Hamburg. Da stehen sie und verkünden ein ums andere Mal lächelnd und einvernehmlich die Ergebnisse der rot-grünen Verhandlungsrunde: Am Donnerstag waren es Grünen-Landeschefin Katharina Fegebank und Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD), als es um Umwelt- und Energiepolitik ging. Am Tag zuvor traten Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan vor die Journalisten und übten sich beim Thema Hochschulen in rot-grüner Harmonie.
Seit drei Wochen laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen im Rathaus. Als Beobachter muss man sich über die gute Laune auf grüner Seite ein wenig verwundert die Augen reiben angesichts der Liste großer Themen der Öko-Partei, die die SPD schon „abgeräumt“ hat: Die von den Grünen immer abgelehnte Elbvertiefung kommt, die von Grün so heftig geforderte Stadtbahn dagegen nicht. Keine Umweltzone, keine Citymaut, und die Grünen unterstützen jetzt sogar die Berufung des Senats gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts, das die Stadt dazu verpflichtet, deutlich mehr für die Luftqualität zu tun, Stichwort: Stickstoffdioxid-Belastung.
Auf der grünen Habenseite steht immerhin die Verabredung zu einem ambitionierten Radverkehrskonzept und eine Beschleunigung des U-Bahn-Ausbaus. Dann wieder: mehr Geld für die Hochschulen, schön und gut, aber wie viel Euro in die Wissenschaft fließen sollen, haben die Koalitionspartner noch nicht festgelegt.
Lassen sich die Grünen von der ausgebufften und machterfahrenen SPD, die überdies den gesamten Verwaltungsapparat im Hintergrund hat, über den Tisch ziehen? Tritt ein, was als Bonmot von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) immer wieder zitiert wird: Es werde im Falle von Rot-Grün keinen Umbau der Senatspolitik geben, sondern nur einen Anbau? Schließlich hatte Machtpolitiker Scholz noch am Wahlabend vor einem Monat schon klar gesagt: Er rate jedem, die richtigen Schlüsse aus dem Wahlergebnis zu ziehen. Die SPD holte 45,6 Prozent, die Grünen nur 12,3 Prozent. Wer wollte, konnte das als Drohung verstehen.
Die Wahrheit ist wie immer komplizierter, als der erste Eindruck glauben machen will. Fest steht allerdings, dass Olaf Scholz in diesen Koalitionsgesprächen eine sehr herausgehobene Rolle spielt, ja die dominierende Figur auf dem Koalitions-Schachbrett ist. Teilnehmer der Runden berichten, dass der Bürgermeister häufiger zu längeren Monologen ausholt und aus seinem reichen politischen Erfahrungsschatz berichtet – er war SPD-Generalsekretär, Bundesarbeitsminister und auch mal Innensenator. Manchmal scheint der Redefluss selbst dem einen oder anderen Genossen, denen es ja in der Regel auch nicht an Selbstbewusstsein mangelt, zu weit zu gehen.
Nun ließe sich das unter Politikfolklore abbuchen, wenn es nicht so wäre, dass Scholz in jedem Themenbereich fachlich auf der Höhe, sehr gut vorbereitet und mit den Details vertraut ist. Als guter Intellektueller lässt der Bürgermeister natürlich das bessere Argument gelten, er findet nur bei anderen kaum eines. „Er ist in erbarmungsloser Art und Weise von sich selbst überzeugt“, lautet eine Beschreibung aus der Verhandlungsrunde. Und: „Olaf Scholz handelt nach dem Motto: Über mir ist nur der Himmel!“
Dass Scholz ein harter Verhandler ist, lässt sich am Beispiel Stadtbahn zeigen. Hier gab er keinen Millimeter nach und hielt den strikten Kurs seines Nein zu dem neuen Verkehrsmittel ein. Wenigstens eine Referenzstrecke mit hohem Fahrgastaufkommen entlang der Metrobuslinie M5 nach Niendorf und Schnelsen? Nein. Ein Referendum, also eine Bürgerabstimmung über die Einführung der Stadtbahn? Nein, obwohl Umfragen eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen die Stadtbahn ausweisen, also den Scholz-Kurs stützen. Angesichts der Ablehnungsfront zogen die Grünen die Notbremse, kündigten eine Unterbrechung der Gespräche an und sorgten so für die bislang einzige Krise in den Verhandlungen.
Am Ende half es nichts. Auch der letzte Kompromissvorschlag der Grünen, die Ideen der Hochbahn zur Ausfädelung der Stadtbahn aus der U-Bahn aufzugreifen, ging ins Leere. Der Bürgermeister soll nur noch gelächelt und einmal sogar die „Drohkeule“ herausgeholt haben. Es gäbe, so Scholz, in der Bürgerschaft ohnehin keine Mehrheit für die Stadtbahn. Andere Fraktionen würden seinen Kurs mittragen. Wenigstens dieses eine Mal drohte Scholz zumindest indirekt damit, dass rechnerisch schließlich auch ein Bündnis mit der FDP möglich ist.
„Die Stadtbahn wird nicht kommen“, musste Grünen-Chefin Fegebank am Ende der Verhandlungsrunde verkünden – diesmal ohne freundliches Lächeln. Nun hat dieses Ergebnis die Grünen letztlich nicht überrascht, weil Olaf Scholz den Fegebank-Satz wortgleich im Wahlkampf immer wiederholt hatte. Das Nein zur Stadtbahn war ein Essential des Bürgermeisters.
