Citymaut, Umweltzonen, Bildung und sozialer Wohnungsbau: Städteforscher über die Zukunft der 1,8-Millionen-Metropole.

Hamburg. Etwas mehr als 1,8 Millionen Menschen leben wieder in Hamburg. Und es werden, darin sind sich Städteforscher einig, in den kommenden Jahren noch mehr werden. Weltweit ist zu erkennen, dass die Menschen vom Land in die Stadt wandern. Metropolregionen wie Hamburg, Berlin oder München gehören zu den Profiteuren. Dieser Prozess kann zu einer Erfolgsgeschichte Hamburgs werden. Allerdings nur, wenn die Zuwanderung vorausschauend gestaltet und als Chance wahrgenommen wird. Was muss Hamburg jetzt tun? Das Abendblatt sprach mit Städteforschern.

Bildung: Durch das stete Bevölkerungswachstum nimmt Hamburg nach Einschätzung des Bildungsforschers Professor Klaus Klemm im Bildungsbereich eine Sonderstellung ein. Der Kulturministerkonferenz zufolge wird die Schülerzahl in Hamburg steigen, während sie in anderen Bundesländern sinkt. Hamburg könne daher nicht auf eine "demografische Rendite" hoffen, sagt Klemm. Dieser Begriff bezeichnet die Einsparung von Kosten, wenn ein Bundesland wegen des Schülerschwunds Lehrerstellen sparen kann.

+++ Hamburg muss wachsen +++

+++ Ansturm auf Hamburg - Stadt braucht noch mehr Wohnungen +++

+++ Hamburg hat wieder mehr als 1,8 Millionen Einwohner +++

+++ Hamburg: Gleiche Einwohnerzahl, andere Welt +++

In Hamburg wird die Zahl der Schüler an allgemeinbildenden Schulen zwar für ein paar Jahre noch geringfügig sinken, aber zwischen 2018 und 2025 von rund 181.000 auf 192 000 wachsen. In Nordrhein-Westfalen wird die Zahl dagegen von 2,1 auf 1,8 Millionen sinken, in Niedersachsen von 900.000 auf 720.000. In Hamburg werde also kein Geld frei, um Verbesserungen im Schulsystem zu finanzieren, sagt Klemm. Vielmehr müssen zusätzliche Lehrer eingestellt werden.

Aber nicht nur in seine Schulen muss Hamburg zusätzliches Geld stecken, auch in seine Universitäten. Das sagt der Regionalökonom Dieter Läpple. Wachstum gebe es künftig nur dort, wo die Bildungselite des Landes gute Bedingungen vorfindet. Hochschulabgänger gründen neue Unternehmen, und Unternehmen von Zukunftsbranchen investieren dort, wo sie qualifizierte Mitarbeiter finden.

Wohnungsbau: 6000 neue Wohnungen will der Senat jedes Jahr bauen lassen. Es müssten aber rund 10.000 sein, fordert der Stadtgeograf Thomas Pohl von der Universität Hamburg. Weil die Bewohnerzahl pro Wohnung weiter rückläufig sei und es immer mehr Single-Haushalte gebe, werde der Bedarf an neuen Wohnungen auch dann größer, wenn die Einwohnerzahl nicht mehr steigen sollte.

Doch wo könnten diese Wohnungen gebaut werden? Regionalökonom Dieter Läpple sieht große Flächenpotenziale im Süden der Stadt, etwa auf der Veddel oder in Wilhelmsburg. Dort aber werde die Entwicklung durch Verkehrsprojekte wie die seit Jahren geplante Hafenquerspange blockiert. Ein natürliches Wachstumsgebiet liege auch auf dem Kleinen Grasbrook gegenüber der HafenCity.

Der frühere Hamburger Oberbaudirektor und spätere Stadtplanungsprofessor Klaus Müller-Ibold geht einen Schritt weiter. Für ihn ist klar: "Ohne Wohnungsbau kein Wachstum." Wenn junge Familien ins Umland ziehen, stecke dahinter meist nicht der Wunsch nach einem Häuschen im Grünen, sondern "schlichte Verdrängung", weil es kaum bezahlbaren Wohnraum in der Stadt gebe. Hamburg müsse darüber nachdenken, ob man Umlandgemeinden nicht eingemeinden könnte, um neue Flächen für den Wohnungsbau zu bekommen, sagt Müller-Ibold.

Ganz so weit reicht die Forderung des Stadtforschers Jörg Knieling zwar nicht, sie geht aber in eine ähnliche Richtung. Die bisherige Zusammenarbeit von Hamburg und seinem Umland müsse verbessert werden - etwa um gemeinsam die Siedlungsentwicklung, den Verkehr, die Bildung und andere Bereiche zu planen. Dazu fehle es aber an einer verbindlichen Grundlage. "Es wäre zu wünschen, dass der Bürgermeister die Chancen und Potenziale der Hamburger Metropolenentwicklung zu seiner Sache macht", sagt Knieling.

Allein könne Hamburg die entscheidenden Weichen im Wohnungsbau allerdings nicht stellen. So könnten veränderte Steuergesetze des Bundes viel mehr bewirken, heißt es in der Baubranche. In früheren Jahren gab es steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, sodass Wohnungsbau sich auch bei günstigen Mieten lohnte. Heute funktioniere Wohnungsbau nur zu Spitzenmieten um 13 bis 15 Euro - oder als sozialer Wohnungsbau für Mieten von fünf bis neun Euro (jeweils netto kalt pro Quadratmeter), dessen Förderung aber eben Steuergeld kostet.

