Knapp zwei Drittel wollen laut Abendblatt-Umfrage die Rekommunalisierung. Die SPD setzt auf Kampagne zum Meinungsumschwung.

Hamburg. Der Jubel fiel doch eher verhalten aus. "Wir freuen uns über die Zustimmung aus allen Teilen der Bevölkerung und aus allen Wählergruppen", sagt BUND-Geschäftsführer, Vertrauensperson der Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz".

Dabei ist das Ergebnis eindeutig: 64 Prozent der Hamburger sind für den kompletten Rückkauf der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze, den die Initiative per Volksentscheid am 22. September parallel zur Bundestagswahl erreichen will. Nur 20 Prozent der Menschen, die das Meinungsforschungsinstitut GESS Phone & Field im Auftrag des Hamburger Abendblatts befragt hat, sind gegen die Rekommunalisierung. Lediglich 14 Prozent sind unentschieden.

Doch dann zielt die Initiative genau auf den wunden Punkt der regierenden Sozialdemokraten, die gegen den Rückkauf sind und den gegenwärtigen 25,1-Prozent-Anteil der Stadt für ausreichend halten. "Bemerkenswert ist vor allem die hohe Zustimmung aus der SPD-Wählerschaft", sagt Braasch. Laut Umfragen wollen 72 Prozent der SPD-Wähler den Rückerwerb der Netze. Das ist der zweithöchste Wert innerhalb des Parteienspektrums. Nur die Linken-Wähler sind mit 88 Prozent Zustimmung noch eindeutiger.

Braasch und seine Mitstreiter nehmen das Umfrageergebnis als Beleg dafür, dass "die Versuche, die Volksinitiative mit unsachlichen Anwürfen zu diskreditieren, ganz offenkundig nicht verfangen". Unter anderem hatte die Handelskammer "Unser Hamburg - unser Netz" einen "unrühmlichen Populismus" vorgeworfen. "Jetzt sind die Gegner aufgefordert, zu einer sachlichen Debatte zurückzukehren", so Braasch.

Doch genau das - Unsachlichkeit - werfen die Gegner der Rekommunalisierung auch der Volksinitiative vor. "Die Initiatoren des Volksentscheids streuen den Bürgern Sand in die Augen, wenn sie behaupten, dass ein Komplettrückkauf der Netze kein Problem sei und sich über kurz oder lang auch noch selbst finanziere", sagt SPD-Bürgerschafts-Fraktionschef Andreas Dressel. "Die Wahrheit ist: Jahrelange juristische Auseinandersetzungen mit den Energieversorgern und zwei bis drei Milliarden Euro neue Schulden für die Stadt wären die Folge." Mit Blick auf die eigene Wählerklientel sagt SPD-Politiker Dressel: "Wir müssen noch richtig Überzeugungsarbeit leisten. Das ist uns allen klar."

"Die Begründung der Initiative ist grob irreführend, weil so getan wird, als ob der Rückkauf gleichbedeutend sei mit der Energiewende. Das ist absoluter Unsinn", sagt CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef Dietrich Wersich. Angesichts der hohen Zustimmungswerte für den Netzerückkauf vermutet der CDU-Politiker "ein Stück Nostalgie". Manche sehnten sich zurück in die Zeiten, als die städtischen Energieversorger noch Hamburgische Electricitätswerke (HEW) und Heingas hießen.

Wersich geht davon aus, dass der Volksentscheid nicht stattfindet, weil das Verfassungsgericht die Abstimmung kippt. "Der Wortlaut des Volksentscheids ist grob irreführend, und die finanziellen Folgen sind unvereinbar mit der Verfassung", sagte Wersich im Interview mit der "Welt am Sonntag".

Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschef Jens Kerstan sieht das Umfrageergebnis als "großen Ansporn für uns Grüne, gemeinsam mit der Volksinitiative für einen erfolgreichen Volksentscheid zu kämpfen". Ziel müsse es sein, dass die Hamburger im Energiebereich wieder ein Unternehmen bekommen, dem sie vertrauen können. "Die Privatisierung von HEW und Heingas war ein Fehler", sagt Kerstan.

Aus Sicht von Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn gründet sich das Umfrage-Ja zum Netzerückkauf auch auf die Abneigung gegenüber dem Energieversorger Vattenfall, dem die Strom- und Fernwärmenetze gehören. "Vattenfall ist nicht verbraucherfreundlich und hat die Preise nicht gesenkt. Wir haben die reelle Chance, dass die Hamburger für die Rekommunalisierung der Netze stimmen", so die Linken-Politikerin. "Die halbgare Strategie des Bürgermeisters, mit 25,1 Prozent staatlichen Einfluss auf die Energiepolitik zu simulieren, ist gescheitert", sagt FDP-Fraktionschefin Katja Suding.

