Bereits über 300 angezündete Fahrzeuge in diesem Jahr. Nur etwa jede 20. Brandstiftung mündet aber auch in ein Ermittlungsverfahren.

Hamburg. Ob in Berlin oder Hamburg - die Serie von Brandanschlägen auf Autos reißt nicht ab. Allein bis Anfang Oktober schlugen die Täter im gesamten Hamburger Stadtgebiet mehr als 230-mal zu, weit über 300 Autos gingen in Flammen auf oder wurden durch Brände beschädigt. Damit ereigneten sich bis jetzt mehr Anschläge als im gesamten Vorjahr. Im zweiten Quartal 2011 nahm die Zahl der Brandstiftungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gar um 123 Prozent zu. Beunruhigend: Nach den "eher ruhigen" Sommermonaten Juli und August verzeichne die Polizei nun wieder einen "leichten Anstieg" der Autobrandstiftungen, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber.

Erst in der Nacht zu Freitag sind in Bahrenfeld, Harvestehude und Jenfeld fünf Autos in Flammen aufgegangen, in der Nacht zu Sonnabend brannten zwei Fahrzeuge im Stadtteil Osdorf. Von den Tätern fehlt jede Spur. Wieder einmal.

Es ist das Dilemma, mit dem sich die Polizei seit Beginn der Serie wahlloser Brandanschläge im Jahr 2004 herumplagen muss. Zwar greifen die Beamten immer wieder Verdächtige in Tatortnähe auf, die "auffällige" Gegenstände wie Grillanzünder bei sich tragen. Doch das seien nur Indizien, die kaum ausreichten, einen Verdächtigen gerichtsfest zu überführen, sagt Streiber.

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Bislang war nicht bekannt, wie viele Täter sich tatsächlich vor Gericht verantworten mussten. Grund: Autobrandstiftungen werden vom behördlichen Erfassungssystem "Mesta" (Mehrländer-Staatsanwaltschaft-Automation) nicht gesondert registriert. Entsprechende Kleine Anfragen der Bürgerschaftsabgeordneten liefen deshalb regelmäßig ins Leere. Dem Abendblatt liegen nun exklusiv Zahlen und Fakten zu den Ermittlungsverfahren für den Zeitraum von Januar 2010 bis Anfang September 2011 vor. In beiden Jahren ist die Zahl der Autobrandstiftungen regelrecht explodiert. Ernüchterndes Ergebnis: Selbst wenn die Akten bei der Staatsanwaltschaft gelandet sind, reichen im Gros der Fälle die Beweise nicht für eine Anklage vor Gericht aus.

Aus diesem Grund mussten die Strafverfolger 2010 acht von 14 Ermittlungsverfahren nach Paragraf 170, Absatz 2, der Strafprozessordnung einstellen. Von Rechts wegen waren den Ermittlern nach einer Brandstiftung am Achtern Born (5. April 2010) sogar gänzlich die Hände gebunden - weil der vermeintliche Brandstifter gerade mal neun Jahre alt war. Analog zur steigenden Zahl der Brandstiftungen und dank intensivierter Polizeiarbeit sind allein 2011 bislang 17 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Acht sind noch offen, vier zur Anklage gebracht worden. Fünf sind eingestellt - wie das Verfahren gegen einen 20 Jahre alten Arztsohn aus Rotherbaum, der verdächtigt worden war, im März einen Jaguar am S-Bahnhof Sternschanze abgefackelt zu haben. Auch hier das Ergebnis: Tat nicht nachweisbar. Politisch motivierte Autobrandstiftungen spielen offenbar eine untergeordnete Rolle, ihren Anteil gibt die Polizei mit sechs Prozent an. "Die Frage, warum Menschen Autos anzünden, ist nicht einheitlich zu beantworten", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. "Nach unseren Erkenntnissen spielen vielfältige Motive eine Rolle."

Immerhin fünf von der Staatsanwaltschaft 2010 zur Anklage gebrachte Autobrandstiftungen mündeten in einer Hauptverhandlung vor Gericht. So verurteilte das Amtsgericht Barmbek im November 2010 einen 26-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung, weil er im März in Eilbek den Porsche Carrera eines Nebenbuhlers mit Benzin übergoss und anzündete. Einen 31 Jahre alten Feuerwehrmann schickte das Landgericht im Oktober sogar für viereinhalb Jahre hinter Gitter: Heiko K. hatte Carports und Holzschuppen entlang der Langenhorner Chaussee angezündet. Dem Gericht erklärte der Feuerwehrmann damals sein Wüten so: Er leide unter Burn-out.

