Skandal erreicht auch Hamburg. Vor der Bürgerschaftswahl 1982 forderte die Partei Straffreiheit für Sex mit Kindern

Hamburg. Die Debatte über Pädophilie bei den Grünen hat auch den Hamburger Landesverband erreicht. Wie aus dem Wahlprogramm für die Bürgerschaftswahl 1982 hervorgeht, wollte sich die Partei seinerzeit dafür einsetzen, Sex mit Kindern prinzipiell straffrei zu machen.

Auf Seite 51 des Programms heißt es unter der Überschrift „Schwule und Lesben / kein Tabu und keine Diskriminierung“: „Auf überregionaler Ebene setzen wir uns dafür ein, daß (…) die Tatsache sexueller Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht generell Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein kann. Vor Gewalt, Nötigung und Ausbeutung sollen Kindern – wie alle Menschen – selbstverständlich geschützt werden.“ Man fordere deshalb eine Änderung der Strafgesetzbuchparagrafen 174 (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) und 176 (Sexueller Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren). Die Hamburger Grünen selbst haben dem Abendblatt die entsprechenden Passagen im Wahlprogramm zugänglich gemacht.

Bereits Mitte August hatte der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ darauf hingewiesen, dass sich die Forderung nach einer Entkriminalisierung von Pädophilie in Programmen der Landesverbände Rheinland-Pfalz, Bremen, Hamburg und Berlin wiedergefunden hätten. Nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen die Grünen hatte die Partei den Wissenschaftler Ende Mai beauftragt, mögliche Einflüsse Pädophiler zu untersuchen.

Hamburgs Grünen-Chefin Katharina Fegebank betonte, ihr Landesverband habe von Anfang an auf Aufklärung gedrängt. „Wir wollen, was damals geschehen ist, nicht vergessen, sondern es schonungslos, offen und transparent aufarbeiten. Für mich und die Partei sind solche Forderungen, wie sie vor 30 Jahren erhoben wurden, jenseits von Gut und Böse und absolut nicht zu rechtfertigen.“ Davon distanziere man sich in aller Entschiedenheit.

Die Suche nach Verantwortlichen gestaltet sich allerdings als schwierig. Zum einen, weil die heutige Parteiführung im Durchschnitt recht jung ist und damals nicht involviert war. Zum anderen gibt es kaum schriftliche Dokumente etwa des damaligen Programmparteitages oder sonstiger Vereinbarungen und Sitzungen. Alles Schriftliche aus Hamburg soll im sogenannten „Grünen Gedächtnis“ lagern, dem Archiv der Partei in Berlin, angesiedelt bei der Heinrich-Böll-Stiftung. „Natürlich haben wir schon mit vielen gesprochen, die damals schon in der Partei aktiv waren“, sagt Fegebank. „Allerdings haben sie oft keine verlässliche Erinnerung. Dass es aber eine größere Debatte über Pädophilie in Hamburg gegeben hätte, verneinen alle. Groß diskutiert wurde das Thema offenbar nicht.“ Man habe noch nicht einmal herausgefunden, wer 1982 überhaupt im verantwortlichen Landesvorstand der noch jungen Partei gesessen hat. „Es gab damals die Grünen und die Alternative Liste und auf beiden Seiten ein vielköpfiges Vorstandsgremium.“

Zeitzeugen zufolge soll auch der Programmparteitag Ende Februar 1982 einigermaßen diffus abgelaufen sein. Am 22. Februar 1982 hielt das Abendblatt fest: „Rund 200 von den 500 Mitgliedern der Partei ‚Die Grünen‘ trafen sich am Wochenende, um ihr Wahlprogramm zu diskutieren. Sie wurden – kaum verwunderlich bei so viel selbst verordneter Basisdemokratie – damit nicht ganz fertig.“ Fegebank dazu: „Der Programmparteitag war allen Berichten zufolge eine ziemlich chaotische Veranstaltung und die Grünen damals noch keine geschlossene Partei, sondern eine Ansammlung verschiedenster Gruppierungen. Ich kann mir vorstellen, dass viele am Ende gar nicht wussten, worüber sie eigentlich abgestimmt haben.“ Unklar ist demnach auch, wer die nun virulente Passage überhaupt in das Wahlprogramm geschrieben hat: Der noch nicht bekannte Parteivorstand oder eine bestimmte Interessengruppe?

Es wird den Grünen also zunächst nicht viel mehr übrig bleiben, als auf die Ergebnisse von Forscher Walter zu warten. Das gilt in Hamburg wie im Rest der Republik. Angenehm ist das für die Partei nicht immer. Am Montag etwa hatte Walter bekannt gemacht, dass Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin 1981 presserechtlich für ein Kommunalwahlprogramm verantwortlich war, das ebenfalls Straffreiheit für gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern forderte.

Trittin sagte am Dienstag: „Wir Grünen, mich eingeschlossen mit der Verantwortung, haben in den frühen 80er-Jahren eine Position vertreten zur Pädophilie, die muss allen Missbrauchsopfern als Hohn erscheinen. Und das ist ein Fehler gewesen.“ Die Grünen seien dann aber die Ersten im Bundestag gewesen, die die Frage nach sexuellem Missbrauch in der Gesellschaft aufgeworfen hätten. „Und als Ausfluss dieser Debatte haben wir diese Position 1989 korrigiert.“ Das hatte auch Walter Mitte August in der „FAZ“ bestätigt. Auch in Hamburg deutet vieles auf eine Korrektur der Auffassung zur Pädophilie hin. Eine Mitarbeiterin wurde ins Archiv nach Berlin geschickt, um das Programm zur Bürgerschaftswahl 1986 unter die Lupe zu nehmen. Hier soll die Passage schon nicht mehr zu finden sein.