Ferner ist es fraglich, ob der vom SPD-Senat vorgegebene Bau von jährlich 6000 Wohnungen tatsächlich für eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen wird. Da bei jedem neuen Bauprojekt lediglich für ein Drittel der Wohnungen eine staatliche Förderung - also sozialer Wohnungsbau - vorgeschrieben wird, dürften vornehmlich teurere Wohnungen auf den Markt kommen.

Das kritisieren Bürgergruppen wie Altopia, die sich mit Neubaugebieten wie der Neuen Mitte Altona beschäftigen. Wenn etwa 50 Prozent der Hamburger Haushalte so geringe Einkommen beziehen, die sie berechtigt, eine Sozialmiete zu erhalten, sei der Bau von nur einem Drittel Sozialwohnungen zu wenig, lautet ihr Einwand.

Verkehr: In diesem Bereich gibt es unter Stadtplanern und Forschern kaum zwei Meinungen. Die Zukunft erfordert einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Der vom Senat geplante Ausbau des Busverkehrs beanspruche hohe Investitionen, sagte Carsten Gertz, Verkehrsforscher an der Technischen Hochschule Hamburg-Harburg, kürzlich in einem Abendblatt-Interview. Mehr Busspuren bedeuteten allerdings eine Menge Konfliktstoff.

Als "aktuellen Gewinner" sieht Gertz den Radverkehr. Elektroräder erlaubten ihren Besitzern, längere Distanzen in kurzer Zeit zu überwinden. Von einer "stillen Revolution", spricht der Verkehrsforscher. Mit einem Ausbau des Radverkehrsnetzes, etwa durch neue Radfahrstreifen, könne eine Stadt daher relativ schnell und mit geringem Aufwand Verbesserungen erreichen. Ganz wichtig für Hamburg sei aber, dass die Stadt einen Verkehrsentwicklungsplan aufstelle.

Diese Leitlinie sollte den individuellen Pkw-Verkehr in der Stadt zurückdrängen, fordern Wissenschaftler wie Dieter Läpple und Jörg Knieling von der HafenCity-Universität. Allein schon, um die Luftwerte in der Innenstadt zu verbessern und die City wieder als Wohnort besser nutzen zu können. "Wir müssen das Autofahren teurer machen", sagt Läpple und fordert die Einführung von Citymaut und Umweltzonen. Ähnlich argumentiert Knieling, der von einer "Selbstblockade" der Stadt durch Verkehrsprobleme spricht.

Demografie/Senioren: Was die Alterung der Gesellschaft angeht, hat Hamburg noch ein wenig Schonzeit. Derzeit leben in der Hansestadt rund 421.000 Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Während Expertenschätzungen zufolge bundesweit die Zahl der über 65-Jährigen bereits im Jahr 2020 die 30-Prozent-Marke erreicht haben wird, dauert das in Hamburg noch bis zum Jahr 2030. Der Grund dafür liegt in der überdurchschnittlich hohen Zuwanderung jüngerer Menschen im vergangenen Jahrzehnt. Um gut 90.000 ist die Zahl der 18- bis 30-Jährigen in den vergangenen sechs Jahren gestiegen.

Dennoch steht Hamburg vor der Herausforderung, eine Großstadt, die Menschen "im bestem Alter" anzieht, auf das Altern vorzubereiten. Experten mahnen die Stadt zu verstärkten Anstrengungen, Barrierefreiheit zu schaffen. Niedrigere Borsteinkanten, verlängerte Schaltungen von Fußgängerampeln, Fahrstühle an U- und S-Bahn-Stationen - was aber nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann.

Zudem fehlen in Hamburg altengerechte Wohnungen. Die Erfahrungen zeigen, dass ältere Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben möchten - selbst dann noch, wenn für die alltäglichen Verrichtungen ambulante Hilfe benötigt wird. Die Gesundheitsbehörde beziffert die aktuelle Zahl altengerechter Wohnungen in den 130 Servicewohnanlagen mit rund 10.000. Zu wenig, zeigt die Erfahrung. Schon jetzt müssen Interessenten bei einigen Einrichtungen Wartezeiten von mehreren Jahren in Kauf nehmen.

Ähnlich angespannt ist die Situation bei den rund 150 Alten- und Pflegeheimen, die es derzeit in Hamburg gibt. Fast 17.900 Menschen leben dort. Die Auslastung der Einrichtungen erreicht 95 Prozent, bei Einzelzimmern liegt sie zwei Prozentpunkte höher. Schon bald würden die Kapazitäten nicht mehr reichen, ergab eine Umfrage unter Leitern Hamburger Pflegeheime. Bereits jetzt gibt es bei einigen Einrichtungen Wartezeiten. Hinzu kommt, dass gut ein Drittel der Hamburger Heime vor 1970 gebaut wurde - also hoher Renovierungsbedarf besteht. Zudem ist bereits jetzt mehr als jeder zweite Pflegeheimbewohner demenzkrank oder benötigt aus anderen Gründen eine Spezialpflege. 95 Prozent der Heimleiter gehen davon aus, dass diese Quote steigt.

Resümee: Hamburg gilt als attraktive Metropole. Vor allem aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein zieht sie Menschen an - eine Chance, wenn Hamburg seine Hausaufgaben macht.