Die Freigabe durch die Schulbehörde sei sinnvoll. Der Unions-Fraktionschef im Bundestag übt Kritik. Das Thema liefert Diskussionsstoff.

Hamburg. Die einen sehen die deutsche Kultur bedroht, die anderen schütteln darüber den Kopf und sprechen von einem überfälligen Schritt - das Thema Schreibschrift liefert weiter Diskussionsstoff für Eltern, Lehrer und Politiker. Dabei bemühen sich jetzt vor allem Lehrer um eine Versachlichung der Debatte.

"Fakt ist: In Deutschland werden zurzeit drei ganz unterschiedliche Schreibschriften gelehrt, die Lateinische LA, die Vereinfachte VA und die Schulausgangsschrift SAS, die in der DDR entwickelt wurde und zurzeit in Hamburg gültig ist", schreibt Stephan Pauli, Schulleiter der Elbkinder-Grundschule (Iserbrook/Blankenese) in einem Brief an alle Eltern, der auch auf der Homepage der Schule steht. Ein "einheitliches Kulturgut" seien die Schriften nie gewesen. Pauli hatte schon sein Staatsexamen zum Thema Handschriften verfasst und wollte durch seinen Brief eventuellen Verunsicherungen auf Elternseite vorbeugen.

Die Debatte war ausgelöst worden durch eine Entscheidung der Schulbehörde. Sie hatte es den Grundschulen freigestellt, ob sie den Kindern wie bisher erst Druckbuchstaben und im Anschluss die Schulausgangsschrift - die klassische Schreibschrift - beibringen wollen oder nach den Druckbuchstaben zur "Grundschrift" übergehen. Diese ist von der Druckschrift abgeleitet, beinhaltet aber kleine Schwünge, um die Buchstaben verbinden zu können.

"Dass die Kinder an der Schule jetzt nur noch Druckschrift lernen und wir Lehrer dann sagen ,mach doch, was du willst', ist reine Polemik", schreibt Pauli. Er habe im Lehrerkollegium noch nicht geklärt, welchen Weg die Schule gehen wird, aber die Freigabe hält er für sinnvoll. In der Praxis würden fast alle Erwachsenen einen Mix aus Druck- und Schreibschrift schreiben. "Und nur, weil wir alle mal ganz streng und einheitlich eine spezielle Schreibschrift gelernt haben, kann man nicht behaupten, dass die Kinder von damals alle eine gut lesbare Schrift entwickelt hätten - wenn ich da an das Entziffern mancher Elternfragebögen denke ..."

Auch Marion Lindner unterstützt die neue Regelung. Die Leiterin der Grundschule Franzosenkoppel (Lurup) möchte vom neuen Schuljahr an in den zweiten Klassen die Grundschrift lernen lassen - zunächst versuchsweise für ein Jahr, doch Lindner ist überzeugt von dem Weg. "Wir sind hier in einem sozial benachteiligten Gebiet und halten es für wichtiger, Sprache, Ausdrucksfähigkeit und Rechtschreibung zu fördern." Wenn die Schüler nach der Druck- erst die Schulausgangsschrift lernen müssten, bleibe viel weniger Zeit für andere Inhalte, als wenn sie gleich zur Grundschrift übergingen.

Wie viel Zeit das Erlernen der SAS beanspruche, lasse sich nicht exakt sagen. "Manche Schüler brauchen nur wenige Wochen, andere schaffen es im ganzen Schuljahr nicht." Auch Stephan Pauli betont, dass es die Einheitlichkeit im Klassenraum ohnehin nicht mehr geben solle, da die Voraussetzungen der Schüler sehr heterogen seien: "Wir können Kindern nur gerecht werden, wenn wir individuell auf sie eingehen."

Das sieht der CDU/CSU-Bundestagsfraktionschef Volker Kauder anders. "Ich dachte immer, dass wir alle Kinder in Deutschland so ausbilden wollen, dass sie einheitlich gut lesen, aber eben auch schreiben können", sagte Kauder dem Abendblatt. Die Vorgänge in Hamburg seien "typisch SPD-Schulpolitik. Solche Alleingänge eines Landes schaden letztlich Schülern und Lehrern." Schulsenator Ties Rabe (SPD) weist CDU-Kritik, er habe die zuständigen Gremien nicht an den Plänen beteiligt, zurück: Die Vorgänger-Senate hätten "sehr dringende Aufgaben acht Monate lang liegen gelassen". Er sei froh, "gerade noch rechtzeitig zum neuen Schuljahr" alles geregelt zu haben.