Der Landeswahlleiter befürchtet durchs neue Wahlrecht eine verzögerte Stimmenauszählung. Das Ergebnis könnte Sonntag noch offen sein.

Hamburg. Wenn aus 15 Monaten über Nacht 84 Tage werden, gilt das Prinzip Hoffnung. Zum Glück ist Willi Beiß ein optimistischer Mann, gleichwohl diese Eigenschaft jetzt auf die Probe gestellt wird. Vorgezogene Neuwahlen, für einen Landeswahlleiter ist das wohl der größte anzunehmende Unfall. In diesem Fall ein Super-GAU. In knapp drei Monaten eine Bürgerschaftswahl zu organisieren ist schon knifflig. In knapp drei Monaten eine Bürgerschaftswahl zu organisieren, bei der wieder ein neues Wahlrecht gilt, ist selbst aus der Sicht des stets tiefenentspannten Beiß "eine ziemliche Herausforderung".

20 Stimmen hat jeder Hamburger am 20. Februar, wenigstens das könne man sich schon mal gut merken, so Beiß. Galgenhumor. Denn wer glaubt, bei der vergangenen Bürgerschaftswahl 2008 sei das Wahlsystem bereits komplex gewesen, der kann sich schon mal auf vier Stimmzettelhefte mit je bis zu 30 Seiten einstellen (siehe Kasten). "Dieses System müssen wir jetzt blitzartig an die Menschen herantragen", sagt Beiß. Der Mann mit der Fliegerbrille zweifelt zwar nicht daran, dass das machbar ist. Ein Jahr mehr hätte dem Prozess aber nicht geschadet.

Vergangenen Sonntag saß der Landeswahlleiter noch Zeitung lesend zu Hause, als er um kurz vor 12 Uhr den Anruf bekam, dass da bei den Grünen was im Argen sei. Eine dunkle Vorahnung verdrängend, hatte er kurz gehofft, die Grünen könnten vielleicht gemeinsam mit den Linken zur SPD überlaufen und eine neue Regierung bilden, rein theoretisch. Oder es würde sich zumindest nicht das gesetzlich notwendige Viertel der Abgeordneten zur Auflösung der Bürgerschaft finden. Willi Beiß musste feststellen, dass man sich von der Politik nicht viel erhoffen kann. In dieser Hinsicht jedenfalls nicht.

Und so trägt das Landeswahlamt derzeit den Titel stressigster Behördenbereich Hamburgs. Man sei aus dem Rhythmus gekommen, und zwar direkt in den Schnellgalopp, so Beiß, der jüngst 61 Jahre alt wurde. Noch am Sonntag hatte der Leiter des Landeswahlamts, Asmus Rösler (der wie berichtet seine anstehende Pension notgedrungen bis nach der Wahl verschiebt), einen Zeitplan erstellt, am Montagmorgen saßen die sieben Mitarbeiter bereits an den ersten Musterstimmzetteln. Die Zahl der Mitarbeiter soll vermutlich noch aufgestockt werden. Schließlich müssen die Stimmzettel bis Anfang Februar in allen Hamburger Briefkästen stecken - 20 Stimmen zu vergeben sollte geprobt sein. Das wären dann rund 4,8 Millionen Exemplare, für jeden Wahlberechtigten vier Muster-Stimmzettelhefte, also 108 Millionen Blätter, und die muss ja schließlich auch noch jemand drucken, am besten gleich mehrere Druckereien parallel. Kommt ja schließlich dieselbe Menge für die Original-Stimmzettel obendrauf. "Der Papiermarkt ist derzeit ja auch angespannt", sagt Beiß. Die ganz normalen Sorgen eines Landeswahlleiters.

Damit wäre auch noch nicht die Logistik geklärt. Zum Beispiel die Frage, welche der rund 1300 Wahllokale im Februar zur Verfügung stehen. Oder wie die 2600 Wahlurnen dort hinkommen. Entscheidend ist allerdings nur eines: Wer zählt die ganzen Stimmen aus? Die Wahlhelfer natürlich. Doch 15 000 Menschen muss man erst einmal finden. Beiß' größte Sorge gilt bei der sechsten Wahl, die er offiziell betreut, deshalb dem Ergebnis. Nicht inhaltlich, selbstredend, sondern dass es Sonntagnacht noch offen sein könnte. Wie bei der vergangenen Bürgerschaftswahl wird am Wahltag selbst nur die alles entscheidende Landesliste ausgezählt, doch fünf Stimmen zu zählen, dauert eben länger als nur eine. Vom Nachzählen, wenn man am Ende des Stimmzettels auf vier oder sechs Kreuzchen kommen sollte, ganz zu schweigen. Ob es bis Mitternacht bis zum vorläufigen amtlichen Endergebnis reicht, kann also auch Willi Beiß, der sonst gern Prognosen abgibt, noch nicht sagen. Dafür prophezeit er, dass alle Stimmen erst Dienstagabend ausgezählt sein werden.