Die Hamburger SPD wählt Olaf Scholz offiziell zum Spitzenkandidaten und bejubelt Nicht-Mitglied Frank Horch und Reeder Erck Rickmers.

Hamburg. Es war 11.19 Uhr, als sich der alte Geist der SPD doch noch meldete. Ein junger Delegierter, Jochen Rasch, betrat die Bühne und forderte, Studiengebühren schon zum 1. April abzuschaffen, also nicht irgendwann bis 2015, wie es nun im Programm steht. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit abgeschmettert, nach einer Minute war der einzige Versuch einer inhaltlichen Debatte über das Wahlprogramm abgewürgt. Freier Zugang zu Bildung ist ein Urthema der Sozialdemokratie, und es war wohl bezeichnend, dass die Genossen es auf ihrem Parteitag im CCH vorzogen, euphorisch ihre neuen Verbündeten zu feiern - den Reeder Erck Rickmers und Schatten-Wirtschaftssenator Frank Horch, bis vergangenen Mittwoch noch Handelskammer-Präses.

Parteichef Olaf Scholz, der mit triumphalen 97,5 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl am 20. Februar gekürt wurde, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dass seine Genossen die von ihm angeworbenen Zugpferde derart überschwänglich aufnehmen würden, hatte sich bereits am Freitagabend angedeutet. Schon im SPD-Landesvorstand hatte Horch nach Darstellung von Teilnehmern geradezu Begeisterung ausgelöst. Die Biografie eines Mannes, der es aus bescheidenen Familienverhältnissen durch Fleiß und Bildung zum Topmanager bei Hamburger Industrieunternehmen brachte, imponierte den Genossen.

"Ohne Menschen geht es nicht" - mit solchen Sätzen und dem Hinweis, dass sein Verständnis für Arbeitnehmerbelange seiner Managerkarriere mitunter im Weg stand, zog der parteilose 62-Jährige auch die gut 300 Parteivertreter schnell auf seine Seite. Der Ritterschlag kam von Ver.di-Chef Wolfgang Rose, der berichtete, dass die Gewerkschaften bei dem Manager Horch stets ein offenes Ohr gefunden hätten.

Vor wenigen Monaten hatte das noch ganz anders geklungen: "Ist Herr Horch ein Anhänger der Stamokap-Theorie? Möchte er der Öffentlichkeit klarmachen, dass die Regierung immer die Erfüllungsgehilfin der Unternehmer und der Wirtschaft zu sein hat?", hatte Rose im Sommer gefragt, als der Handelskammer-Präses schon einmal als Wirtschaftssenator im Gespräch war - allerdings bei der CDU. Horchs Nachdenken darüber, "ob der Einfluss auf die Hamburger Wirtschaftspolitik an der Spitze der Handelskammer nicht viel größer ist", hatte Rose so erzürnt.

Am Sonnabend im CCH war das alles vergessen. "Der außerordentlich freundliche Empfang hat mich sehr gefreut", sagte Horch hinterher, "denn der eine oder andere kennt mich vielleicht noch nicht so gut und hatte womöglich ein kritisches Bild von der Handelskammer oder der Wirtschaft allgemein." Scholz selbst gab Horch die größtmögliche Rückendeckung: "Wir halten zusammen im Senat, auch gegen die, die das mit der Wirtschaft nicht so wichtig nehmen." Eine klare Spitze in Richtung GAL, der an der Personalie Horch am besten gefällt, "dass sie die Unterschiede zur SPD deutlich macht".

Erck Rickmers brauchte nur drei Sätze, um den SPD-Parteitag für sich einzunehmen: "Als ich mit Olaf gestern abstimmte, wie ich mich heute vorstellen soll, sagte er, ,du musst die auf jeden Fall mit Genossinnen und Genossen anreden.' Fragte ich: ,Nehmen die mir das ab, ich bin doch erst seit zwei Tagen SPD-Mitglied, sonst bin ich Unternehmer?' ,Egal', sagte er, ,du bist jetzt einer von uns.'" Die "Genossinnen und Genossen" juchzten vor Freude.

Dass er eine Frau "mit Migrationshintergrund" (Italienerin) und fünf Töchter hat und in seiner Firma "immer den Menschen in den Mittelpunkt" stellt, hätte der 46-Jährige nicht mehr zu erwähnen brauchen - mit 93 Prozent wurde Rickmers auf den sicheren Platz 13 der Landesliste gewählt.

Auf den Plätzen zwei bis zwölf stehen: Bürgerschafts-Vizepräsidentin Barbara Duden, Fraktionschef Michael Neumann, seine Stellvertreterin Dorothee Stapelfeldt, der Wandsbeker Kreischef Karl Schwinke, Finanzexperte Peter Tschentscher - er bekam mit 95,2 Prozent das zweitbeste Ergebnis -, Bildungsexpertin und Scholz-Ehefrau Britta Ernst, Sozialexperte Dirk Kienscherf, die junge Harburger Historikerin Melanie Leonhard, Kulturexpertin Christel Oldenburg aus Bergedorf, Wolfgang Rose und Familienexpertin Carola Veit. Der frühere Landesvorsitzende Mathias Petersen steht auf Platz 20, vor dem ebenfalls von Scholz angeworbenen Unternehmer Kazim Abaci.

Dass es SPD-untypisch keinerlei Debatten oder Gegenkandidaturen gab, registrierte auch Altbürgermeister Henning Voscherau: "In unsere sehr diskussionsfreudige Partei ist eine gewisse Disziplin eingekehrt", sagte er gestern beim Neujahrsempfang der Selbstständigen in der SPD. Eine absolute Mehrheit hält Voscherau für möglich. Wenn die Linke ihre Umfragewerte weiter mit Kommunismusdebatten drücke, "dann schaffen wir das".