Weil die Schreibschrift an den Grundschulen nicht mehr verbindlich vorgeschrieben ist, entbrennt ein erbitterter Bildungsstreit.

Hamburg. Gerade mal ein Jahr ist es her, dass in Hamburg um die Einführung der sechsjährigen Primarschule gestritten wurde. Jetzt, kurz vor Ende des Schuljahres, droht an den Grundschulen ein neuer bildungspolitischer Streit. Auslöser ist ein acht Zeilen langer Absatz auf Seite 14 des Bildungsplans Grundschule für das kommende Schuljahr. Unter dem Stichwort "Schriften" wird den Grundschulen freigestellt, ob Hamburgs Abc-Schützen künftig weiterhin lernen müssen, in Schreibschrift zu schreiben, oder ob allein die Druckschrift unterrichtet wird. Während Befürworter darin eine Förderung des individuellen Schreibens sehen, sprechen Kritiker von dem Verlust einer gemeinsamen Kultur.

"Die Schreibschrift ist unabdingbar, wenn unsere Kinder eine vernünftige Schullaufbahn durchlaufen sollen", sagt Walter Scheuerl, Sprecher von "Wir wollen lernen" - dem Verein, der per Volksentscheid auch die Einführung der Primarschule gekippt hatte. Laut Scheuerl, der jetzt als Parteiloser der CDU-Fraktion angehört, ist dieser "qualitative Schriftstandard in Deutschland" notwendig, damit die Handschriften später nicht immer weiter voneinander abweichen. Schon in der Mittelstufe würden in Arbeiten sonst Fehler angestrichen, weil die Lehrer die Schriften nicht mehr lesen könnten. "Natürlich hat jeder Mensch seine eigene Handschrift", sagt Scheuerl. "Doch es muss eine gemeinsame Grundlage geben."

Dietrich Wersich, Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bürgerschaft, stimmt zu: "Es ist nicht gut, wenn die gemeinsame Basis der individuellen Handschrift der Beliebigkeit ausgesetzt wird, zumal es ohnehin nur noch viel zu wenige verbindende und Kultur stiftende Lerninhalte in den Schulen gibt." Auch Anna von Treuenfels (FDP) sieht die "Kulturtechnik des Schreibens" in Gefahr. Schulsenator Ties Rabe (SPD) verstärke "die gefährliche Tendenz, vage Kompetenzen statt konkretes Wissen als Lernziel zu definieren".

Der Grundschulverband, dem in Hamburg rund die Hälfte aller Grundschulen angehören, sieht das anders. Schreibschriften, so die Landesvorsitzende Susanne Peters, würden die Grundschüler ausschließlich für ein bis zwei Jahre lernen - ab der fünften Klasse ist die Schriftart den Schülern grundsätzlich freigestellt. "Es wird also viel Zeit auf das Lernen einer Schrift verwendet, die später gar nicht verwendet wird", sagt Peters. Aus diesem Grund hat der Grundschulverband zusammen mit Bildungsexperten eine besondere Form der Druckschrift entwickelt, die sogenannte Grundschrift. Grundlage bilden die klassischen Druckbuchstaben, wie sie jeder Grundschüler zunächst lernt, einziger Unterschied sind leichte Bögen am Ende der Buchstaben, die ein einfaches Verbinden möglich machen sollen. "Die Schrift ist speziell für die Hand von Kindern ausgearbeitet und ermöglicht einen einfachen Schreibfluss", sagt Ulrich Hecker, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Grundschulen und Mitarbeiter der Projektgruppe, die die Grundschrift 2010 veröffentlicht hat.

Hamburg ist damit das erste Bundesland, das die Grundschrift explizit als einzige Schrift zum Erlernen einer individuellen Handschrift erlaubt. In anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg gibt es laut Hecker ähnliche Bestrebungen, auch in Bayern werde die Grundschrift an einigen Schulen erprobt.

Doch während die Schreibschrift in diesen Ländern bislang verpflichtend war, schreiben beispielsweise die Bildungspläne in Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen gar nicht erst vor, über welche Schriftart die Schüler ihre eigene Handschrift erwerben sollen.

Die Hamburger Schulbehörde betont, dass die Initiative, die Schreibschrift-Pflicht abzuschaffen, von den Grundschulen gekommen sei. "Wir folgen dieser Idee", sagt Sprecher Peter Albrecht. Man sehe darin die Chance, durch die Vereinfachung die Kernkompetenz des lesbaren Schreibens zu stärken. Man wolle das individuelle Schreiben fördern, so Albrecht - die Frage des Schriftbildes sei dabei nicht vorrangig. SPD-Schulexperte Lars Holster unterstützt das: Aus eigener Erfahrung als Deutschlehrer einer ersten Klasse wisse er, dass die neue Regelung schon "gängige Praxis" sei.

Lars Holster "Was jetzt umgesetzt wird, entspricht dem Wunsch der Schulen und dem Stand der Wissenschaft." Dass die Schreibschrift abgeschafft werde, sei Unsinn, so Holster: "Es kann auch künftig nicht jeder rumkrakeln, wie er will", sagt der SPD-Politiker und Pädagoge.