Auch bei dem grünen Kernthema schlechthin – der Umwelt- und Energiepolitik – ging es überraschend hart zur Sache. Scholz stellte früh klar, dass er der Ansicht ist, mit der aufgezwungenen Umsetzung des von ihm verlorenen Volksentscheids zum Rückkauf der Energienetze im Grunde genug in diesem Politikbereich getan zu haben. Zugegeben: Die Einführung einer Umweltzone haben die Grünen nicht mehr mit der gleichen Vehemenz gefordert wie noch vor Jahren, weil das Instrument an Bedeutung verliert. Aber für den Dauerbrenner einer Citymaut wollten sie sich mit der SPD auf eine Bundesratsinitiative verständigen, um einen Pilotversuch starten zu können. Das Problem: Angesichts der jetzigen Mehrheitsverhältnisse in Berlin gilt das Vorhaben als aussichtslos. Und Scholz geht nun einmal nicht in ein Rennen, das er nur verlieren kann.
Auch beim Thema Luftreinhaltung ließ sich die SPD nicht davon abbringen, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, das ein stärkeres Engagement der Stadt zur Einhaltung der EU-Grenzwerte einfordert, in Berufung zu gehen. Das Argument der SPD, auch Städte mit Grünen-Bürgermeistern wie Stuttgart oder Freiburg würden die EU-Normen nicht einhalten, überzeugten Fegebank, Kerstan und ihre Mitstreitern schließlich. Jetzt soll eine Konferenz unter Leitung des Deutschen Städtetages eine Abstimmung unter den betroffenen Kommunen herbeiführen. Ziel: In Gesprächen soll die Autoindustrie überzeugt werden, die Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen zu senken, die für die Stickstoffdioxid-Belastung entscheidend sind. Klingt nach einer Lösung, die typisch ist für Scholz.
Doch auch sonst mussten sich die Grünen jeden noch so kleinen Erfolg im Umweltbereich hart erarbeiten. Ja, die energetische Sanierung von Schul- und Hochschulgebäuden soll vorangetrieben werden. Das öffentliche Grün soll intensiver gepflegt werden. Selbst bei Vorschlägen, die der SPD nicht weh tun, wurde hart gerungen. Manch einer beobachtet bei Scholz einen gewissen „Phantomschmerz“ über den Verlust der absoluten Mehrheit. Am liebsten hätte er es wohl, wenn die Senatspolitik so fortgeführt würde wie in den vergangenen vier Jahren der Alleinregierung.
Warum lassen sich die Grünen darauf ein? Die Antwort ist einfach: Die Partei hat ihren Politikansatz verändert. Früher ging es den Grünen um gesellschaftliche Veränderungen, die sich an großen Projekten ablesen ließen. Die Ernüchterung kam in der Phase der schwarz-grünen Koalition 2008 bis 2010: Das Scheitern der grünen Primarschulreform, die per Volksentscheid gekippt wurde, und der massive Widerstand der Anwohner gegen die damals geplante erste Stadtbahn-Trasse durch Winterhude hat die Parteistrategen umdenken lassen. Jetzt heißt es kleinere Brötchen backen.
Es geht um pragmatisch-realistische Politik der kleinen Schritte – und vor allem: nichts gegen den Willen der Bürger. Die Grünen wollen in der Stadtlandschaft sichtbare Veränderungen erreichen, das kann dann auch manchmal sehr kleinteilig sein. Dazu zählt zum Beispiel das Radverkehrskonzept, das nun mit der SPD vereinbart wurde. Oder die stadtweite Strategie zur Dachbegrünung. Symbolpolitik – Stichwort Umweltzone und Citymaut – sind weniger Bestandteil grüner Politik als früher. Fegebank spricht in diesem Zusammenhang gern von einer Politik der „Zielerreichung“.
Neben dieser neuen Bescheidenheit erklärt noch ein zweiter Punkt die zum Teil bemerkenswerte Leidensfähigkeit der Grünen in den Koalitionsverhandlungen: Es geht ihnen darum, ihre Regierungskompetenz zu beweisen und die Scharte des schwarz-grünen Scheiterns auszuwetzen. Die Grünen wollen belegen, dass sie fünf Jahre an der Regierung bleiben und sich mit der Umsetzung ihrer Ziele behaupten können. Nur: Ohne deutliches Entgegenkommen der SPD in den verbleibenden Runden wird die grüne Handschrift nicht klar genug erkennbar sein.
Das gilt nicht zuletzt für das Volumen der Mehrausgaben, die aus grüner Sicht insgesamt erforderlich sind. Zu Beginn der Gespräche hatten sich SPD und Grüne darauf geeinigt, dass als echte Mehrausgaben nur die Zinsersparnisse in Betracht kommen sollen, die infolge der Schuldentilgung anfallen. Nach Lage der Dinge wären das zwischen zwölf und 15 Millionen Euro jährlich – kaum mehr als ein „Spielgeld“ angesichts eines Zwölf-Milliarden-Etats. Darüber hinaus sollen zusätzliche Ausgaben nur möglich sein, wenn an anderer Stelle des jeweiligen Einzeletats gespart wird. Das heißt dann: Um Velorouten und Radschnellwege einzurichten, wird eventuell die eine oder andere Straße später saniert. Oder: Um mehr Schulgebäude energetisch auf den neuesten Stand zu bringen, muss ein Schulneubau vielleicht auf später verschoben werden. Ob Olaf Scholz da mitmacht?
Auf eines können sich die Grünen immerhin verlassen: Der Bürgermeister hat mehrfach in den Verhandlungen betont, dass er das Bündnis mit den Grünen will. Und mit ihm werde es keine der üblichen Koalitionsrituale geben – wie das öffentliche Schlechtreden des Partners in bedrängter Situation. Vielleicht haben die Grünen den größten Stress ja vor der Einigung auf ein Bündnis mit der SPD.
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