Keiner weiß, wann das Konzerthaus fertig sein wird. Zur Eröffnung sollten die besten Orchester der Welt spielen - doch die planen Jahre im Voraus.

Hamburg. "Wir gehen weiter davon aus, dass wir im Mai 2012 die Eröffnung feiern werden." Das sagte Generalintendant Christoph Lieben-Seutter am 26. Januar im Abendblatt zu den Später-teurer-chaotischer-Spekulationen über Fertigstellung und Eröffnung der Elbphilharmonie. "Fest steht, dass die für Ende 2011 vorgesehene Fertigstellung nicht realisiert werden kann." Das hatte der Baukonzern Hochtief, seit Monaten im Clinch mit der Stadt, fünf Tage zuvor gesagt.

Seitdem wäre es im Wochentakt möglich gewesen, immer neue Vermutungen, neuerdings auch jenseits der 500-Millionen-Euro-Kosten-Grenze, zu erhalten. Fakten oder klare Schuldeingeständnisse gibt's aber nicht. Nachdem auch der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe ("Neuschwanstein an der Elbe") in den klaffenden Wunden bohrte, hat jetzt ein Abschied der städtischen Verantwortlichen von ihrem Alles-in-bester-Ordnung-Mantra begonnen. Jetzt wurde zugegeben, dass man über "Alternativszenarien" der Eröffnung nachdenkt. Aber nur von einigen. Denn auch bei dieser dramatisch kritischen Phase ist offenbar jeder sich selbst der Nächste.

Der "Spiegel" behauptet, die Wiener Philharmoniker seien "von der Stadt" informiert worden, dass ihr Termin im Rahmen des bislang geplanten Eröffnungsfestivals im Mai 2012 "kippeln" würde. Nach Abendblatt-Informationen kursieren Gerüchte über eine mögliche Verschiebung des Auftritts der Wiener Philharmoniker seit Tagen durch die deutsche Klassik-Szene.

Noch am vergangenen Donnerstag wusste im Künstlerischen Betriebsbüro in Wien niemand etwas davon. Man habe einen Auftritt für den 19. Juni 2012 im Kalender, der stehe nach wie vor. Auch etliche andere Top-Orchester wussten noch nichts Entsprechendes. Denn sie haben eigenen Auskünften zufolge noch keinen Termin in Hamburg. Das müssten sie aber, weil in dieser Liga mindestens drei Jahre Planungsvorlauf üblich und notwendig sind. Doch dazu später mehr.

Denn nach einem Tag voller Telefonate mit Intendanzen drängt sich die Frage auf, wie verbindlich und mit wem der Hamburger Generalintendant bislang plante und planen konnte, um die Eröffnungsphase so spektakulär wie ständig versprochen zu bestücken. Bisher hatte Lieben-Seutter stets ein Geheimnis daraus gemacht, welche und wie viele Top-Orchester der Klassik-Welt zur Weihe des Hauses kommen würden. Klar war immer nur, dass insbesondere das hiesige NDR-Sinfonieorchester als Residenzorchester eine tonangebende Rolle übernehmen will.

Unterdessen meldete sich Kulturstaatsrat Nikolas Hill am Sonnabend mit Andeutungen für einen Plan B zu Wort: Sollte Hochtief "objektive Probleme" haben, den bisherigen Termin einzuhalten, dann werden sich die Stadt und der städtische Konzertveranstalter HamburgMusik "in ihren Planungen darauf einstellen müssen", teilte er dem Abendblatt mit. "Die Planungen beinhalten schon jetzt eine Doppelstrategie und berücksichtigen Alternativszenarien, insbesondere im Umgang mit dem Eröffnungsfestival, falls der Bau tatsächlich nicht termingerecht fertig werden sollte." Hiervon habe HamburgMusik ihre Partner unterrichtet und "in die Lage versetzt, auch in eigenen Planungen Alternativszenarien zu berücksichtigen."

