Nach einer Umfrage liegen die Gegner der Primarschule knapp vorn. Erst 30 Prozent haben per Briefwahl abgestimmt

Gut eine Woche vor dem Volksentscheid über die Schulreform liegen die Reformgegner einer Umfrage zufolge in der Wählergunst knapp vorn. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Psephos im Auftrag von "Bild", "Welt" und Sat.1 Nord würden 41 Prozent der Befragten gegen das Reformprojekt des schwarz-grünen Senats stimmen, während 38 Prozent dafür sind.

28 Prozent der Wahlberechtigten gaben in der Umfrage an, bereits per Briefwahl über die Einführung einer sechsjährigen Primarschule anstelle der vierjährigen Grundschule abgestimmt zu haben. Weitere 34 Prozent wollen sich "wahrscheinlich" oder "sicher" noch an dem Volksentscheid, der am Sonntag, 18. Juli, stattfindet, beteiligen. Demnach würden 38 Prozent der Wahlberechtigten nicht mitmachen.

Von den Briefwählern gaben 43 Prozent an, dass sie sich für die Vorlage der Volksinitiative "Wir wollen lernen" ausgesprochen haben, also gegen die Schulreform. 35 Prozent der Briefwähler sagten, sie hätten für die Reformpläne des Senats gestimmt. Diese werden von allen Fraktionen in der Bürgerschaft unterstützt - nicht nur von der CDU/GAL-Koalition, sondern auch von SPD und Linkspartei. Der Rest der Briefwähler - immerhin 22 Prozent - wollte nicht sagen, wie sie abgestimmt haben. Für die Umfrage hat Psephos in der Zeit vom 29. Juni bis zum 2. Juli 2010 insgesamt 1007 nach dem Zufallsverfahren ausgewählte wahlberechtigte Hamburger befragt. Das Stimmungsbild entspricht in seinen Relationen in weiten Teilen dem vom April.

Damals hatten bei einer Psephos-Umfrage im Auftrag des Hamburger Abendblatts 30 Prozent der Befragten gesagt, sie würden am Volksentscheid teilnehmen und gegen die Reform stimmen. 25 Prozent wollten teilnehmen und für die Senatspläne votieren. 30 Prozent wollten sicher nicht teilnehmen, 14 Prozent waren noch unentschieden. Sollten 38 Prozent nicht mit abstimmen, wie sich aus der aktuellen Umfrage ergibt, läge das innerhalb der Bandbreite von 30 bis 44 Prozent aus der Abendblatt-Umfrage vom April.

Die Zahl ist von großer Bedeutung, weil es aus Sicht der Reformgegner nicht reicht, die Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Sie müssen gleichzeitig mindestens ein Fünftel der Wahlberechtigten auf ihrer Seite haben. Bei 1,237 Millionen Hamburgern, die zur Bürgerschaftswahl 2008 wahlberechtigt waren (das ist der Bezugszeitpunkt), sind das 247 335. Sollten also tatsächlich 62 Prozent abstimmen, wären das 744 000 Frauen und Männer. Votieren davon 41 Prozent oder 305 000 Hamburger für die Vorlage der Initiative, wäre das nötige Quorum erreicht, und der Kern der Schulreform müsste gestoppt werden. Bis gestern hatten aber erst 370 597 Hamburger per Briefwahl abgestimmt (30 Prozent).

Bürgermeister Ole von Beust ist skeptisch, ob beim Volksentscheid die erforderliche Zahl abgegebener Stimmen erreicht wird und die Abstimmung damit gültig ist. "Man wird schauen müssen, ob überhaupt die Quoren erreicht werden. Bisher glaube ich, wird es nicht reichen", sagte von Beust dem Fernsehsender Hamburg1. Die Entscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern werde sehr knapp ausfallen. "Ich denke wirklich, dass es 50:50 steht", sagte der Bürgermeister.

Unterdessen haben die Äußerungen von Beusts über die Reformgegner im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" eine Diskussion ausgelöst. "Mich hat überrascht, dass manche so unverhohlen sagen: Wir wollen nicht, dass unsere Kinder länger als notwendig mit Kindern mit Migrationshintergrund zur Schule gehen", sagte von Beust der Zeitung.

"Diese Aussage ist, soweit Herr von Beust sie gegen die Volksinitiative gerichtet hat, eine Unterstellung und in der Sache falsch", sagte Walter Scheuerl, Sprecher der Primarschulgegner-Initiative "Wir wollen lernen". Es sei "schwer erträglich, dass sich die Parteipolitiker nach den verschiedenen Diffamierungsversuchen von Gucci- über Elite- bis Elbvororte-Initiative immer neue Absurditäten einfallen lassen, um sich einer ihnen offenbar unbequemen Initiative zu entledigen".

Die GAL-Landesvorsitzende Katharina Fegebank kann dagegen nachvollziehen, dass von Beust auf bei manchen Reformgegnern vorhandene Ressentiments hingewiesen hat. Es gebe bei den Gegnern eine "Besitzstandswahrer-Mentalität" und bei manchen "die Angst vor einer starken Durchmischung". Das richte sich nicht nur auf Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch auf Jungen und Mädchen aus sozial benachteiligten Familien, die vermutet leistungsschwächer seien.