Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jens Kerstan kritisiert Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und den SPD-Senat heftig.

Altstadt. Jens Kerstan, Grünen-Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft, hat Bürgermeister Olaf Scholz und der regierenden SPD mangelnde Flexibilität und Kompromissbereitschaft bei wichtigen Zukunftsfragen vorgeworfen. "Der SPD-Senat verwechselt Verlässlichkeit bisweilen mit Borniertheit", sagte Kerstan in einer Halbzeitbilanz zur Mitte der Legislaturperiode im Rathaus.

Wichtigstes Beispiel für den Grünen ist Scholz' Verhalten beim bevorstehenden Volksentscheid zum kompletten Rückkauf der Energienetze. Während laut Abendblatt-Umfrage 64 Prozent der Hamburger für die Rekommunalisierung sind, hält der Bürgermeister den bereits erworbenen Anteil von 25,1 Prozent für ausreichend und mehr nicht für finanzierbar. "Scholz und die SPD machen den gleichen Fehler zum dritten Mal", sagte Kerstan. "Die Bürger waren gegen den Verkauf von HEW und HeinGas und jetzt wollen sie, dass die Netze zurück in die öffentliche Hand kommen", sagte der Grüne.

Die Hamburger ließen sich "kein X für ein U vormachen" und würden zwischen dem Gemeinwohl und den Konzerninteressen des Energieversorgers Vattenfall unterscheiden. Gewünscht sei wieder ein öffentliches Unternehmen im Energiebereich. "Hier ist Scholz als Geisterfahrer unterwegs. Die Bürger werden ihm beim Volksentscheid die Rote Karte zeigen."

Zweites Beispiel: Bei der geplanten Gefängnisreform halte der Senat an der Verlegung der Frauenhaftanstalt von Hahnöfersand auf das Gelände des Männergefängnisses Billwerder fest, obwohl fast alle Experten davon abrieten. "Auch das Argument, Geld zu sparen, trägt nicht", so Kerstan. Der Senat ziehe den einmal gefassten Plan durch. "Das ist halsstarrig bis zur Borniertheit", sagte der Grüne.

Es schwingt ein wenig der Vorwurf der Selbstüberschätzung mit, wenn Kerstan Scholz attestiert, "unkalkulierbare Risiken" eingegangen zu sein. "Das gilt für das finanzielle Engagement der Stadt bei Hapag-Lloyd ebenso wie bei der Elbphilharmonie und der HSH Nordbank", sagte Kerstan. Beim Konzerthaus etwa habe Scholz "den Konflikt zelebriert, Ultimaten gestellt und am Ende doch einfach das Scheckbuch gezückt". Nach wie vor gebe es aber Kostenrisiken bei der Elbphilharmonie. "Die Probleme harren weiterhin einer Lösung", sagte Kerstan.

Den Umweltpolitiker Kerstan regt besonders auf, dass der Scholz-Senat "die Trends der Industriegesellschaft der 1990er-Jahre fortschreibt". Der Grüne vermisst zukunftsweisende Ideen der Landesregierung in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Verkehr sowie Bildung und Wissenschaft. "Der alte Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie ist in großer Härte wieder ausgebrochen", sagte der Grünen-Politiker.

Das zeige sich sehr deutlich beim Streit über die Elbvertiefung, bei dem Scholz in die Konfrontation mit den Umweltverbänden gegangen sei. Die Weigerung des Bürgermeisters, über eine außergerichtliche Einigung bei der Ausbaggerung des Flusses auch nur nachzudenken, vergifte das Klima in der Stadt. "Letztlich dient das auch nicht den Interessen des Hafens."

Auch in seiner ersten Rede vor dem Übersee-Club Ende Januar habe Scholz "die Trends von gestern" fortgeschrieben und als Zukunftsvision präsentiert. "Sein Versprechen lautet zusammengefasst: Alles wird so schön wie in der guten alten Zeit, nur zwei Nummern größer", sagte der Grünen-Politiker.

Kerstan fordert deutlich höhere Investitionen im Wissenschaftsbereich. "Das betrifft die Sanierung der Hochschulgebäude, aber auch die Forschung." Tarifsteigerungen und Inflationsraten müsse der Senat im Budget der Hochschulen ausgleichen. Die SPD lasse die Stadtteilschulen mit den Problemen bei der Umsetzung der Inklusion allein. "Das Thema wurde völlig unterschätzt", so Kerstan. Wenn der Senat nicht gegensteuere, drohe die Stadtteilschule "zu einer heimlichen Sonderschule" zu werden.

Wer wie Olaf Scholz wolle, dass Hamburgs Einwohnerzahl auf zwei Millionen bis 2030 steige, müsse auch sagen, wie die Neubürger gewonnen werden sollen. "Ein attraktives Bildungsangebot und erstklassige Wissenschaft sind die entscheidenden Voraussetzungen für Zuwanderung", sagte der Grünen-Fraktionschef.

Ein konzeptionelles Defizit sieht Kerstan auch in der Verkehrspolitik. "Wie will der Bürgermeister die Stadt im Verkehrsbereich für zwei Millionen Menschen fitmachen?", fragt er und gibt selbst die ironische Antwort: "Nur mit mehr Bussen und Elektroautos?" Die SPD wisse offensichtlich nicht, dass auch Elektroautos Parkraum benötigten und schon von Tempo 50 an genau so laut seien wie Benzinautos. Die Grünen wollen den motorisierten Verkehr zumal in der Innenstadt durch den Bau der Stadtbahn und bessere Radwege verringern. Die Einführung einer City-Maut oder Umweltzone sei für die Grünen derzeit allerdings nicht das zentrale Thema. Kerstan hält die politische Umsteuerung für finanzierbar. "Der Senat investiert einseitig in die Hafeninfrastruktur." Das sei angesichts der andauernden Schifffahrtskrise der falsche Akzent. "Wir würden die Investitionen stärker in die Zukunftsbereiche Bildung und Wissenschaft lenken."