„Dieser Schulstreik ist praktischer Politikunterricht.“ Mindestens 3500 Kinder demonstrieren in der City für Flüchtlinge. Schulfrei hatten sie für die Aktion jedoch nicht bekommen.

St. Georg. Zuerst gab es heiße Kürbissuppe auf dem Hachmannplatz. Eric-Juma Stichel, 43, Ausbilder der Produktionsschule Eimsbüttel, verteilte sie gegen eine kleine Spende für die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg. Kurz danach setzte sich am Donnerstag, gegen 10.15 Uhr, am Hauptbahnhof ein Demonstrationszug in Bewegung.

Mit dem selbst organisierten Schulstreik bekundeten nach Angaben des Aktionsbündnisses mehr als 4000 Schüler ihren Protest gegen die Flüchtlingspolitik des Senats und der Europäischen Union. Die Polizei bezifferte die Teilnehmerzahl auf 3500.

Die dreistündige Demonstration, die zur SPD-Zentrale an der Kurt-Schumacher-Allee führte, verlief friedlich. Lediglich in der Nähe der Ausländerbehörde wurden einige Feuerwerkskörper gezündet. Zu den Unterstützern der Aktion zählte die Lehrergewerkschaft GEW und die Linkspartei, die für Werbezwecke rund 1500 Euro bereitstellte.

Mit Spruchbändern und geballten Fäusten zogen die Jungen und Mädchen aus vielen Hamburger Schulen durch die weihnachtlich geschmückte Innenstadt. Auf den Spruchbändern stand beispielsweise: „Kein Mensch ist illegal“, „Liebe statt Rassismus“ und „Bleiberecht für alle“. Einige Polizisten führten den Tross an, danach folgten ein Lautsprecherwagen und die Demonstranten. Derweil skandierte Holger, ein Sozialarbeiter, auf dem Wagen immer wieder seine Losungen. „Ganz Hamburg hasst die SPD!“, rief er in die Menge. Und Hunderte Schüler wiederholten lautstark den Slogan, vor allem vor der SPD-Zentrale, wo einige Genossen mit ihren Smartphones etwas verunsichert aus dem Fenster blickten.

Schulfrei hatten die Schüler an diesem Tag übrigens nicht. Wie es in der Bildungsbehörde heißt, wurde eine Befreiung vom Unterricht für die Teilnahme an Demonstrationen in der Unterrichtszeit nicht gewährt. Wer fehle, werde ins Klassenbuch eingetragen und benötige eine Entschuldigung der Eltern, hieß es.

Amos, 16, vom Gymnasium Eppendorf ging am Donnerstag lieber auf die Straße und versäumte den Englischunterricht. Einwanderung müsse legalisiert und die Flüchtlingspolitik geändert werden, sagte er – deshalb nehme er am Schulstreik teil. Allerdings sind aus seinem Gymnasium mit ihm nur noch zwei Schülerinnen gekommen. „Schade, dass wir so wenig sind“, meint er. „Die anderen wollen lieber lernen.“

Auch am Gymnasium Allee lief der Unterricht weiter. Auf dem Gehweg vor der Schule hatte jemand in großen Buchstaben „Heute Schulstreik“ geschrieben. Rund 25 Prozent Schüler kamen dieser Aufforderung nach und blieben nach der zweiten Stunde dem Unterricht fern, um an der Demo teilzunehmen. Schulleiter Ulf Nebe hatte schon vorab auf der Homepage der Schule Eltern und Schüler darüber informiert, dass das Fernbleiben vom Unterricht, um an der Demonstration teilzunehmen, nicht entschuldigt wird.

„Wir begrüßen natürlich das Engagement der Schüler, aber so etwas kann ja durchaus auch außerhalb der Schulzeit passieren“, sagt Nebe und fragt: „Warum kann die Demo nicht am späten Nachmittag stattfinden?“ Das Thema Bleiberecht und Abschiebung sei natürlich ein wichtiges Thema. Einigen Schülern war diese Warnung dagegen egal: „Wir gehen zu der Demo“, sagte eine Neuntklässlerin. „Das ist wichtig, und wir müssen das unterstützen.“ Ihre Mutter teile ihre Meinung. „Sie will mir eine Entschuldigung schreiben.“ Andere Schüler wollen lieber keinen Eintrag riskieren. Zwar sei das Engagement für die Flüchtlinge eine gute Sache, „aber ich will nicht unentschuldigt fehlen“, sagt Eray aus der 12. Klasse.

Während die einen büffelten, demonstrierten die anderen. Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken in der Bürgerschaft, machte den Schülern Mut: „Bleibt engagiert und wachsam. Wir müssen weiter für eine solidarische Flüchtlingspolitik kämpfen.“ Auch die Gewerkschaft GEW war als Unterstützerin vertreten. Funktionär Fredrik Dehnerdt sagt: „Dieser Schulstreik ist praktischer Politikunterricht.“ Der Mensch mache das Gesetz, fügte er hinzu. „Und nicht das Gesetz den Menschen.“

Kurz vor dem Ende der Kundgebung kündigte das Aktionsbündnis weitere Proteste an. Über die Möglichkeit eines erneuten Streiks werde nächste Woche entschieden, sagte Leonie Meliones, eine der Sprecherinnen. Bei der Hamburger SPD heißt es derweil: „Wir sind mit den jungen Leuten im Gespräch.“ Viele erkannten inzwischen, dass es bei der aktuellen Diskussion um den Umgang mit den Flüchtlingen aus Afrika keine einfachen Lösungen gebe, sagte SPD-Landessprecher Lars Balcke dem Abendblatt.