Jann Meyer-Abich fordert den Verzicht auf neue Milliardenschulden. Großprojekte dürften erst beschlossen werden, wenn die Kosten bekannt sind.

Hamburg. Rekordverschuldung, umstrittene Sparmaßnahmen, Großprojekte, die aus dem Ruder laufen oder deren Kosten niemand kennt - in einer für Hamburg finanzpolitisch prekären Lage tritt mit Carsten Frigge (CDU) heute ein neuer Finanzsenator an (siehe Kasten). Er löst Michael Freytag (CDU) ab, der am 17. März seinen seit Wochen angekündigten Rücktritt vollzog. Über die finanzpolitischen Probleme der Stadt und die Erwartungen an den Neuen sprach das Abendblatt mit Jann Meyer-Abich, Präsident des Landesrechnungshofs. Die unabhängige Instanz wacht über die ordnungsgemäße Verwendung der öffentlichen Gelder.

Hamburger Abendblatt: Herr Präsident, was erwartet der Rechnungshof vom neuen Finanzsenator?

Jann Meyer-Abich: Erstmal ist es durchaus ein Zeichen der Hoffnung und der Chancen, wenn nach der Hälfte der Legislatur die Mannschaft zur zweiten Halbzeit etwas verändert wird und mit einem neuen Libero aufläuft. Denn wir haben eine ganz harte zweite Halbzeit vor uns.

Welche Probleme sind am drängendsten? Am schwersten auf der Seele liegt mir die Verschuldung Hamburgs von inzwischen 26 Milliarden Euro. Sicher kann man in dieser schwierigen Situation nicht alle Steuereinbrüche durch Einsparmaßnahmen auffangen und muss Projekte auch kreditär finanzieren. Aber dieser Senat sieht jetzt vor, dass von 2009 bis 2013 noch einmal weit über zehn Milliarden Euro hinzukommen können. Zwar nicht im Kernhaushalt, aber in Nebenhaushalten wie beim Sondervermögen Schulbau und beim Sondervermögen Konjunkturförderung - allein da sind Kreditermächtigungen über 2,1 und 5,7 Milliarden vorhanden. Wenn das alles ausgeschöpft wird, erhöht sich die in 40 Jahren aufgelaufene Verschuldung innerhalb von vier, fünf Jahren um mehr als ein Drittel. Das ist zu viel, das geht nicht.

Inwiefern ist denn die dramatische Haushaltslage der Finanzkrise geschuldet - also einfach Pech - oder Ergebnis einer verfehlten Finanzpolitik? Ein großer Teil der Verschuldung ist natürlich nicht der Finanz- und Wirtschaftskrise geschuldet, sondern dem Umstand, dass Hamburg seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse lebt. In den letzten 40 Jahren wurden etwa 32 Milliarden mehr ausgegeben als eingenommen wurden. Wo kommen die denn her? 26 Milliarden aus Krediten - das sind die heutigen Schulden - und der Rest durch die Veräußerung von Tafelsilber, also etwa Anteilen an Unternehmen wie der HEW oder der HHLA.

Und in guten Jahren wurde kaum gegengesteuert. Genau. 2007 und 2008 - in dem Jahr hatten wir mit 8,8 Milliarden Euro die historisch höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Stadt - gab es finanzpolitische Fehlentscheidungen, weil die Ausgaben den stark gestiegenen Einnahmen angepasst wurden. Statt vorsorgend zu sparen, wurden vor und nach der Wahl neue Projekte aufgelegt.

Was muss der neue Finanzsenator als Erstes tun? Der Druck, essenzielle Aufgaben wie den Unterhalt von Schulen und Universitäten oder die Erhaltung von Straßen durch Sparmaßnahmen an anderer Stelle zu finanzieren, ist derzeit nicht da. Diesen Druck müsste ein neuer Finanzsenator wieder herstellen. Außerdem muss er einen schonungslosen Kassensturz machen. Da müssen die aktuelle Situation eingehen, der Substanzverlust, zum Beispiel durch ungenügenden Unterhalt des Straßennetzes, sowie die Risiken. Was kommt aus dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz des Bundes auf die Stadt zu? 600 Millionen, wie der Senat sagt? Im Sozialbereich sollen es 700 Millionen sein. Und was ist mit den Kosten für die Schulreform und die Stadtbahn?

