Hamburg. Scham und Schmerz darüber, ausgesetzt worden zu sein, begleiten Findelkinder ihr Leben lang. Die Unkenntnis ihrer Herkunft führt bei ihnen zu mangelndem Selbstwertgefühl und Verunsicherung. In Deutschland gibt es nur wenige spezialisierte Therapeuten und Beratungsstellen, die ihnen bei der Aufarbeitung ihrer komplexen Probleme zur Seite stehen können.

Waltraud Schäfer, 61, berät seit 1982 Findelkinder, Adoptierte, Adoptiveltern und Mütter, die ihr Kind weggegeben haben (www.adoption-im-dialog.de). "Findelkinder haben große Probleme, ihr Schicksal zu bewältigen", sagt sie. "Besonders, wenn sie so herzlos ausgesetzt wurden wie vor drei Tagen die kleine Marie."

Jemand, der angekleidet und zugedeckt, vielleicht sogar mit einem Kuscheltier in einem Krankenhaus abgegeben worden sei, könne zumindest von einer gewissen Sorgsamkeit der Mutter ausgehen und stelle seine eigene Wertigkeit nicht ganz so stark infrage wie Menschen, deren Mütter ihren Tod in Kauf genommen hätten. "Das Gefühl, ich bin abgegeben worden, war nicht gewollt, verursacht bei den Betroffenen lebenslanges Grübeln und Hadern", sagt die Expertin. "Das raubt ihnen Energie und macht sie ruhelos."

Findelkinder hätten auch große Schwierigkeiten, sich selbst anzunehmen. "Oft ist schon ein Blick in den Spiegel eine zu starke Konfrontation mit sich selbst, weil er Fragen nach Ähnlichkeiten mit den Eltern aufwirft", sagt Waltraud Schäfer.

In einer schwedischen Studie wiesen Wissenschaftler nach, dass Findelkinder stärker gefährdet sind, Suizid zu begehen, alkohol- oder drogenabhängig zu werden, wegen einer psychiatrischen Störung eingewiesen zu werden oder ein Verbrechen zu begehen. "Durch das traumatische Verlieren der ersten Bezugsperson leiden Findelkinder an Ängsten, die sie nicht zuordnen können", weiß Lenore Wittig von der Beratungsstelle "Freunde der Kinder" ( www.Freunde-der-Kinder.de ).

Besonders in der Pubertät verspürten sie Wut und Ohnmacht - und litten unter dem Unvermögen, sich von ihren Eltern abzugrenzen, weil sie sie nicht kennen. Zeitlebens hätten Findelkinder eine "erschütterbare Identität" und müssten von ihren Adoptiveltern besondere Zuverlässigkeit, ein sicheres Zuhause und verlässliche Strukturen erfahren. Die Schwierigkeiten, feste Beziehungen einzugehen, würden sie ein Leben lang begleiten - oft wiederhole sich sogar ihr Schicksal, indem sie ihre eigenen Kinder weggäben.

Auch wenn Findelkinder von ihren Pflegeltern Liebe und Zuwendung erfahren, sehnen sie sich immer danach, ihre leiblichen Eltern kennenzulernen. "Leider", bemerkt Psychologin Wittig, "vergrößern Babyklappen die Zahl derer, die ihre Wurzeln nie werden herausfinden können."