Dabei gehe es nicht darum, ein Festival abzusagen, sondern darum, dass vor dem aktuellen Hintergrund eine definitive Bestätigung des Eröffnungstermins nicht vertretbar wäre. "Hierfür haben die Beteiligten großes Verständnis gezeigt."

Wie angespannt momentan die Nerven aller Beteiligten sind, wurde gestern Abend deutlich: Erst sprach Christoph Lieben-Seutter mit dem Abendblatt, im zweiten Telefonat gab er dann aber seine wörtlichen Zitate nicht zur Veröffentlichung frei. Karl Olaf Petters wiederum, in der Kulturbehörde als Sprecher für den Themenkomplex Elbphilharmonie zuständig, hatte zuvor bei der Frage nach "Alternativszenarien", von denen sein Vorgesetzter Hill gesprochen hatte, an Lieben-Seutter verwiesen.

Es geht aber auch bei der Orchesterbuchung für die Eröffnungsfeierlichkeiten immer noch verwirrender. Bei den Berliner Philharmonikern war bislang kein Termin bekannt. Nebenbei bemerkt: Möchte man ein Orchester dieser Güte exklusiv verpflichten, sind die Kosten ungleich höher als bei den branchenüblichen "joint ventures", für die mehrere Konzerthäuser gemeinsam ein Ensemble mit oder ohne Starsolisten buchen, das dann von Haus zu Haus zieht. Das New York Philharmonic, dessen neuer Chefdirigent Alan Gilbert auch Erster Gastdirigent des NDR-Sinfonieorchesters ist, wusste in Sachen Elbphilharmonie von nichts. Das Concertgebouw aus Amsterdam wäre zwar im Rahmen einer Tournee nach Hamburg gekommen, musste aber aufgrund der eingetrübten Finanzierungsmöglichkeiten die gesamte Tour absagen.

Auch das Los Angeles Philharmonic hat bislang keine Terminbuchung für Hamburg. Lediglich sein neuer Chef Gustavo Dudamel wird auftreten - allerdings mit seinem venezolanischen Jugendorchester. Man würde aber jederzeit liebend gern kommen, teilte die Pressestelle in der Walt Disney Concert Hall mit. Jener Halle, deren Akustik von Yasuhisa Toyota entworfen wurde, der nun auch für die Elbphilharmonie plant. Die Kalifornier gehen 2011 zwar auf Europa-Tour, aber dann spielen sie in der Kölner Philharmonie; ob sie es sich ein Jahr später schon wieder leisten können, die Instrumentenkoffer zu packen, ist mehr als fraglich.

Das Gewandhausorchester aus Leipzig hat sich einen Tag in seiner fürs Frühjahr 2012 geplanten Tournee für Hamburg reserviert. Falls die Elbphilharmonie dann fertig ist. Falls nicht, hätten sie eben einen freien Tag im eng getakteten Reiseplan, heißt es. Weder die Dresdner Staatskapelle noch das Münchner BR-Symphonieorchester konnten für 2012 mit Auftrittsterminen in der Elbphilharmonie dienen.

In einer Baustellenbesuch-Reportage der "Welt" wurde "Bauherrin" Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos), auf die elbphilharmonischen Miseren angesprochen, mit dem Satz zitiert: "Ich schlafe ohnehin nicht besonders gut." Zu verdenken ist es ihr nicht, denn an Anlässen für durchwachte Nächte herrscht kein Mangel. Nicht zuletzt, weil die Opposition sich schon auf einen Untersuchungsausschuss im Vorwahlkampf freut. Außerdem ist für das letzte Mai-Wochenende eine Richtfest-Feier auf der Baustelle geplant. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat sich für einen Besuch auf der Plaza in 40 Meter Höhe ankündigen lassen. Das Wortspiel vom Krisengipfel läge angesichts der steilen Kostensteigerungen nahe. Doch die Elbphilharmonie ist an der höchsten Stelle 110 Meter hoch. Es gibt noch Eskalationsluft nach oben.