Was haben Sie gedacht, als die Bürgerschaft den beiden Großprojekten im Grundsatz zustimmte, ohne die genauen Kosten zu kennen? Bei der Schulreform habe ich die Not gesehen, mit Blick auf den bevorstehenden Volksentscheid handeln zu wollen. Aber ich habe auch gesehen, dass es so nicht geht. Die Politik handelt gewissermaßen im finanzpolitischen Blindflug, wenn sie Vorhaben beschließt, von denen sie nicht weiß, was sie kosten werden. Immerhin hat der Senat jetzt zugesagt, über Kosten und Finanzierung der Schulreform in wenigen Wochen zu berichten.

Wäre der Rechnungshof in solchen Fällen nicht zum Einschreiten verpflichtet? Nein, der Rechnungshof ist nicht verpflichtet, immer wieder auf die Geltung der Gesetze hinzuweisen. In der Landeshaushaltsordnung steht klar: Bevor man nicht sämtliche Pläne und Unterlagen zusammenhat, darf man gar nicht erst anfangen.

Der Rechnungshof hat den Senat zuletzt sehr deutlich und sehr grundsätzlich kritisiert, vor allem in Bezug auf Baumaßnahmen. Was läuft da im Grundsatz falsch, wenn bei öffentlichen Projekten ständig die Kosten explodieren, wie bei der Elbphilharmonie, dem ZOB Bergedorf oder der HafenCity-Uni? Wenn man es in einem Satz und etwas provokativ zusammenfasst, könnte man sagen: Es wird schneller gebaut als gedacht und geplant, weil die Politik an schnellen Ergebnissen interessiert ist. Es wird erst Geld bereitgestellt und dann versucht, das durch Planung auszufüllen, was man mit dem Geld eigentlich machen will.

Welche Hebel hat denn der Finanzsenator, um die Finanzen der Stadt wieder auf eine solidere Basis zu stellen? Wenn er die Rückendeckung des Bürgermeisters hat, ist der Finanzsenator der stärkste Mann in der Regierung. Entscheidend ist jetzt, dass er die Rückendeckung für eine klare Konsolidierungspolitik bekommt.

Als Hebel stehen ja nur die Erhöhung der Einnahmen oder die Reduzierung der Ausgaben zur Verfügung. Was würden Sie tun? Der Rechnungshof macht ja jedes Jahr Vorschläge. Ein Beispiel: Es gibt etwa 1200 Straßen in der Stadt, die zwar benutzbar, aber offiziell nicht fertig sind. Daher darf man von den Anliegern keine Erschließungsbeiträge verlangen. Die Kosten dafür zahlt der Steuerzahler, der damit die Häuslebesitzer quasi subventioniert. Das ist absolut ungerecht, und es geht um gewaltige Summen, die der Stadt entgehen. Nach unserer Schätzung sind es mindestens 120 Millionen Euro.

Haben Sie noch so ein Beispiel? Die Parkplatzgebühren. Die empfinden die Bürger zwar als Abzocke. Für uns entscheidend ist der knappe Parkraum, der gerecht verteilt werden muss. Und wenn in der Innenstadt jemand einen Tag lang einen Parkplatz besetzen kann, ohne kontrolliert zu werden oder dafür etwas bezahlen zu müssen - was nach unserer Beobachtung stattfindet -, ist das ungerecht gegenüber denjenigen, die einen Parkplatz suchen. Außerdem verzichtet die Stadt auf etwa 35 Millionen Euro im Jahr.

Und wo gibt es unnötige Ausgaben? Bei den Aufgaben des Staates. Zum Beispiel gehen die Gefangenenzahlen seit Jahren massiv zurück, etwa 40 Prozent in den vergangenen sechs Jahren. Da lassen sich langfristig 22 Millionen Euro einsparen, beim Personal und bei der Struktur der Haftanstalten.

Sie verzichten auf den Ihnen zustehenden Dienstwagen und fahren mit dem Rad zur Arbeit. Empfehlen Sie diese Art der Sparsamkeit Politik und Verwaltung zur Nachahmung? Es ist ein gutes Gefühl, aus Umwelt- und Finanzgründen auf den Dienstwagen verzichten zu können. Aber ehrlich gesagt: Ich mache das vor allem, weil es mir Spaß macht und mir guttut.