Gleich vier junge Männer klagte die Staatsanwaltschaft im Dezember 2010 vor dem Landgericht an. Am Rande des Schanzenfests im September 2010 hatten sie am Moorkamp im Stadtteil Eimsbüttel einen 75 000 Euro teuren Mercedes der Werbeagentur Jung von Matt angezündet. Offenbar spielten dabei politische Motive keine Rolle. "Es ist einfach geil, Autos anzuzünden", sagte einer der Angeklagten.

Urteil: zwei Jahre Haft ohne Bewährung für Thomas A., 28, elf Monate Jugendstrafe mit Bewährung für seinen 18 Jahre alten Bruder Kai.

Bei schwerer Brandstiftung, insbesondere wenn Menschenleben gefährdet sind, sieht der Gesetzgeber bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe vor. Bereits der Versuch ist strafbar. So scheiterte ein 43-Jähriger am 14. Juli 2010 beim Versuch, einen vor seiner Haustür an der Sternstraße abgestellten Subaru mit einem Molotowcocktail in Brand zu setzen. Das Gericht verdonnerte den Hartz-IV-Empfänger dennoch zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen à fünf Euro. Stefan J. gilt jetzt als vorbestraft.

Noch nicht verhandelt wurde eine weitere versuchte Brandstiftung aus 2010. Jason D., 22, und sein Kumpel Stefan P., 20, sollen am 8. August am Rondenbarg Müllsäcke angesteckt haben, dabei fing ein Klein-Lkw Feuer. Zufällig hatte ein Polizist die beiden beobachtet.

Gerade junge Männer handeln nach Einschätzung der Polizei häufig aus purer Zerstörungswut. So wie Najim Q., 18, und Phillip P., 17, die am 2. Juli 2011 an der Kielkoppelstraße einen VW-Transporter und einen VW Polo angezündet, zudem die Scheiben von sieben Autos eingeschlagen haben sollen. Demnächst müssen sie sich wegen Sachbeschädigung und Brandstiftung vor Gericht verantworten.

In weiteren drei Fällen hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Michel Z., 39, soll am 13. Januar 2011 nach einem Streit mit seiner Freundin mit ihrem Renault Twingo davongefahren sein und kurz darauf an der Adlerstraße den Wagen abgefackelt haben. Julian Z., 20, und Alexander D., 19, sollen in der Nacht zum 3. April mehrere Autos aufgebrochen und Radios gestohlen haben, danach gossen sie in einem an der Rantzaustraße geparkten VW Polo Frostschutzmittel aus und zündeten es an. Von dem Polo blieb nur ein Wrack übrig. Und Damian P., 33, soll in der Nacht zum 10. Mai an der Packersweide die Sitze eines Renault Twingo in Brand gesetzt haben, um einen vorangegangenen Diebstahl zu verdecken.

"Die Fälle zeigen sehr deutlich, dass es keine einheitliche Struktur bei Autobrandstiftungen gibt", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers, "nicht in Hinblick auf die Begehungsweise, Tatorte, Täter und Fahrzeuge." Längst zündelten nicht nur jugendliche Spontantäter.

Die Polizei hat ihre Strategie seit der deutlichen Zunahme von Autobrandstiftungen mehrfach geändert. So wurde die Soko "Florian", die jede Nacht 200 Beamte in Zivil auf Hamburgs Straßen schickte, im Februar auf 20 Polizisten reduziert. Im Fokus der Polizei stehen nun "lose, regionale Gruppen", deren Mitglieder durch Straftaten wie Graffiti, Sachbeschädigung oder dem Anzünden von Müllcontainern bereits auffällig geworden sind. Zudem spricht die Polizei potenzielle Straftäter gezielt an und führt auch Funkzellenüberwachungen durch.

Die Beamten seien trotz der spärlichen Erfolge weiter "hoch motiviert", sagt Streiber. "Aber der Nachweis der Taten ist und bleibt das schwierigste."