Oppositionsführer Dietrich Wersich (CDU) sieht den Senat zur Halbzeit auf dem absteigenden Ast. Eine Umfrage ergibt jedoch das Gegenteil.

Neustadt. Das ist natürlich dumm gelaufen: Die Prospekte und Postkarten für die Halbzeitkampagne der größten Oppositionspartei CDU sind gedruckt. "Zwei Jahre SPD-Senat: Ausreichend ist uns nicht gut genug", lautet das kernige Motto. Doch praktisch zeitgleich bescheinigt die Meinungsumfrage im Auftrag des Abendblatts der Landesregierung 70 Prozent Zustimmung. Die Befragten bewerten die Arbeit des Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) mit der Note 2,7, die SPD kommt in der Sonntagsfrage auf 51 Prozent, mehr als bei der Bürgerschaftswahl im März 2011 (48,4 Prozent). Stimmung und politische Bewertung scheinen auseinanderzuklaffen.

Erklärungsversuche hoch über der Stadt, im 23. Stock des Emporio Towers in der Neustadt. "Der Rausch der absoluten Mehrheit ist verflogen, auch wenn sie in den Umfragen noch anhält", sagt CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Ungelöste Probleme wie die Elbphilharmonie, die Elbvertiefung oder das teure 420-Millionen-Euro-Engagement der Stadt bei Hapag-Lloyd hätten aber "die Grenzen von Olaf Scholz aufgezeigt".

Doch Wersich ist Realist. "Die Mehrheit der Hamburger erkennt noch keine Alternative", sagt er. "Aber die Begeisterung ist nicht mehr da." Immerhin sei Scholz' Kurswert bei der Frage nach einer Direktwahl des Bürgermeisters von 72 auf 62 Prozent Zustimmung gesunken. Für Wersich votierten 15 Prozent - vor einem Jahr waren es nur zwölf Prozent. Auch die Union konnte erstmals seit dem Regierungsverlust in einer Umfrage zulegen - und erreicht nun allerdings immer noch bescheidene 23 Prozent.

Fast entschuldigend klingt es, wenn der CDU-Politiker sagt: "Wir wollen nicht nur meckern, aber wir sind als Opposition nun einmal diejenigen, die den Finger in die Wunde legen und Wasser in den Wein schütten." Das sei eben der verfassungsmäßige Auftrag der Opposition.

Beim Blick vom früheren Unilever-Haus über die sonnenbeschienene Stadt ließe sich am besten zeigen, was alles falsch laufe. Und der Unions-Fraktionschef findet reichlich Stoff zur Kritik. Defizite des Senats erkennt Wersich vor allem im Verkehr und Mobilität. "Die Stadt braucht dringend eine Ringbahn von Lurup über Steilshoop bis nach Bramfeld. Aber Olaf Scholz hat die Stadtbahn gestoppt", sagt Wersich. Statt dessen investiere der SPD-Senat Millionen in das umstrittene Busbeschleunigungsprogramm. "Das ist eine völlig unzureichende Antwort auf das Anwachsen der Verkehrsströme."

Unter der CDU-Führung habe der Senat die Weichen für die IBA und die igs in Wilhelmsburg gestellt. "Solche Entscheidungen hat der neue Senat nicht gefasst", kritisiert Wersich und fügt gleich hinzu, was er unter anderem erwartet: Für den Sprung über die Elbe müsse die neue U-Bahn-Linie U 4 über die Elbbrücken mindestens bis Wilhelmsburg verlängert werden.

Der CDU-Politiker beklagt insgesamt die "Ideenlosigkeit des Bürgermeisters für die Zukunft Hamburgs". Scholz habe das CDU-Konzept der "Wachsenden Stadt" zwar übernommen. "Aber der Senat ruht sich ein Stück weit auf den Lorbeeren seiner Vorgänger aus." In seiner ersten Rede vor dem Übersee-Club habe Scholz nicht gesagt, wie er das Bevölkerungswachstum gestalten wolle und mit welchen Strategien er erreichen wolle, dass Menschen in großer Zahl überhaupt nach Hamburg ziehen "Die Haltung von Olaf Scholz ist geprägt davon, das Wachstum zu bewältigen", kritisiert Wersich. "Das klingt wie die Vorahnung eines Erdbebens, gegen das man sich wappnen muss."

Beim Thema Elbphilharmonie lässt der Oppositionschef Zahlen sprechen. "Wir haben das Projekt 2011 mit 14 Monaten Bauverzögerung übergeben. Jetzt stehen wir bei 55 Monaten Verzögerung und rund 200 Millionen Euro Mehrkosten", sagt Wersich.

Der Senat habe nicht Wort gehalten mit der Ankündigung, dass der Haushalt nur um ein Prozent pro Jahr ansteige. "Das ist eine ziemlich dreiste Täuschung. Der Etat 2012 ist um 6,8 Prozent gegenüber 2011 gewachsen", sagt Wersich, der sich dabei allerdings auf vorläufige Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium beruft.

Die Union fordert eine Neuausrichtung der kriselnden HSH Nordbank. "Die Bank braucht ein neues Geschäftsmodell", sagt Wersich. "Die HSH sollte sich wieder stärker in der Flugzeugfinanzierung engagieren, wo sie früher auch stark war." Allerdings hatte die EU-Kommission im Zuge der Restrukturierung der Bank die Konzentration auf den Bereich der Schiffsfinanzierung erlaubt, zugleich aber die Trennung von der Flugzeugfinanzierung verlangt.

Nach Ansicht der Union sollten neue Verhandlungen mit der EU-Kommission aufgenommen werden. Außerdem sollte sich die Stadt laut Wersich Gedanken über eine Trennung von Anteilen an der Bank machen. Hamburg und Schleswig-Holstein besitzen 85 Prozent der früheren Landesbank.

Für den Bereich Bildung und Wissenschaft fordert der Oppositionschef "mehr Exzellenz". Hamburg traue sich unter der SPD-Führung nicht, "aus dem Mittelmaß herauszutreten". Beim Schulbau hake es erheblich, viele Kantinen, die für den Ganztagsbetrieb erforderlich seien, würden nicht rechtzeitig fertiggestellt.

Mit einer rund 85.000 Euro teuren Kampagne und Veranstaltungen in den 17 Wahlkreisen will die CDU ihre Positionen verdeutlichen und mit den Wählern in den Dialog treten. "Wir leben in einer wunderschönen Stadt - doch wir müssen dafür sorgen, dass es so bleibt", schreibt Wersich auf einer Einladungs-Postkarte, die an 400.000 Haushalte verteilt werden soll.