Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber kämpfte lange um sein Absperrgitter gegen Obdachlose - vergeblich. Jetzt wurde der Zaun wieder abgebaut.

Hamburg. Eine Stunde dauerte die Sitzung der SPD-Fraktionen aus Hamburg und Schleswig-Holstein am Montag im Kaisersaal des Rathauses. Doch was den Hamburger Abgeordneten unter Nägeln brannte, war nicht etwa ein gemeinsamer Ausschuss der Nordländer oder ein ebenfalls gemeinsames Korruptionsregister. Das eigentliche Thema kam erst zur Sprache, nachdem sich die Schleswig-Holsteiner verabschiedet hatten. Es ging um das Verdruss-Thema der Woche für die Genossen: den Zaun, den der Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) fünf Tage zuvor unter der Kersten-Miles Brücke auf St. Pauli hatte aufbauen lassen.

Dass nun ausgerechnet ein Sozialdemokrat so etwas Unsoziales wie einen Zaun errichtet, um Obdachlosen den Zugang zu einem Unterschlupf zu versperren, hatte die Gemüter mächtig bewegt. Allen voran war es Ksenija Bekeris, die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie hatte den Zaun schon im Vorfeld als falsch bezeichnet. Und so meldete sie sich auch in der Sitzung zu Wort, an der sowohl Schreiber, aber auch Bürgermeister Olaf Scholz und Sozialsenator Detlef Scheele teilnahmen. Bekeris wollte nicht nur diskutieren - sie forderte eine Abstimmung über den Zaun.

Einer der Gründe, warum es dann doch nicht dazu kam, war der Personalie Hans-Peter Strenge geschuldet. Der ehemalige Bezirksamtsleiter von Altona wurde von Fraktionschef Andreas Dressel als Schlichter präsentiert, ehe sich die Gemüter allzu sehr erhitzen konnten. Dressel und Scheele hatten tagsüber mit Schreiber telefoniert und ihm klargemacht, dass eine Lösung hermüsse. Das sah Bürgermeister Olaf Scholz genauso, mit dem die Entscheidungen eng abgesprochen wurden.

Scheele war genervt, schließlich hatte er gerade umfangreiche Hilfsangebote für Obdachlose auf den Weg gebracht. Scheele machte schon am Montagabend klar: Es muss eine Lösung ohne Zaun geben.

Erneut also war Schreiber im Rathaus mächtig angeeckt. Das war zu Zeiten, als noch die CDU dort regierte, bei seinen Parteifreunden natürlich gern gesehen. So gab es etwa den Ausspruch, dass Schreiber der Einzige sei, der wirklich Opposition mache. Aber es gab auch immer eine andere Wahrnehmung. Der Bezirksamtsleiter galt seinen Kritikern seit jeher als vorlaut, zu sehr auf die mediale Wirkung bedacht und als jemand, der zwar vehement für seinen Bezirk Mitte kämpft, aber auch den eigenen Vorteil im Blick hat. Und die Art und Weise, wie er es macht, sorgt für Kopfschütteln in der Partei.

So hat er sich etwa im vergangenen Bürgerschaftswahlkampf ungefragt als Bausenator ins Spiel gebracht. Auch einen Staatsratsposten hätte er sich vorstellen können, ließ er unbescheiden wissen. Höhere Ambitionen hat er schon länger erkennen lassen: 2008 verkündete er, als stellvertretender Landesvorsitzender kandidieren zu wollen. Es stellte sich heraus, dass er sich bei der dafür nötigen Unterstützung in der Partei verschätzt hatte. Schreiber nahm schließlich Abstand von seinen Plänen.

Nun, da er nicht vom Bezirksamt ins Rathaus umziehen durfte, musste Schreiber seine Rolle erst einmal finden. Es lag nahe, den Law-and-Order-Mann zu geben. Eingebettet in den SPD-Bezirk Mitte gehört er ohnehin zum rechten Flügel der Partei. Eine Rolle, die er mit voller Kraft angenommen hat. Die Situation unter der Brücke störe das Sicherheitsbedürfnis der Menschen, argumentiert Schreiber noch heute. "Wenn das nicht ernst genommen wird, profitiert ein neuer Schill davon." Diese politische Flanke dürfe dem politischen Gegner nicht angeboten werden, betont er, ganz Parteistratege. Mit dem Obdachlosen-Zaun handelt es sich nicht um den ersten Vorstoß Schreibers, mit dem sich Bürgerschaft und Senat befassen müssen. So beschloss das Parlament im April, dass der Bezirk die "Zomia"-Bauwagensiedlung vorerst nicht räumen solle. Es gab ein Treffen mit dem Bürgermeister, dem Innensenator und der Stadtentwicklungssenatorin - sie kassierten Schreibers Vorhaben.

In diese Reihe passt auch das jüngste Vorhaben in Mitte, nämlich das Hausrecht am Hachmannplatz vor dem Hauptbahnhof der Deutschen Bahn zu übertragen. Auch dort müsse man des Problems mit Trinkern und Obdachlosen Herr werden, sagt Schreiber. Das Thema Verdrängung zieht sich also wie ein roter Faden durch sein politisches Handeln in diesem Jahr.

Frust über seine Nichtbeachtung bei der Besetzung des Senats dürfte kaum sein Motiv sein. Die Notwendigkeit, dass jemand die Rolle des Rechtsaußen übernimmt, wird in der SPD durchaus gesehen. Zu tief sitzt noch der Schmerz über den Machtverlust im Jahr 2001. Zu spät hatte die SPD damals erkannt, dass die offene Drogenszene am Hauptbahnhof die Menschen ängstigte. Und so ergibt die Rolle des Law-and-Order-Manns für den suchenden Schreiber durchaus Sinn.

Über das Ziel hinauszuschießen ist allerdings für die SPD genauso gefährlich, wie das Thema zu vernachlässigen. Ein unsoziales Image hätte für die Partei fatale Folgen. Die Sprengkraft des Zaunes als politisches Symbol hat Schreiber jedenfalls gründlich unterschätzt. "Ich weiß auch nicht, warum er das als derart medienerfahrener Mann nicht erkannt hat", sagt ein SPD-Abgeordneter. Doch er ist wahrlich nicht der erste Vollprofi, dem so etwas unterläuft. Auch Ole von Beust hat vor knapp zwei Jahren zu spät erkannt, welche Verärgerung es hervorrief, dass die ganze Stadt zur Glatteis-Rutschbahn wurde.