Der Zweite Bürgermeister Dietrich Wersich übt drastische Kritik am Finanzkonzept der SPD aus. SPD-Kandidat kontert: “Die Nerven liegen blank“.

Hamburg. Zweieinhalb Wochen vor der Hamburger Bürgerschaftswahl ist jetzt Gift im Kampf um die Macht. Der Zweite Bürgermeister Dietrich Wersich (CDU) hat dem SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz gestern mit ungewöhnlich drastischen Worten vorgeworfen, mit seinen Plänen zur Sanierung des Haushalts die Wähler zu täuschen. "Das ist entweder Verarsche oder man glaubt dran, dann hat man sich nicht mit der Materie auseinandergesetzt", sagte Wersich auf der Landespressekonferenz. Die Haushaltspläne der SPD dürften "niemals Wirklichkeit" werden: "Sie sind ein Angriff auf Schulen, innere und soziale Sicherheit, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen." Wersichs Warnung: "Hamburg, pass auf!"

Die SPD, die nach Umfragen klar vor der CDU liegt, hatte für den Fall eines Wahlsieges angekündigt, die Finanzen der Stadt mit einem Zehn-Jahres-Plan sanieren zu wollen. Die Ausgaben dürften jährlich nur um ein Prozent ansteigen. Zugleich verspricht die SPD eine kostenlose Betreuung in Kindertagesstätten sowie den Wegfall der Studiengebühren.

Sozialsenator Wersich, der mit Schul- und Sozialbehörde die größten Etats verwaltet, kritisierte, als Konsequenz der SPD-Pläne müssten bei Tarifsteigerungen von mehr als einem Prozent im Gegenzug Stellen gestrichen werden: bei Polizisten, Lehrern, Professoren und Pflegekräften. "Die Zahl der älteren Menschen, die hilfs- oder pflegebedürftig sind, wächst schneller als um ein Prozent", sagte der Senator. Seine Rechnung: Wäre Hamburg dem Konzept der SPD gefolgt, hätte die Stadt in den vergangenen vier Jahren etwa für Schulen 182 Millionen Euro weniger ausgegeben.

Olaf Scholz reagierte gelassen auf die Angriffe aus der CDU. Zum Wort "Verarsche" ließ er über seinen Sprecher mitteilen: "Das ist eine peinliche Entgleisung, die nur dadurch zu entschuldigen wäre, dass bei Herrn Wersich die Nerven blank liegen." SPD-Finanzexperte Peter Tschentscher bezeichnete die Wortwahl als "unangemessen für einen Senator". Die Landespressekonferenz sei kein Ort für Wahlkampf. Aber auch inhaltlich zielten die Vorwürfe daneben: "Natürlich wollen wir nicht in jedem Bereich gleich viel sparen, sondern planen Schwerpunkte." Es stehe fest, dass weitere Lehrer eingestellt werden. "Dafür sparen wir andere Bereiche ganz weg, etwa Ausgaben wie den Millionen-Werbeetat für die Umwelthauptstadt."

Nach Ansicht von Experten klingen die neuen Töne der CDU eher nach Opposition als nach Regierung. "Schon bei dem ersten Duell zwischen Bürgermeister Ahlhaus und Herausforderer Scholz hatte ich den Eindruck, dass die Rollen vertauscht sind", sagte Kai-Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg, dem Abendblatt.

Kritik für seine Finanzpläne erntet Scholz allerdings auch aus den eigenen Reihen. Die Gewerkschaft Ver.di, deren Chef Wolfgang Rose Abgeordneter der SPD ist, kündigte massiven Widerstand gegen Pläne von Scholz an, jährlich 250 Stellen im öffentlichen Dienst einzusparen. Dies soll laut SPD erreicht werden, indem frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden. "Wie schon bei der jetzigen Regierung müssen wir uns wappnen und Einsparungen befürchten", sagte Sieglinde Friess, Leiterin des Ver.di-Bereichs Öffentlicher Dienst. "Was diesen Punkt betrifft, scheint es egal zu sein, wer gewählt wird."

Lesen Sie auch den Artikel aus dem Hamburger Abendblatt:

Ein V-Wort als Weckruf

Der CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich vergreift sich gegenüber der SPD im Ton. Kaum ein CDU-Politiker kämpft mit so harten Bandagen.

Die Hitze breitet sich langsam aus. Erst am Hals, dann färbt sich das Gesicht des Senators rötlich. Dietrich Wersich (CDU) sitzt auf einem Stuhl in der Landespressekonferenz im Rathaus, er kennt diesen Ort, oft präsentiert er hier Konzepte der Regierung. Höflich und sachlich, wie sich das gehört. Aber jetzt, wo er sich entschieden hat, die Rolle zu wechseln, "so richtig im Brass" ist, wie er sagt, kann er die Wörter aussprechen, die ihm die SPD als Sozialsenator jahrelang an den Kopf geworfen hat: "Angriff auf die soziale Sicherheit", "Sparen mit dem Rasenmäher", "gnadenloses Wegstreichen".

So greift man Senatspläne an, hier aber geht es um das Haushaltskonzept der SPD, die seit zehn Jahren in der Opposition ist und bisher nicht mehr hat als gute Umfragewerte. Aber Wersich eröffnet das Feuer wie auf einen größeren politischen Gegner. Das hat er als Abgeordneter gelernt, als die Sozialdemokraten noch regierten. Sieht so aus, als sei er in dieser Rolle wieder angekommen.

In den vergangenen Wochen hat kaum ein Politiker der CDU mit so harten Bandagen gekämpft. Denn eine gezielte Entgleisung kann vielleicht Weckruf sein, bestimmt aber bringt sie in seiner Position Aufmerksamkeit: "Das ist entweder Verarsche oder man glaubt dran, dann hat man sich nicht mit der Materie auseinandergesetzt ", sagt Wersich zum Konzept der Sozialdemokraten.

Es sieht nicht so aus, als sei diese neue Tonlage im Wahlkampf nur die Initiative dieses einen Senators, der in Parteikreisen immerhin als Kontrahent von Ahlhaus auf das Erbe des zurückgetretenen Ole von Beust gehandelt wurde. Ahlhaus selbst bleibt zwar beim üblichen Vokabular, distanziert sich aber später am Nachmittag auch nicht deutlich von dem Wort "Verarsche".

Neben Wersich in der Landespressekonferenz sitzt Wissenschafts-, Stadtplanungs- und Finanzsenatorin Herlind Gundelach. Die beiden CDU-Politiker schauen sich an, als könnten sie gemeinsam Pferde stehlen.

Gundelach spricht von "Luftbuchungen" und verurteilt Pläne der SPD, die kürzlich gegründete Wissenschaftsstiftung einzudampfen, in einer Härte, als seien die Genossen bereits im Senat und müssten attackiert werden. Zum Sparplan, den Umzug der Umweltbehörde nach Wilhelmsburg zu streichen, sagt sie: "Wilhelmsburg ist ein Stadtteil, der oft benachteiligt wurde." Und: "Wenn es darauf ankommt, dann kneift die SPD."

Viele dieser Sätze waren bisher, wenn auch umgekehrt, von Sozialdemokraten in der Opposition zu hören. Politik ist auch Rollenspiel.