Olaf Scholz hat die SPD zu neuen Umfragehöhen geführt. Scholz ist sogar beliebter als Ole von Beust. Am Ziel ist er aber noch lange nicht.

Hamburg. Wer den SPD-Landesvorsitzenden Olaf Scholz in den vergangenen Wochen in seinem Abgeordnetenbüro am Altonaer Rathaus besuchte, der traf auf einen entspannten Mann. Das Sakko hat er in bester Kanzler-Schröder-Manier abgestreift. Das obligate weiße Hemd mit der dezent roten Krawatte wirkt zwar geschäftsmäßig, aber wenn er sich auf den Stuhl fläzt und den Oberkörper weit zurückfallen lässt, dann signalisiert er vor allem eines: Nachdenklichkeit und lässige Arbeitsatmosphäre.

Und es wird gelacht, das war gerade bei Scholz nicht immer so. Der Mann, der vor wenigen Jahren bundesweit als "Scholzomat" verspottet wurde, weil er kunstvoll gedrechselte Politikersätze wie aufgezogen und monoton herunterrappelte, erlaubt sich Individualität. Im Gespräch gönnt er sich Pausen, relativiert eigene Aussagen, gnickert gelegentlich in sich hinein als Zeichen höchsten Amüsements. Und dabei verliert Olaf Scholz doch nie seine politische Botschaft aus den Augen. Kurzum: Hier wirkt einer mit sich im Reinen.

Es läuft ja auch gut für ihn und die SPD - nicht erst seit der Abendblatt-Umfrage, die ihn unversehens zum beliebtesten Hamburger Spitzenpolitiker befördert hat. Scholz hat geschafft, was keinem Sozialdemokraten in den vergangenen neun Jahren gelungen ist: Er hat den Amtsbonus von Bürgermeister Ole von Beust geschleift. Wenn der Regierungschef in Hamburg direkt gewählt werden könnte, dann würden 44 Prozent für Scholz, aber nur 41 Prozent für von Beust stimmen.

Dieser und einige andere Befunde der Demoskopie - die SPD würde stärkste Partei, wenn am Sonntag Bürgerschaftswahl wäre - sind nicht in erster Linie Folge des überzeugenden Wirkens der Sozialdemokratie. Niemand sieht das realistischer als Scholz selbst. Es ist auf eine knappe Formel gebracht eher so: Der schwarz-grüne Senat hat gravierende Fehler gemacht, und die SPD hat solche vermieden. Scholz' Verdienst ist es, die SPD davon abgehalten zu haben, Fehler zu begehen.

Die Stichworte auf Seiten des Senats dazu lauten: Kita-Gebührenerhöhung, Glatteis-Notstand oder das Hin und Her um die Harley Days und das Fußball-Fanfest auf dem Heiligengeistfeld. Die Opposition ist stark geworden, weil der Senat schwächelt. Das Gleiche gilt für die beiden Protagonisten Ole von Beust und Olaf Scholz. Seit November ist Scholz Vorsitzender der einst ruhmreichen Hamburger SPD, deren aktive Mitglieder nach anhaltenden Misserfolgen nicht nur tief frustriert, sondern auch verstört sind. Scholz weiß um die Seelenlage der Partei, er kennt sie in- und auswendig. Vom aufmüpfigen Juso im Hamburger Osten ist er zum Bundesarbeitsminister aufgestiegen. Nie hat Scholz den Kontakt zur Hamburger Partei abreißen lassen. Seinen Altonaer Bundestagswahlkreis, den er dreimal direkt gewonnen hat, beackert er wie kein Zweiter.

Das alles hat ihm den Respekt der Genossen eingetragen. Nicht vergessen ist auch, dass er schon einmal als Helfer in der Not eingesprungen ist. Im Jahr 2001 ließ er sich zum Innensenator wählen, konnte aber den Machtverlust der SPD nach 44 Jahren auch nicht mehr verhindern. Enge Weggefährten waren damals schockiert, wie kompromisslos er den "Law-and-order-Politiker" gab. Aber Scholz war klar, dass der harte Kurs von ihm gefordert war, um dem Populisten Ronald Schill einigermaßen Paroli bieten zu können. Seine lupenreine Sozialisation als SPD-Linker ließ er da einfach links liegen.

Scholz fragt immer zuerst, was der Partei nutzt, und unterwirft sich dann meist der Parteilinie. Auch 2001 war er bereits einmal Parteichef und vermied durch geschickte Personalpolitik der eisernen Hand, dass sich die Sozialdemokraten in der Opposition zerfleischten. Scholz stellt seine Arbeit ganz in den Dienst der Partei. So ist es auch zu erklären, dass er zum zweiten Mal als Helfer in der Not einsprang: Als im Herbst 2009 immer deutlicher wurde, dass der damalige Parteichef Ingo Egloff die internen Querelen - vom Stimmzettelklau bis hin zur Anklage gegen Bülent Ciftlik - nicht in den Griff bekam und die Partei überdies bei der Bundestagswahl herbe Verluste hinnehmen musste, war Scholz zur Stelle.

Und seine Ansage war eindeutig: "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch!" Der Erfolg gibt ihm bislang recht: Die streitsüchtige SPD ist weitgehend befriedet. Es hieße aber den Strategen Scholz völlig zu unterschätzen, wenn man unterstellte, er handele uneigennützig. Scholz hat immer auch sein eigenes Fortkommen im Blick. Seine Augen sind dabei in erster Linie auf Berlin gerichtet: Nach dem Sturz der SPD in die Opposition und dem Verlust des Ministeramtes zählte Scholz zu der Handvoll Sozialdemokraten, die die Macht in der Partei neu aufteilten. Er ist jetzt Partei- und Fraktionsvize.

Wenn Berlin das politische Standbein ist, dann ist sein Hamburger Engagement das Spielbein. Parteifreunden hat der gewiefte Taktiker frühzeitig deutlich gemacht, dass das Klein-Klein der Landespolitik eigentlich nicht seine Sache ist. Aber er hat doch auch ein bisschen Blut geleckt: Der Konsens mit dem Senat über die Primarschule ist sein Werk. Geschickt hat er seine Partei zurück auf die politische Bühne gebracht.

Die spannende Frage lautet also: Wird Scholz selbst als Bürgermeisterkandidat antreten? Eins hat er seinen Hamburger Parteifreunden bereits klargemacht: Er wird als Landesvorsitzender von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch machen. Da wird dann der Stratege Scholz mit sich zurate gehen, ob der Politiker Scholz es machen muss, weil er die besten Chancen hat. Vielleicht schlägt dann einmal mehr die Stunde des Parteisoldaten.