Kein Beschluss: Top-Favorit Dieter Lenzen konnte gestern nicht gewählt werden. Die Aktionen verursachen Chaos auf dem Campus.

Hamburg. Links und rechts Vitrinen mit Meteoriten, Tektiten und Edelsteinen, außerdem ein verwaister Laptop, der eine einsame Powerpointpräsentation an die Wand wirft. Und mittendrin erregte Diskussionen zwischen Mitgliedern des Hochschulrats und Studierenden. Die Stimmung im Mineralogischen Museum an der Grindelallee ist aufgeheizt, und während Gabriele Löschper, Interimspräsidentin der Uni, gebetsmühlenartig und mit leiernder Stimme immer wieder erklärt, dass "dies eine nicht öffentliche Sitzung" sei, dröhnt draußen weiter das Megafon. Das tat es gestern den ganzen Nachmittag über, denn die Studenten der Universität hatten ein großes Vorhaben, auf das sie sich ab dem frühen Nachmittag lautstark einschworen: Dieter Lenzen verhindern, koste es, was es wolle.

Der derzeitige Präsident der Freien Universität in Berlin soll nach dem Willen der Hamburger Hochschulgremien nach Hamburg wechseln und Nachfolger von Monika Auweter-Kurtz werden - gestern sollte eigentlich der Tag der Entscheidung sein, aber am Ende kam alles anders. Denn vorerst haben die Studierenden die Inthronisierung des Wunschkandidaten von Hochschulrat und Akademischem Senat verhindert. Letzten Endes sprengten sie mit ihrem geballten Protest die geplante Sitzung der Findungskommission. Die hatte sich in das Uni-Museum zurückgezogen, um das Konzept des letzten verbliebenen Kandidaten, Dieter Lenzen, anzuhören. Am Ende verließ der unbestätigten Gerüchten zufolge geschockt das Gebäude aus dem Hinterausgang - Entscheidung vertagt, zu lautstark machten die Demonstranten Stimmung, versuchten überdies immer wieder, in das bewachte Museum zu gelangen. Das schafften sie zum Schluss auch, nachdem ein Kompromissvorschlag von Interimspräsidentin Löschper, vier Studierende an der Sitzung teilnehmen zu lassen, gescheitert war.

Albrecht Wagner, dem Chef des Hochschulrats, hatte bereits am Morgen geschwant, dass der Tag nichts Gutes für ihn bringen würde. Ob es später eine neue Person an der Spitze der Uni geben würde, daran wagte er da bereits nicht zu glauben. Erstens, weil der Akademische Senat dem Hochschulrat-Kandidaten noch zustimmen müsste, "und außerdem, weil die Studierenden ja alle Vorgänge stören wollen".

Und so war es dann auch: Die um 13 Uhr im Hauptgebäude anberaumte Sitzung des Akademischen Senats wurde von Hunderten gestürmt. Danach beschloss das Gremium, die Sitzung (bei der die Präsidentenwahl eigentlich keine Rolle spielen sollte) ins seit einer Woche besetzte Audimax zu verlegen. Dort wurden eilig Tische und Stühle für den 19-köpfigen Senat aufgestellt - um das Gremium danach vor 800 Zuhörern im Hörsaal einzuseifen. Vorher trugen die geschminkten, mit Grablichtern ausgestatteten Hochschüler wieder einmal die Bildung zu Grabe.

Danach bekam insbesondere der Hochschulrats-vorsitzende Wagner Hohn, Spott und Wut der Lenzen-Gegner zu spüren. Wagner hatte sich bereit erklärt, den Studenten noch einmal das Prozedere der Präsidentenwahl zu erklären. "Wir wählen den neuen Präsidenten nach den geltenden Spielregeln und halten uns an das Hamburgische Hochschulrahmengesetz", sagte Wagner. "Wir wollen den Präsidenten selbst wählen", riefen freilich die Studenten dem emeritierten Physikprofessor entgegen. Seit Tagen wettern sie gegen die aus ihrer Sicht undemokratische und intransparente Wahlverfahren. An Schärfe gewann die Kritik jedoch erst, als die Personalie Lenzen publik wurde. Danach nahmen die Hamburger Uni-Proteste an Fahrt auf, nachdem die Audimax-Besetzung vorher die meisten nicht interessiert hatte. Studiengebühren? Probleme mit dem Bachelor? Für die Themen begeistern konnte sich längst nicht jeder. Aber als der Name Lenzens im Ring war, änderte sich die Stimmung an der Uni.

Nun lag ein Hauch von umstürzlerischer Revolte in der Luft, und obwohl Albrecht Wagner sich weiter standhaft weigerte, den Namen des verbliebenen Top-Kandidaten auch nur in den Mund zu nehmen, ging es doch die gesamte Zeit über nur um den umstrittenen Hardliner aus Berlin. Der 61 Jahre alte Erziehungswissenschaftler gilt wie seine geschasste Vorgängerin als wirtschaftsnah und autoritär. Er stehe absolut nicht für "akademische Freiheit", monieren die Studenten. Auch wäre unter Lenzens Führung ein "neoliberaler Kahlschlag" an der Uni zu befürchten. Jubel brandete unter den Studierenden auf, wenn einer der ihren das Recht auf Mitbestimmung bei der Personalpolitik einforderte. So sorgten die Protestler am Ende für absolutes Chaos auf dem Campus. Zunächst brach der Akademische Senat die Sitzung im Audimax ab, verschanzte sich mit dem Hochschulrat im Mineralogischen Museum, um nicht öffentlich weiter zu beraten.

Dabei wurde die Versammlung derart heftig von den Studierenden gestört, dass an einen normalen Verlauf nicht zu denken war. "Heute fällt keine Entscheidung mehr", sagte eine Uni-Sprecherin am Abend. Und von Kandidat Lenzen hieß es, er habe sich von den Studenten bedroht gefühlt. "Das können wir nicht nachvollziehen", sagte dazu ein Student. Heute soll der Hochschulrat erneut zusammenkommen - zunächst, um Lenzen dazu zu bewegen, seine Kandidatur aufrechtzuerhalten.