SPD

Olaf Scholz, 54 (SPD), ist seit März 2011 Erster Bürgermeister

"Auch wenn es nur eine Momentaufnahme ist: Mich bewegt die Zustimmung zur Arbeit des Senats, die den Umfragewerten zu entnehmen ist", sagt Bürgermeister Olaf Scholz. "Nach dem sehr guten Wahlergebnis für die SPD bei der Bürgerschaftswahl 2011 wäre es schon ein Erfolg, wenn die SPD nach fast zwei Jahren in den Umfragen etwas unter dem damaligen Wahlergebnis läge. Nun schneidet die SPD sogar besser ab als damals." In der großen Abendblatt-Umfrage kommt die SPD auf 51 Prozent (Wahl 2011: 48,4 Prozent). Wäre eine Direktwahl des Bürgermeisters möglich, würden sich 62 Prozent für ihn aussprechen.

CDU

Dietrich Wersich, 48, ist CDU-Fraktionsvorsitzender

"Zum ersten Mal seit zwei Jahren stiegt die Zustimmung für die CDU wieder, das macht Mut und gibt uns Auftrieb", sagt CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef Dietrich Wersich. "Wir werden in den beiden kommenden Jahren hart daran arbeiten, dass uns immer mehr Hamburger vertrauen und sagen, die CDU kann man wieder wählen."

Wenn jetzt Wahl wäre, käme die CDU auf 23 Prozent (2011: 21,9 Prozent). Bei einer Direktwahl des Bürgermeisters würden 15 Prozent der Befragten bei Wersich ihr Kreuz machen. Mit der Frage des Spitzenkandidaten sollte sich die CDU laut Wersich nach der Europawahl 2014 beschäftigen.

Grüne

Jens Kerstan, 46, ist Chef der Grünen-Bürgerschaftsfraktion

Der Grünen-Politiker Jens Kerstan richtet den Blick auf die Bundestagswahl am 22. September. "Sieben Monate vor der Bundestagswahl hat Rot-Grün in Hamburg eine Zweidrittelmehrheit. Das ist eine gute Ausgangsposition, damit es bei der Bundestagswahl zum überfälligen Wechsel der Bundesregierung kommt", sagte der Bürgerschafts-Fraktionschef.

In der aktuellen Abendblatt-Umfrage kommen die Grünen auf 13 Prozent (Wahl 2011: 11,2 Prozent). Kerstans Arbeit als Oppositionspolitiker bewerteten die Befragten mit der Note 3,1 - das ist eine Verbesserung um einen Zehntelpunkt gegenüber 2012.

FDP

Katja Suding, 37, ist Vorsitzende der FDP-Bürgerschafts-Fraktion

Die FDP-Politikerin Katja Suding blickt angesichts schlechter Umfragewerte auf andere Landesverbände. "In Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ist die FDP bis kurz vor den Wahlen unter der Fünfprozentmarke gehandelt worden, jetzt sitzt sie in Hannover, Kiel und Düsseldorf dank Werten zwischen gut acht und fast zehn Prozent in den Landtagen", sagt Suding. "Nicht demoskopische Momentaufnahmen, sondern Wahlergebnisse zählen." Wenn am Sonntag Wahl wäre, würde die FDP laut Umfrage mit zwei Prozent den Sprung in die Bürgerschaft verpassen (Wahl 2011: 6,7 Prozent).

Linke

Dora Heyenn, 63, ist Chefin der Linken-Bürgerschafts-Fraktion

"Uns ist bewusst, dass wir in Hamburg nicht auf der Insel der Glückseligkeit der Linken sitzen", sagt Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn. "Man muss schon die Gesamtsituation der Partei einbeziehen." Es sei die Hoffnung der Hamburger Linken gewesen, bei der Umfrage "vorne eine Vier" zu haben. "Das haben wir erreicht", sagt Heyenn. "Aber wir haben keine Angst, dass wir bei der Wahl in zwei Jahren aus dem Parlament fliegen."

Die Linke würden laut Umfrage vier Prozent der Hamburger wählen. Damit wäre die Partei, die im Februar 2011 noch 6,4 Prozent erreichte, nicht in der Bürgerschaft vertreten.