Der Hamburger Doppelhaushalt steht. Doch was verraten die Zahlen, wie sind die Aussichten für 2013/14 - und wo spart der SPD-Senat?

Hamburg. Wenn dieses Werk vollbracht ist, hört man im Rathaus förmlich die Steine purzeln. Nach mehr als einem Jahr Vorarbeit, vier Monaten Beratung im Parlament mit Dutzenden Sitzungen, zum Teil bis spät in die Nacht, hat die Bürgerschaft am späten Donnerstagabend den Doppelhaushalt 2013/2014 mit den Stimmen der allein regierenden SPD beschlossen.

Was für Außenstehende auf den ersten Blick wie ein undurchdringlicher Zahlendschungel wirkt, ist für die kommenden zwei Jahre Fahrplan und Kompass für die ganze Stadt. Welche Schwerpunkte setzt der Senat um Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)? In welchen Bereichen sind die Aussichten rosig? Wo lauern Risiken? Vieles verraten die Zahlen, einiges bleibt nebulös, und manches wird gar bewusst ausgeklammert (siehe Artikel "Das steht nicht im Haushalt").

Die größten Verschiebungen betreffen auch die größten Brocken im Haushalt, die Etats der Schulbehörde und der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI). Weil der Senat den Schulbau insgesamt, vor allem aber den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen mit rund 200 Millionen Euro im Jahr fördert, wächst der Etat von Schulsenator Ties Rabe auf rekordverdächtige 2,3 Milliarden Euro. Etwa 70 Prozent oder 1,5 Milliarden davon entfallen allein auf die rund 18.000 Lehrer in Hamburg. Dass deren Zahl weiter steigt, damit die Klassen kleiner werden, ist erklärtes politisches Ziel und geht auf den 2010 von allen Fraktionen in der Bürgerschaft beschlossenen "Schulfrieden" zurück.

Nur noch knapp an der Spitze liegt das von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) verantwortete Budget, weil es die Ausgaben für die Nachmittagsbetreuung von 20.000 Schülern in Horten an die Schulbehörde abgibt. Dass Scheeles Etat dennoch gegenüber 2012 nahezu unverändert bleibt, hat zwei Gründe: Zum einen setzt der SPD-Senat den schon zu CDU-Zeiten begonnenen Ausbau der Kindertagesbetreuung fort und steigert die Ausgaben von 475 Millionen Euro in 2012 auf 517 Millionen in 2013 und gar 563 Millionen in 2014. Zum anderen steigen die Ausgaben für Sozialleistungen unvermindert auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro an.

Allein 250 Millionen Euro machen die "Hilfen zur Erziehung" aus, die Eltern und Familien in prekären Verhältnisse unterstützen sollen. Die anhaltende Kostenexplosion in diesem Bereich ist in erster Linie auf aufsehenerregende Fälle von vernachlässigten Kindern wie Jennifer, Lara-Mia oder Chantal zurückzuführen.

Grundsätzlich gilt für fast alle Behörden aber: Nicht jede Etatabsenkung ist eine Schwächung, nicht jeder Zuwachs eine Stärkung. So bekommen die sieben Bezirksämter mit zusammen 453 Millionen Euro 2013 zwar gut neun Prozent mehr Geld, aber da sie auch deutlich mehr Aufgaben zugewiesen bekommen haben, beklagen sie eine dramatische Unterfinanzierung und werden weiter Personal abbauen müssen. Auch der auffällige Anstieg des Wissenschaftsetats von 895 auf 972 Millionen Euro hat außer den hohen Investitionen in Sanierung und Neubau von Hochschulgebäuden auch einen technischen Grund: Die Abschaffung der Studiengebühren wird den Unis aus dem Behördenetat ausgeglichen und macht rund 40 Millionen Euro aus.

Gerupft wird die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Dass ihr Etat von 596 Millionen in 2012 auf 526 Millionen in 2013 und gar 491 Millionen in 2014 sinken soll, liegt zwar auch daran, dass große Aufgaben auslaufen, etwa für die Bauausstellung IBA und die Gartenschau igs (beide 2013). Aber selbst wenn man das rausrechnet, muss Senatorin Jutta Blankau (SPD) Federn lassen - unter anderem verliert sie Aufgaben an die Bezirke.

