Uni-Studie zeigt mehr Vor- als Nachteile des 20-Stimmen-Systems auf. CDU strebt Änderungen an, hält es für überteuert und zu kompliziert..

Hamburg. Am 23. März sah die Welt noch anders aus. Wer glaube, dass die niedrige Wahlbeteiligung nichts mit dem neuen Wahlrecht zu tun habe, mache es sich zu einfach, sagte Carola Veit damals. "Diese Bedenken werden wir gemeinsam zu bewegen haben." Das war vier Wochen nach der Bürgerschaftswahl, die SPD-Politikerin war seit wenigen Minuten Bürgerschaftspräsidentin, und sie konnte davon ausgehen, mit ihrer Kritik am Wahlrecht den Nerv vieler Bürger zu treffen.

Gut ein Vierteljahr später hat sich die Faktenlage geändert. Denn eine Studie der Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl die Wähler als auch die Nichtwähler das neue Wahlrecht dem alten vorziehen, dass die Wähler das angeblich so komplizierte System sehr wohl verstanden und durchaus gezielt genutzt haben und dass für die allermeisten Nichtwähler keineswegs das Wahlrecht der Grund für ihren Urnenboykott war.

Die Bürgerschaftspräsidentin äußerte sich nach der Präsentation der Studie des Politikwissenschaftlers Professor Cord Jakobeit entsprechend defensiver. Es gebe nun eine "hervorragende Grundlage" für eine sachliche Diskussion. Die auf das Rekordtief von 57,3 Prozent gesunkene Wahlbeteiligung und die drei Prozent ungültigen Stimmen bereiten ihr zwar immer noch Sorgen, aber Carola Veit vermied es, einen Zusammenhang zum Wahlrecht herzustellen. Dieses tauge nicht für "Schnellschüsse und Experimente". Die Studie werde jetzt im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft diskutiert.

Bei der Bürgerschaftswahl im Februar hatten die Hamburger erstmals 20 Stimmen - zehn für die Bürgerschaft und zehn für ihre jeweilige Bezirksversammlung. In vier Stimmheften (à fünf Stimmen) konnten nach Belieben Personen oder Parteilisten angekreuzt sowie Stimmen angehäuft (kumuliert) oder gesplittet (panaschiert) werden. 71 der 121 Abgeordneten wurden direkt über Wahlkreise gewählt, nur 50 über die klassische Landesliste. Doch auch auf der konnten Kandidaten direkt gewählt und so die Wunsch-Reihenfolge der Parteien geändert werden. Der Uni-Studie zufolge machten 69 Prozent der Wähler davon Gebrauch. Da Bürgerschafts- und Bezirksversammlungswahlen zeitlich getrennt werden, sind künftig allerdings nur noch zehn Stimmen pro Wahl zu verteilen.

Wichtigste Erkenntnis für die Politik dürfte aber die Akzeptanz des neuen Wahlrechts sein. Gut 55 Prozent der 3100 am Wahltag befragten Wähler finden das neue System "sehr viel besser" oder "eher besser" als das alte. Nur knapp 28 Prozent finden die neue Regelung "eher schlechter" oder "sehr viel schlechter". Für 16,7 Prozent sind beide Systeme gleich gut. Auch von den knapp 500 befragten Nichtwählern stuften 43 Prozent das neue Wahlrecht als besser ein, nur 29 Prozent als schlechter, 28 Prozent ist es egal.

Überraschungen gab es auch bei der Frage, inwieweit das Wahlrecht Einfluss auf die Entscheidung hatte, nicht zu wählen. Für nur 7,3 Prozent war es der ausschlaggebende Grund, für 9,5 Prozent immerhin "ein wichtiger Grund unter vielen". Für fast drei Viertel der Befragten spielte das Wahlrecht jedoch gar keine Rolle. Passend dazu nannten nur 15 Prozent der Nichtwähler auf die Frage, was sich ändern müsse, damit sie zur Wahl gehen, das Wahlrecht, gut 54 Prozent hingegen forderten Änderungen bei den Parteien und knapp 31 Prozent bei den Kandidaten.

Allerdings offenbarte die Studie auch Probleme. So konnten zwar rund 95 Prozent der Wähler Fragen zum Kumulieren und Panschieren richtig beantworten. Mehr als ein Viertel aller Wähler (27 Prozent) räumte aber ein, nicht einen einzigen Kandidaten auf der Wahlkreisliste gekannt zu haben. Drei Prozent der Wähler fühlten sich schlecht über das Wahlrecht informiert - das entsprach in etwa dem Anteil ungültiger Stimmen -, und gut 47 Prozent fanden es "zu kompliziert".

Bei den Nichtwählern waren die Wissenslücken noch größer. Knapp 40 Prozent (Wähler: 6,6 Prozent) kannten keinen Spitzenkandidaten - auch Olaf Scholz (SPD) oder Christoph Ahlhaus (CDU) nicht. Das dürfte kaum etwas mit dem Wahlrecht zu tun haben.

Vertreter von SPD, GAL, FDP und Linkspartei sowie der Verein "Mehr Demokratie" als Initiator des neuen Wahlrechts betonten, dass die Uni-Studie keine Munition gegen das Wahlrecht liefere. "Die Ergebnisse bieten kaum Grundlage, das Wahlrecht zulasten der Entscheidungsrechte der Bürger nun wieder zu verändern", sagte Farid Müller (GAL). "Erschrecken muss jedoch, dass die Wahlbeteiligung gerade in sozial benachteiligten Stadtteilen deutlich niedriger ausfällt als im Durchschnitt", sagte Kurt Duwe (FDP). "Hamburg braucht kein überteuertes und schwieriges Wahlrecht", sagte hingegen André Trepoll (CDU) mit Blick auf die 15 Millionen Euro, die die Wahl 2011 gekostet hat (gegenüber 1,5 Millionen 2004). Seine Partei wolle nun Änderungsvorschläge erarbeiten.