Hamburger Landgericht arbeitet am Anschlag. Landgerichtspräsidentin warnt vor Haftentlassungen wegen zu langer Verfahrensdauer.

Hamburg. Immer aufwendigere langwierige Verfahren, immer mehr Haftsachen, die vorrangig verhandelt werden müssen, und das bei knappen Personalressourcen und ständigem Sparzwang - das Hamburger Landgericht arbeitet am Anschlag. "Weitere Einsparungen sind nicht verantwortbar", warnt die Präsidentin des Landgerichts, Sibylle Umlauf. "Die Folge wäre flächendeckend eine längere Prozessdauer, was für den Rechtsstandort Hamburg katastrophal wäre."

Dann sei es auch nicht mehr auszuschließen, dass Beschuldigte wie mutmaßliche Schwerkriminelle wegen zu langer Inhaftierung aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten. Denn die Zahl der erstinstanzlichen Strafverfahren steigt dramatisch an: 2011 gab es 298 Prozesse, in diesem Jahr werden es laut Hochrechnung rund 390 sein. Es gebe in Hamburg mittlerweile sechs Große Strafkammern, die einen Eingangsstopp haben, weil sie keine neuen Haftsachen mehr zeitgerecht bewältigen können, sagt Sibylle Umlauf.

In den Strafverfahren sei es ein "ständiger Kampf, Haftentlassungen wegen zu langer Verfahrensdauer zu vermeiden". Laut Gesetz darf die U-Haft nur in besonders begründeten Ausnahmefällen sechs Monate überschreiten.

Auch bei den Schwurgerichtssachen, also Verfahren wegen Tötungsdelikten, gebe es einen deutlichen Anstieg von 25 im Jahr 2011 auf voraussichtlich rund 48 in diesem Jahr. Deshalb seien zur Entlastung anderer Kammern acht Hilfsstrafkammern mit je drei Berufsrichtern aus dem Bestand eingerichtet worden. "Man kann immer umschichten und Zivilrichter im Strafverfahren einsetzen, um die Not zu lindern", sagt die Landgerichtspräsidentin. "Aber die fehlen dann an anderer Stelle." Zwar sei die Zahl der neu eingehenden Zivilverfahren mittlerweile rückläufig, die Zahl der anhängigen Verfahren steige gleichwohl an, weil zu wenig abgearbeitet werden könne.

Bereits vor gut zehn Jahren waren mehr als 40 Richterstellen gestrichen worden, seit 2010 mussten nochmals fast 400 000 Euro eingespart werden - das sind rechnerisch fünf Richterstellen oder zwölf Geschäftsstellenmitarbeiter. Insgesamt beträgt der Etat des Landgerichts mit 48 Millionen Euro gerade 0,43 Prozent des Gesamthaushalts der Stadt. "Zurzeit haben wir sowohl im Zivilverfahren wie auch im Strafverfahren unter anderem mit der Aufarbeitung der Finanzkrise zu kämpfen", sagt Sibylle Umlauf. Sie verweist auf die immer umfangreicheren und hoch komplizierten Verfahren insbesondere aus dem Banken- und Baubereich. "Uns fehlen Richter, nicht zuletzt in Wirtschaftsverfahren."

Überdies wurde Anfang des Jahres ein Bundesgesetz eingeführt, nach dem in viel mehr Strafverfahren als bisher mit drei statt bislang zwei Berufsrichtern verhandelt werden müsse. "Das stellt uns vor kaum lösbare Probleme und bedeutet einen rechnerischen Mehrbedarf von 15 Richterstellen", sagt Sibylle Umlauf.

"Bei all dem darf man nicht vergessen, dass das Landgericht selber für enorme Einsparungen gesorgt hat", betont die Präsidentin. So seien im vergangenen Jahr Teile des Gerichts aus der City Nord ins Strafjustizgebäude verlegt worden, was eine Mietreduzierung von rund 200 000 Euro jährlich bedeute. Sibylle Umlauf: "Mehr sparen geht nicht."