Oberste Maxime für den Haushalt ist die von SPD, Grünen und FDP in der Hamburgischen Verfassung verankerte Schuldenbremse. Demnach dürfen von 2019 an keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden, und auf dieses Ziel ist von 2013 an hinzuarbeiten. Bürgermeister Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) haben daher einige wenige Regeln aufgestellt, über deren Einhaltung sie unerbittlich wachen. Als Grundlage dafür dienen statt der schwankenden Prognosen über Steuereinnahmen die tatsächlichen Einnahmen der vergangenen 20 Jahre. Der Senat hat sie analysiert und mit einer mittleren Steigerungsrate von 2,25 Prozent bis 2020 fortgeschrieben. Heraus kamen 12,5 Milliarden Euro - das ist die Zielmarke, auf die alles ausgerichtet wird. Regel eins lautet daher: Damit die Ausgaben schon 2019 nicht mehr über den Einnahmen liegen, wurde zurückgerechnet, dass sie pro Jahr nur um 0,88 Prozent steigen dürfen - daran müssen sich alle Behörden halten. Die Ausgabeobergrenzen für die einzelnen Jahre hat die SPD sogar in einem "Finanzrahmengesetz" festgelegt - eine enorme Selbstbeschränkung.

Regel zwei lautet: Selbst wenn die Einnahmen höher sind als erwartet, gilt trotzdem Regel eins. Konkret bedeutet das: Von den derzeit noch recht optimistischen Steuerschätzungen zieht Tschentscher einen "Vorsichtsabschlag" von mehreren Hundert Millionen Euro ab - ignoriert die Summen also in der Planung. Außerdem bildet er Rückstellungen im hohen dreistelligen Millionenbereich für Unvorhergesehenes. Eigentlich ein Luxus. Dass Tschentscher trotzdem für 2013 und 2014 noch mit 450 beziehungsweise 300 Millionen Euro Kreditaufnahme plant, stößt bei CDU und FDP und teilweise auch den Grünen auf Kritik. Aus ihrer Sicht ist ein Haushalt ohne Schulden viel eher möglich als 2019. Die CDU nennt 2013, die FDP 2015, die Grünen legen sich nicht fest.

Zumindest technisch scheint das möglich, zumal bereits 2011 unterm Strich nur sechs Millionen Euro neu aufgenommen wurden. Allerdings ignorieren diese Forderungen zum Teil die enormen Risiken im Haushalt. Prominentestes Beispiel ist die Elbphilharmonie: Eine erwartete Kostensteigerung von 100 Millionen Euro oder mehr müsste ja aus irgendeinem Haushaltstitel bezahlt werden - auch dafür dienen diese Rückstellungen.

Zwei weitere große Risiken sind die Pensionslasten und die Zinsen. 1985 machten die Ausgaben für Pensionäre nur 20 Prozent der Personalkosten aus, 2013 werden es schon 32,9 und 2016 bereits 33,7 Prozent sein. Diese ansteigenden Belastungen wurden jedoch seit Jahrzehnten ignoriert. "Eine schwere Hypothek" sei das, schreibt Tschentscher in seinem Finanzbericht - wobei das als Vorwurf an alle ehemaligen Senate verstanden werden darf, egal ob SPD- oder CDU-geführt.

Für die knapp 23 Milliarden Euro Schulden des Kernhaushalts zahlt Hamburg derzeit knapp eine Milliarde Euro Zinsen pro Jahr. Dabei profitiert die Stadt noch vom historisch niedrigen Zinsniveau. Doch das wird nicht ewig so bleiben. Derzeit kalkuliert die Finanzbehörde für neue Kredite mit 3,5 Prozent Zinsen, für 2016 aber schon mit 4,25 Prozent. Sollte der Satz wieder auf sechs oder sieben Prozent steigen, würde das die Stadt Hunderte Millionen mehr kosten - pro Jahr.

Diese Risiken sind eine Erklärung dafür, warum Scholz und Tschentscher trotz aktuell relativ hoher Einnahmen den Ausgabenanstieg rigoros auf 0,88 Prozent begrenzen. Angesichts deutlich höherer Preissteigerungsraten ist das ein harter Sparkurs. Verschärft wird er noch dadurch, dass große "Schonbereiche" wie Schule, Kitas, Polizei und Feuerwehr definiert wurden, an denen nicht gespart werden soll - entsprechend höher ist der Druck auf alle anderen Bereiche. Vor allem die 67.000 städtischen Mitarbeiter bekommen das zu spüren. Ihre Zahl soll pro Jahr um 250 reduziert werden, und Tarifsteigerungen sind nur bis 1,5 Prozent einkalkuliert. Alles, was darüber liegt, führt zu weiterem Personalabbau.

Diese Ansage sowie die vergleichsweise kleine Einsparung von 3,5 Millionen Euro in der Kinder- und Jugendhilfe führte dazu, dass ausgerechnet ein SPD-Senat die Gewerkschaften und Sozialverbände gegen sich aufgebracht hat. Bei diesem "Bündnis gegen die Rotstiftpolitik" purzelten bei der Verabschiedung des Haushalts keine Steine vom Herzen. Sucht man eine Metapher für ihre Gemütslage, sind es wohl die schrillenden Alarmglocken.