Manche vermissen den Markenkern der CDU - was auch immer das genau ist. Viel Kritik am Programmentwurf, aber kein wirklicher Streit.

Hamburg. Es ist nicht gerade ein christdemokratischer Ort, an dem sich rund 60 Mitglieder des CDU-Kreisverbands Nord am Mittwochabend versammelt haben. Die Heinrich-Hertz-Schule am Rande des Stadtparks, heute eine Stadtteilschule, war einmal der Motor der reformpädagogischen Bewegung in Hamburg. Damals hieß sie Lichtwarkschule. Ihre bekanntesten Schüler waren Helmut und Loki Schmidt. Aber wer weiß, wofür der Beistand der prominenten Sozialdemokraten heute in den für die Union unsicheren Zeiten gut sein kann.

Fernab vom Rathaus bemüht sich die CDU, nach dem Wahldebakel wieder Tritt zu fassen. Ausdrücklich erlaubt und erwünscht ist plötzlich, was so lange unterdrückt, wenn nicht verboten war: Die Basis darf nicht nur reden, sondern mitreden und entscheiden. Daran hat es in den letzten Jahren gefehlt. Parteitage waren mehr Abnickkonvente für die von oben vorgegebene Linie, zuletzt war es die schwarz-grüne. Viele Parteimitglieder haben noch in unguter Erinnerung, wie die interne Kritik an der ungeliebten Primarschule aus Koalitionsräson gedeckelt wurde.

Statt Gehorsam nun also freie Rede, ja kontroverse Debatte: Da wirkt es gleich wie ein ironischer Fingerzeig, dass vor dem Versammlungsraum, der Schulkantine, ein handgeschriebenes Plakat einer Schul-AG mit dem mahnenden Wort "Streitschlichtung" hängt. Noch ist es ja gar nicht richtig losgegangen ... "Streit befruchtet, wenn wir ihn als Diskussion begreifen", sagt CDU-Nord-Chef und Altbürgermeister Christoph Ahlhaus in seiner Begrüßung. Das klingt ein bisschen so wie: Streitet euch, aber nicht zu viel. Schon in seiner kurzen Zeit als Senatschef plagte Ahlhaus das Trauma des innerparteilichen Meinungschaos. "Bringen wir alles auf den Tisch, aber zerfleischen wir uns nicht", sagte er kurz nach dem Amtsantritt.

In der Heinrich-Hertz-Schule geht es dann doch schnell zur Sache. Zur Diskussion steht der Entwurf eines Grundsatzprogramms der Hamburger CDU. Auf 40 Seiten haben Parteichef Marcus Weinberg und Vize Rüdiger Kruse mithilfe von Parteifreunden aufgeschrieben, was für die Union in Zukunft wichtig sein soll. Es ist ein Papier mit, freundlich gesagt, viel Luft.

Das sehen auch viele Mitglieder so. "Das wirkt alles wie das Lehrbuch des guten Menschen. Was uns von anderen Parteien unterscheidet, wird nicht deutlich", sagt einer. "Wir sollten möglichst Leerformeln vermeiden", sagt ein anderer mit ironischer Süffisanz. "Die Leute glauben uns keine Floskeln mehr", meint ein Dritter.

Manche vermissen den Markenkern der CDU, was immer das genau ist. Der liberale Ansatz der vergangenen Jahre sei zwar richtig gewesen, sagt ein Mitglied. "Der große Fehler war aber, dass wir die bürgerlichen Tugenden vernachlässigt haben." Dazu zähle zum Beispiel die Pflege des Bestehenden, von Rad- und Gehwegen sowie Straßen etwa. "Stattdessen haben wir Luxusprojekte gestartet", lautet die Kritik. Der Name Elbphilharmonie fällt nicht, jeder weiß auch so, was gemeint ist.

"Zur Marke der CDU gehört, dass wir das Auto nicht verteufeln", sagt ein anderer. Mit dieser Position könnten viele Wähler gewonnen werden. "Nicht jeder kann die Möglichkeit haben, mit dem Auto in die Mönckebergstraße zu fahren", entgegnet ein Parteifreund. Das klingt nicht nach Autofahrerpartei.

Dass in den vergangenen Jahren deutlich zu wenig Wohnungen gebaut wurden, glauben nun auch die Christdemokraten. Einem reicht die Forderung des Grundsatzprogramms nicht, dass jährlich "bis zu 6000 neue Wohnungen" gebaut werden müssten. "Das können ja auch nur 500 sein", sagt er. "Mindestens 6000 ist aber wohl zu keck, also sagen wir am besten 6000." Dumm nur, dass die regierende SPD gerade dabei ist, diese Zielzahl umzusetzen.

Ahlhaus' Sorge vor einer Selbstzerfleischung der Partei erwies sich als unbegründet. Es gibt viel Kritik am Programmentwurf, aber keinen wirklichen Streit. Auch in anderen Kreisverbänden haben die Mitglieder eifrig diskutiert. Mal ging es um den Primat der Wirtschaft (Altona), mal wurde hart um ein striktes Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst gerungen. Vielleicht gelingt es ja, in der CDU endlich einmal eine breit getragene Programmdebatte zu entfachen. Schon mehr als 40 Änderungsanträge liegen immerhin vor.

Und doch fällt auf, dass es einen blinden Fleck gibt: Die Frage, warum die CDU im Februar auf ihr historisches Tief stürzte, wird nicht gestellt. Dabei wäre die Ursachenforschung dringend nötig. Das könnte allerdings auch bedeuten, dass auf die Lichtgestalt Ole von Beust der eine oder andere Schatten fällt. Davor scheuen die Christdemokraten zurück. Der Ex-Koalitionspartner GAL hat sich diesem mühsamen Aufarbeitungsprozess gerade unterzogen. Die Stimmung bei den Grün-Alternativen ist so gedrückt wie seit Langem nicht mehr. Vielleicht ist bei der CDU die Tragweite der eigenen Niederlage einfach noch nicht angekommen.

In der Heinrich-Hertz-Schule versuchte der gut gelaunte Parteichef Weinberg am Ende der Debatte Zuversicht zu verbreiten. "Die CDU ist dabei, das Tal der Tränen ...", sagte Weinberg. Dann schweifte er kräftig ab, und so blieb der Satz unvollendet. Er meinte wohl "zu verlassen". Tatsächlich dürfte der Weg eher etwas länger dauern.