es wird einem selber schwarz vor Augen, wenn der Vagusnerv die Blutgefäße weitet und die Herzfrequenz abnimmt. Eine Kettenreaktion im Körper, die sogar durch die eigentlich gut gemeinte Zuführung von zu kalten Getränken oder kalter Luft ausgelöst werden kann: Reflexsynkope nennt die Medizin diese Fehlfunktion des Nervensystems bei psychischer Überlastung, Angst, Aufregung oder auch langem Stehen.

Das ist seit Elvis und den Beatles gut überliefert bis zu Harry Styles und Billie Eilish. Auch bei Only The Poets war das Publikum sehr jung. Ein Phänomen, über das sich nicht selten lustig gemacht wird, dabei ist es sehr gefährlich. Im November 2023 kollabierten Tausende Fans beim Konzert von Taylor Swift in der Bruthitze von Rio de Janeiro, das Mitbringen von Wasserflaschen soll den Fans vom Veranstalter untersagt worden sein, trotz einer gefühlten Temperatur von 60 Grad. Ein junger Fan starb an Herzversagen.

Volles Haus, beste Stimmung: das Publikum im Docks beim Reeperbahn Festival
Volles Haus, beste Stimmung: das Publikum im Docks beim Reeperbahn Festival © picture alliance / Jazzarchiv | Isabel Schiffler

Clubs in Hambug: Fans tragen auch eine Eigenverantwortung

Wenn Taylor Swift am 23. und 24. Juli im Volksparkstadion auftritt, wird die Konzertagentur die Regeln festlegen. Bei HSV-Spielen dürfen alkoholfreie Getränke von bis zu 0,33 Litern in Tetra Paks oder Plastikverpackungen mitgebracht werden, neben weiteren Sondermaßnahmen bei extremen Wetterlagen. Aus den lange gewünschten und diskutierten kostenlosen Trinkwasserspendern im Stadion ist leider auch vor der EM 2024 noch nichts geworden, wie die HSV-Pressestelle bestätigt.

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Aber unabhängig von den Maßnahmen, die Konzertveranstaltende, Clubbetreibende, Behörden und Sicherheitsdienste vor und während Konzerten treffen, gilt für jeden Musikfan auch eine Eigenverantwortung: Ausreichend Essen und Trinken vor dem Konzert, Trinken während des Konzerts, Achtsamkeit für sich und andere bewahren, und wenn es einem zu bunt wird, besser in ruhigere Bereiche ausweichen, bevor einem schwarz vor Augen wird. Kein Superhit, kein Platz in der ersten Reihe ist es wert, dafür die Gesundheit zu riskieren. Auch hinten kann man Santiano singen: „Es gibt nur Wasser, Wasser, Wasser überall
– doch wir haben nichts zu trinken.“